Durchstarter

Gehörlose erobern die Kiteschirme

Unter Kite-​Surf-​Fans ist die kleine Insel Ummanz bei Rügen schon lange ein beliebter Treffpunkt. 2018 haben hier zwei junge Frauen damals neben der bestehenden UMMAII Wassersportstation ihre eigene Surfschule aufgemacht, die sich seitdem immer größerer Beliebtheit erfreut. Grund dafür sind nicht nur die Kurse selbst, sondern auch deren spezielle Ausrichtung. Denn Pia Boni und Marie Kohlen bieten ihr Programm für gehörlose und stark schwerhörige Menschen an. Bei DeafVentures bringen die Trainer den Kursteilnehmern alles in Gebärdensprache bei – international ein Novum.
Die Idee dazu entstand, als Marie Kohlen, selbst ausgebildete Gebärdensprachdolmetscherin, zum Kitesurfen in ein Camp nach Sri Lanka fuhr, in dem Pia Boni als Kite-​Trainerin arbeitete. Die beiden wurden Freundinnen, trafen sich auch nach dem Camp regelmäßig und stellten schließlich fest, dass es bis dato noch kein entsprechendes Angebot für Gehörlose gab. Pia Boni war damals gerade fast fertig mit ihrem Master im Internationalen Management mit Schwerpunkt Entrepreneurship. „Eigentlich wollte ich den Schwerpunkt zuerst nicht komplett auf das Kitesurfen legen, aus Angst vor dem Risiko“, erzählt Pia Boni. „Aber dann haben wir nach einigen Überlegungen unsere GbR gegründet, sind dann in die Werbung gegangen und dabei stellte sich schnell heraus, dass die Nachfrage nach dem Kitesurfen besonders groß war.“
Bereut haben die beiden den Schritt bis heute nicht, denn der Andrang war von Anfang an recht groß. „Als Werbeplattformen haben wir uns vor allem auf Instagram und Facebook konzentriert. Vor allem Instagram wird viel von Gehörlosen genutzt, da es ein rein visuelles Medium ist“, erklärt Pia Boni.

Neue Surfbegriffe für die Gebärdensprache

Als der Plan stand, machte Pia Boni einen Gebärdensprachkurs. Mit einem befreundeten gehörlosen Pärchen entwickelten die beiden Gründerinnen dann die passenden Begriffe für ihre Kurse. „Viele Wörter, die beim Kitesurfen eine Rolle spielen, gibt es in der Gebärdensprache nicht. Das haben wir dann vorbereitet“, erklärt Pia Boni.
Auch für die praktische Umsetzung gab es Unterstützung. So konnten sich die beiden im ersten Jahr über eine Förderung für soziale Startups freuen. Die Surfstation auf Ummanz, in der Pia Boni lange als Aushilfe arbeitete, und einige bekannte Marken aus der Szene liehen ihnen kostenlos Material für die ersten Kurse aus.
Ich habe immer schon viele Projekte gehabt und fühle mich damit sehr wohl. Und mit unseren Trainern vor Ort funktioniert es so gut, dass die Kurse quasi von alleine laufen.

Pia Boni, Mitgründerin von DeafVentures

Richtigen Aufschwung bekamen die beiden durch eine Förderung des Landwirtschaftsministeriums. Das Modellprojekt „LandAufSchwung“ unterstützte wirtschaftsschwache Regionen, um sie wettbewerbsfähiger zu machen. Dadurch bekam DeafVentures 2019 eine Finanzspritze von 44.000 Euro. „Dadurch konnten wir in Kooperation mit dem Verband deutscher Wassersportschulen (VDWS) zwei Trainer ausbilden. Beide sind selbst gehörlos und setzen in der Saison alle Kurse um. Wir kümmern uns seitdem um den administrativen Teil des Unternehmens“, berichtet Pia Boni.
Sie selbst arbeitet hauptberuflich bei Baltic Incubate, einem Unternehmen, das Startups mit MV-​Bezug als Business Angel Netzwerk finanziell und mit Mentoring unter die Arme greift. „Ich bin hier für 30 Stunden angestellt, so kann ich beides miteinander vereinen“, sagt sie. Als Belastung empfinde sie die berufliche Zweigleisigkeit nicht. „Ich habe immer schon viele Projekte gehabt und fühle mich damit sehr wohl. Und mit unseren Trainern vor Ort funktioniert es so gut, dass die Kurse quasi von alleine laufen.“

In fünf Tagen sicher

Ob das Kitesurfen mit Gehörlosen besonders gefährlich sei, ist eine Frage, die die beiden Jungunternehmerinnen öfter hören. Alle Zweifler können die beiden aber beruhigen. „Wir müssen uns natürlich immer alle im Blick haben, damit die Kommunikation mit der Gebärdensprache funktioniert. Außerdem muss man im Wasser stehen können, damit die Hände frei sind zum Gebärden. Dafür ist Ummanz bestens geeignet, denn hier ist das größte Stehrevier Deutschlands“, erklärt Pia Boni. „Wenn es später auf’s Wasser geht und der Wind pfeift, da ist es selbst als Hörender schwierig, alles zu verstehen. Deswegen ist der Unterschied gar nicht mehr so groß.“
Um sicherzugehen, dass alle Inhalte und Abläufe ausreichend vermittelt werden und eine gute Windausbeute zu haben, ist die Dauer der Kurse etwas länger als bei herkömmlichen Trainingseinheiten. „In der Regel geht das so drei Tage, wir machen es in fünf Tagen.“ Möglich sind Anfänger- und Aufsteigerkurse, wenn es zeitlich passt, bieten die Trainer auch Einzelunterricht.

Weitere Trainer sollen ­dazustoßen

Die Szene der gehörlosen Kitesurfer wird mittlerweile immer größer, sagt Pia Boni. „Es ist natürlich unser Ziel, dass unsere Teilnehmer nach den Kursen selbstständig sind und sich dann allein aufs Wasser wagen. Dass das klappt, können wir auf Ummanz gut beobachten. Viele schließen sich privat in Gruppen zusammen und kommen immer wieder oder sind gemeinsam international unterwegs. Das freut uns natürlich sehr.“
Und so wächst auch die Nachfrage. Für die Gründerinnen ein guter Grund, noch weitere Trainer auszubilden. „Das wollen wir aber langsam angehen. Wir wollen nach der Saison gemeinsam reflektieren und uns dann Gedanken über die Umsetzung machen“, so Pia Boni.
Jedem, der sich ebenfalls mit der Idee zu einer Gründung herumträgt, gibt sie den Tipp, „es einfach zu machen“. „Wenn man lange zögert, dann bringt das am Ende nicht viel, dann zerdenkt man sich das Ganze. Ganz wichtig ist es auch, Netzwerke zu bedienen. Wir haben überall offen kommuniziert, was wir machen wollen und dadurch hat sich sehr viel für uns ergeben.“

Christina Milbrandt

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