Rede von Manfred Schnabel beim IHK-Jahresschlussempfang 2023

Begrüßung

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
der gerade gezeigte Film zu 50 Jahren IHK Rhein-Neckar vermittelt anschaulich, welch großen Stellenwert ehrenamtliches Engagement für die IHK hat. Wir sind eine Mitmachorganisation
Tausende Unternehmerinnen und Unternehmer sowie deren Mitarbeiter engagieren sich in der IHK – in der Vollversammlung, in Ausschüssen oder in der Aus- und Weiterbildung beispielsweise.
Und auch das Präsidentenamt, wie Sie wissen, ist ein Ehrenamt. In der Hauptsache bin ich Unternehmer und das möchte ich auch sein. Aber ich übe dieses Amt gerne aus, denn es ist erfüllend, wenn ich Abende wie heute mit klugen und engagierten Menschen wie Ihnen verbringen kann. Und vor allem kann man in und aus diesem Amt viel anstoßen und voranbringen.
Im Jubiläumsfilm haben Sie im Zeitraffer gesehen und gehört, was in 50 Jahren erreicht wurde. Die IHK ist kein Selbstzweck, sondern die Selbstverwaltung der Wirtschaft. IHK organisiert Wirtschaft als Ganzes und macht sie zu einem Akteur in Politik und Gesellschaft.
Besonders stolz bin dabei auf die Rolle der IHK – und präziser muss ich jetzt von den IHKs sprechen – in der Regionalentwicklung, die 2005 mit Gründung der Metropolregion einen ganz neuen Schub erhalten hat.
Dadurch haben Wirtschaft und Politik Strukturen und Institutionen geschaffen, um unseren Wirtschafts- aber auch Lebensraum an Rhein und Neckar weiterzuentwickeln.
Wir sind eine der wettbewerbsfähigsten Regionen Europas. Das zeigt ein Blick auf die DAX-, MDAX- und SDAX-Unternehmen, aber auch die Vielzahl extrem starker, mittelständischer, familiengeführter Unternehmen.
Wir sind ein Wirtschaftraum mit einer unglaublichen Vielfalt. Diese Vielfalt gibt uns Stärke. Aber natürlich ist es nicht nur die Wirtschaft. Auch die Hochschul- und Forschungslandschaft ist ziemlich einmalig.
Und das alles würde wenig bedeuten, wenn nicht die Akteure aus Wirtschaft, Politik, Hochschulen und Gesellschaft vertrauensvoll und konstruktiv zusammenarbeiten könnten und wollten.
Doch sie können und wollen!
Ein Ausdruck hiervor ist auch unsere illustre Gästeliste heute Abend. Das ist der gelebte Metropolregion-Gedanke!
Großartig, dass wir alle heute Abend im Rosengarten zusammengekommen sind!
Wir sind eine starke Region, mit starken Unternehmen, mit starken Institutionen, mit starken Kommunen und vor allem mit einem starken Zusammenhalt.
Das gilt es zu bewahren. Einfach ist das nicht, derzeit ist unser Geschäftsmodell, unser Wohlstand ernsthaft in Gefahr und damit auch unsere Demokratie!
Wohlstandsverlust und unverständliche Politik stärkt die Ränder und dagegen gibt es nur ein Mittel:
Gute Politik, insbesondere in Berlin und Brüssel, und die Sicherung unseres Wohlstands!
Und darüber möchte ich im Schwerpunkt heute mit Ihnen reden.

Einleitung: Was ist nur los mit Deutschland?

Ohne Heinrich Heines Gedicht, “Denk‘ ich an Deutschland in der Nacht…” zu zitieren: Der Zustand unseres Landes ist leider geeignet, den Schlaf zu rauben. Das gilt für mich als Unternehmer und Wirtschaftsvertreter, das gilt für mich aber auch als Bürger und Familienvater.
Die handfesten Probleme sind massiv. Nur stichwortartig will ich nennen:
  1. Wir haben keine wettbewerbsfähigen Energiepreise. Das war schon vor dem Russland-Ukraine-Krieg so, wurde dadurch aber nochmals verschärft.
  2. Wir sind Spitze bei Steuern und Abgaben.
  3. Wir liegen an der Spitze bei den Arbeitskosten und bei der “Life-Work-Balance”.
  4. Uns gehen die Fach- und Arbeitskräfte aus und auch die Unternehmerinnen und Unternehmer, die den Karen noch ziehen wollen.
  5. In Summe hat uns das einen massiven Verlust an Wettbewerbsfähigkeit in den staatlichen Rahmenbedingungen beschert. Ausdruck hiervon sind viele Rankings, in denen Deutschland seit 2014 abgerutscht ist. Die Früchte der Agenda 2010 sind alle aufgezehrt.
  6. Gleichzeitig leisten wir uns ein Bildungssystem, das selbst Grundfertigkeiten nicht mehr adäquat vermittelt. Die aktuelle PISA-Studie haben Sie alle präsent. Da erspare ich uns jetzt die Wiederholung der genauso deprimierenden wie erschreckenden Ergebnisse.
So verwundert es nicht, dass unsere Wirtschaft als einzige große Volkswirtschaft in diesem Jahr schrumpft. Und auch für das kommende Jahr fehlt eine greifbare Wachstumsperspektive.
Was unverdrossen weiterwächst: der öffentliche Dienst:
5,2 Millionen Beschäftigte umfasst er mittlerweile, während die Anzahl der selbständigen Unternehmerinnen und Unternehmer ständig zurückgeht. Wir brauchen immer mehr Staatsdiener, um die Erfüllung der wachsenden regulatorischen Anforderungen und der Bürokratie zu kontrollieren.
Unsere Staatsquote hat während der Corona Zeit die 50-Prozent-Marke überschritten und nun liegt sie knapp darunter. Das heißt: Der Staat verbraucht die Hälfte dessen, was wir erwirtschaften. Helmut Kohl hat einmal gesagt, dass ab 50 Prozent der Sozialismus beginnt, was ich hier aus parteipolitischer Neutralität nicht kommentieren möchte.
Andere entwickelte Industriestaaten wie Japan oder die USA beispielsweise haben Quoten von lediglich rund 40 Prozent und wer hätte es gedacht, die Chinas liegt bei nur rund einem Drittel.
Ich bin der Meinung, dass man auch hier eine verfassungsrechtliche „Staatsquotenbremse“ einführen müsste, deren Höhe jedenfalls deutlich unter der 45-Prozent-Marke festgesetzt werden müsste.

Haushalt und Schuldenbremse

Als wäre das alles nicht genug, gab es dann noch den 15. November. An diesem Tag hat das Bundesverfassungsgericht die Finanzplanung der Ampelkoalition geschreddert.
Die Kernaussage: Haushaltsmittel, die vom Parlament für den Kampf gegen Corona bewilligt wurden, dürfen nicht einfach in späteren Jahren für andere Zwecke genutzt werden. Aus meiner Sicht ein sehr nachvollziehbares Urteil. Das gilt umso mehr, da wir nicht über Geld reden, das übriggeblieben ist, sondern über Geld, das nie da war! Es handelt sich um Schulden, die wir irgendwann zurückzahlen müssen.
Letztlich haben die Richter ein Urteil für mehr Nachhaltigkeit der Finanz- und Geldpolitik gesprochen. Mit Blick auf meine eigenen Kinder und meine private Altersvorsorge – Stichwort Geldwertstabilität – begrüße ich das sehr.
Es gibt dabei eine gewisse Parallele zu dem wegweisenden Urteil zur Klimapolitik. Manchmal wird ja verkürzt behauptet: Die höchsten Richter fordern mehr Klimaschutz und jetzt sperren sie das Geld dafür. Das ist natürlich Quatsch. Die höchsten Richter erinnern die Politik lediglich daran, dass sie sich an die eigenen Gesetze halten muss – das gilt bei den Klimazielen ebenso wie mit der Schuldenbremse.
Nun könnte die Diskussion aktueller nicht sein, denn die Bundesregierung hat sich heute Nacht “geeinigt”.
Diese Einigung bringt der Wirtschaft nun immerhin ein Stück weit mehr Klarheit.
Es zeigen sich aber auch einige sehr kritische Punkte. Nennen möchte ich beispielsweise die geplante Streichung des Zuschusses für die Netzentgelte. Damit drohen allen Unternehmen steigende Strompreise.
Dass die Entlastung bei der Stromsteuer kommen soll, ist da nur ein schwacher Trost. Der Strompreis wird weiter auf einem sehr hohen Niveau verbleiben.
Da der gesamte Komplex so grundlegend für unsere Staatsverständnis und das Verständnis von Wirtschaft ist, möchte ich mich im Folgenden damit ausführlich beschäftigen.

Die Fragen, die ich im Folgenden beantworten möchte:

  1. Wie kam es zu dieser Gesamtsituation? Wo stehen wir heute bei Haushalt und Finanzen?
  2. Ist es ratsam, die offen gelassene Hintertür zu nutzen, für 2024 nochmals eine Notlage zu erklären, um mehr Schulden aufnehmen zu können?
  3. Welche Lösungsansätze eröffnen sich jetzt und welche davon empfiehlt die Wirtschaft?

Zuerst zur Frage, wie wir in die jetzige Situation geraten sind. Dazu nur einige Wegmarken:

Der Berg öffentlicher Schulden beläuft sich derzeit auf rund 2.500 Milliarden Euro. Hier sind implizite Schulden wie zukünftige Pensionsanspräche von Beamten noch gar nicht enthalten, die auf bis zu 6.000 Milliarden beziffert werden!
Zur Jahrtausendwende erreichten die Schulden gerade mal die Hälfte des heutigen Niveaus.
Diese Schulden sind nicht Folge fehlender Einnahmen. Im Gegenteil: Steuern und Abgaben liegen auf Rekordniveau. Alle staatlichen Ebenen nehmen so Geld ein wie nie zu vor. Doch das Geld reicht immer noch nicht.
Unsere hohen Schuldenstände erklären sich mit den immer gleichen Antworten der Politik auf reale oder vermeintliche Krisen. Seit der Finanzkrise, Stichwort “whatever it takes”, steigert die Politik in Bund und in Europa massiv die Verschuldung. Die Programme heißen dann mal “Konjunkturpaket”, “Next Generation EU”, “Bazooka” oder “Doppel-Wumms”.
Das ist so, als würde der Arzt bei jeder Diagnose die gleiche Therapie verschreiben.
Die wahre Schuldenlage wird mit Schattenhaushalten, Buchungstricks oder mit der Umetikettierung von Schulden in “Sondervermögen” verschleiert.
Die Folgen dieser verfehlten Geld- und Haushaltspolitik sind gravierend. Seit 1999 hat sich das Bruttoinlandsprodukt in der Euro-Zone (auch durch Erweiterungen) verdoppelt. Gleichzeit hat sich die Geldmenge aber vervierfacht!
Nein, immer mehr Staatsschulden und Geld drucken ist kein Beitrag zur Lösung, sondern zentraler Teil unserer Probleme!
Denn erst auf dieser Grundlage konnte die Inflation dann ausgehend von der Angebotsverknappung in der Corona-Krise Fahrt aufnehmen. Bitte erinnern Sie sich daran, dass die Inflationsrate im Januar 2022, also vor Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine, bereits bei 5,9 Prozent lag!
Viel zu spät hat die EZB reagiert und ihr Aufkaufprogramm gedrosselt.
Die Erhöhung der Leitzinsen hat dann nicht nur die erwünschte Drosselung des Konsums bewirkt, sondern in vielen Brachen, wie von mir vorhergesagt, auch die Investitionen abgewürgt, die dann natürlich auch das Angebot verknappt haben.
Wen wundert es, dass steigende Kosten und Zinsen den Neubau von Wohnungen und gewerbliche Investitionen dann ebenfalls abgewürgt haben.
Und schon rufen die Verursacher der Misere nach immer neuen staatlichen Förderprogrammen, die natürlich wieder mit Schulden finanziert werden sollen. Dabei sind wir schon heute ein Subventionsrepublik, in der die Subventionsquote alleine im letzten Jahr um rund drei Prozentpunkte auf sagenhafte 9,7 Prozent vom BIP gesteigert wurde. Denken Sie nur an die Halbleiterfabriken von intel und tsmc, in welchen jeder Arbeitsplatz mit rund drei Millionen gesponsert werden soll.
Wäre es nicht endlich an der Zeit für Rahmenbedingungen zu sorgen, sodass Investitionen auch ohne massive Subventionen in Deutschland getätigt werden?
Zurück zur Schuldenbremse und dem Urteil des Verfassungsgerichts. Die in die Verfassung verankerte Schuldenbremse war eine Lehre aus der Wirtschafts- und Finanzkrise: Mit dieser Selbstbindung wollte der Gesetzgeber den Staat davor schützen, immer mehr Schulden anzuhäufen, ohne jemals ernsthaft diese tilgen zu können. Eine kluge Entscheidung.
… so ähnlich, wie Odysseus, der sich selbst an den Mast seines Schiffes gefesselt hat, um den Verlockungen der Sirenen zu widerstehen …

Damit kommen wir zur zweiten Frage:

Auch nach ihrem nächtlichen Kompromiss lässt sich die Regierung die Hintertür offen, für die Fluthilfe und für mögliche weitere Hilfen an die Ukraine auch 2024 erneut eine Notlage auszurufen. Sie könnte so ein weiteres Mal mehr Schulden als in der Verfassung vorgesehen aufnehmen.
Mit Blick in die Verfassung erschließt sich mir die Begründung nicht. Denn unsere Verfassung ist eindeutig:
Artikel 109, Absatz 3 gibt vor, dass solch eine Ausnahmeregelung auf ”Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen” beschränkt ist, “die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen”.
Ob die Regierung diese Option zum fünften Mal in Folge seit 2020 ziehen soll, erscheint mehr als fragwürdig. Wir sind eine der größten Volkswirtschaften der Welt. Einen erneuten verfassungswidrigen Haushalt dürfen wir nicht riskieren.

Damit komme ich zur dritten Frage:

Welche ernsthaften Lösungsansätze gibt es? Vier Optionen stehen im Raum:
  1. Die Staatseinnahmen weiter erhöhen.
  2. Die Schuldenbremse in der Verfassung aufweichen.
  3. Die Staatsausgaben reduzieren
  4. Mehr Wirtschaftswachstum ermöglichen
Sie werden nicht erstaunt sein, dass ich die ersten zwei Optionen ablehne und die Optionen 3 und 4 empfehle.
Staatseinnahmen zu erhöhen, verbietet sich unter anderem aus zwei Gründen:
  1. Wie bereits dargestellt, liegen die Staatseinnahmen bereits auf Rekordniveau. Und mit Blick auf unser Steuer- und Abgabensystem ist Deutschland ja bereits Schlusslicht im Vergleich der OECD-Staaten.
  2. Ein Drehen an der Steuer- und Abgabenschraube würde uns daher weitere Wettbewerbsfähigkeit kosten.
Andere meinen, wir sollten die Schuldenbremse in der Verfassung ändern, sodass der Staat mehr investieren kann ohne lästige rechtliche Fesseln.
Die Idee: Investitionen sollten gar nicht als Schulden zählen.
Die Begründung: Auch Unternehmen finanzieren ja ihr zukünftiges Wachstum mit Krediten, die sie dann mit den höheren Gewinnen in der Zukunft tilgen.
Wenn ich dieses Argument erst nehme und Unternehmens­finanzierungen mit denen unseres Staates vergleiche, fällt mir auf:
Im Bundeshaushalt entfallen heute schon mehr als acht Prozent auf Zinszahlungen.
Solche eine Zinsbelastung könnte kaum ein Unternehmen stemmen! Im Durchschnitt liegt die Zinsbelastung im produzierenden Gewerbe bei gerade mal 1,5 Prozent vom Umsatz!
Hinzu kommt die verfassungsrechtlich sehr schwierige Bestimmung, was unter Investitionen des Staats eigentlich zu verstehen ist. In der BWL haben wir den ”Return oInvest”, um das klar zu beziffern. Bei staatlichen Investitionen indes fällt dies oft ausgesprochen schwer. Es besteht so die große Gefahr, dass alle möglichen konsumtiven Ausgaben als Investitionen umetikettiert werden.
Kommen wir zu den Optionen, für die ich plädiere:
Staatsausgaben reduzieren und Wachstumskräfte entfalten.
Wie oben beschrieben, liegen die Staatsausgaben auf Rekordniveau. Das gilt vor allem für die konsumtiven Ausgaben. Allein die teuren Wahlgeschenke Mütterrente und Rente mit 63 addieren sich auf 30 Milliarden Euro jährlich!
Sie wissen es: der Etat von Arbeits- und Sozialminister Heil ist der mit weitem Abstand größte. Und das bei historisch niedriger Arbeitslosigkeit.
Doch was diskutiert die Regierung: Die Abschaffung des sogenannten ”Dienstwagenprivilegs”, eigentlich eine Maßnahme zum Bürokratievermeidung, denn die Alternative ist das Führen eines Fahrtenbuchs.
Alle Bundestagsabgeordneten, die wider besseres Wissen immer wieder die Einschränkung dieser Pauschalbesteuerung fordern, möchte ich fragen:
Wollen Sie Ihre steuerfreie Kostenpauschale von zurzeit 4.725 Euro pro Monat und Ihre kostenlosen Dienst- und Privatfahrten mit der Bahn Card 100 Erste Klasse ebenfalls auf Einzelabrechnung umstellen und ein Fahrtenbuch führen?
 
Weniger Ausgaben ist die eine richtige Antwort auf das Urteil, die zweite ist, mehr Wachstum zu ermöglichen.
Weniger, schlankere und sachgerechte Regulatorik und dadurch weniger Bürokratie wäre die erste Maßnahme, um Wachstum zu beflügeln!
Wir sind zu langsam, zu kompliziert, zu analog!
An allen drei Stellschrauben könnte die Politik drehen und dabei gleichzeitig dem Wachstum einen Schub geben.
PISA hatte ich genannt: Um das Arbeitskräftepotenzial zu erhöhen, bräuchten wir eine zweite Bildungsexpansion! Aber diesmal eine, an deren ersten Stelle Qualität steht und nicht Quantität!
Die 1,2 Millionen Langzeitarbeitslose ohne formalen Abschluss und die mehr als 550.000 jungen Erwachsenen unter 24 Jahren, die weder in Ausbildung noch in Studium sind, zeigen die Potenziale auf!
In der Bildungspolitik gibt es keine schnellen Erfolge. Dieser Weg ist mühsam. Aber er lohnt sich: für den Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes.

Entfremdung zwischen Politik und Wirtschaft

Vor solchen grundlegenden Antworten drückt sich Politik zu häufig. Dieser Unwille, Probleme strukturell anzugehen, hat auch zu einer wachsenden Entfremdung zwischen Politik und Wirtschaft geführt.
Ein Hinweis: Obwohl ich heute von ”der Politik” spreche, weiß ich natürlich, dass es ”die Politik” nicht gibt.
Heute beziehe ich mich der Aktualität wegen vor allem auf die Bundesebene und die aktuelle sowie vorherige Bundesregierungen, weniger auf die Landes- und kaum auf die Kommunalpolitik. Und anwesende Politikerinnen und Politiker sind sowieso grundsätzlich ausgenommen!
Unternehmerinnen und Unternehmer verstehen immer weniger, was Politik da eigentlich macht. Die Ergebnisse politischen Handelns in Form schlechter, falscher und widersprüchlicher Regulatorik erschwert uns extrem das erfolgreiche Wirtschaften. Und “erfolgreich wirtschaften” heißt nicht, irgendwelche Traumrenditen für Shareholder zu generieren.
Nein, ”erfolgreich wirtschaften” heißt, Nachfrage am Markt – beispielsweise nach der Pflegekraft für meine Angehörigen, nach Installation einer Wärmepumpe oder auch nur nach einem guten Abendessen im Restaurant – überhaupt noch bedienen zu können.
Nie zuvor habe ich so viel Enttäuschung von meinen Unternehmerkolleginnen und -kollegen gehört wie in diesem Jahr. Wer auf unserem IHK-Wirtschaftsforum war und die Unternehmerinnen und Unternehmer auf dem Podium gehört hat, konnte diesen Frust live miterleben.
Und immer häufiger höre ich die Frage von Familienunternehmern: Will ich meinen Kindern das eigentlich zumuten? Und da viele mittlerweile diese Frage für sich mit ”Nein” beantwortet haben, erleben wir überspitzt gesagt:
Große Unternehmen verlagern, mittlere verkaufen und kleine hören einfach auf!
 
Wer das nicht glaubt, dem empfehle ich den aktuellen Unternehmensnachfolge-Report der IHK-Organisation.
Unser DIHK-Präsident Adrian schreibt frustriert:
“Für Unternehmerinnen und Unternehmer war es noch nie so schwer, eine geeignete Nachfolge zu finden. Besonders alarmierend: ein Viertel erwägt sogar, den Betrieb vorzeitig zu schließen!”
Wohl gemerkt: Hier geht es nicht speziell um besonders energieintensive Industrieunternehmen im internationalen Wettbewerb, um die sich der Wirtschaftsminister exklusiv zu sorgen scheint, sondern um die Breite der Wirtschaft.
Die Folgen sind dieser Entwicklung für die Gesellschaft als Ganzes sind gravierend!
Die Entfremdung zwischen Wirtschaft und Politik: Woher rührt sie genau? Was ”befremdet” Unternehmerinnen und Unternehmer am politischen Handeln? Dazu will ich in den folgenden Minuten einige Überlegungen anstellen.

Es sind meines Erachtens fünf zentral Punkte, die eine Kluft zwischen Wirtschaft und Politik bewirken:

  1. Realitätsverweigerung
  2. Fehlende Priorisierung
  3. Untaugliche Antworten auf Probleme
  4. Den zweiten Schritt vor dem ersten tun
  5. Bevormundung, Übergriffigkeit und Misstrauen

1. Lassen Sie mich starten mit der Realitätsverweigerung.

”Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.” Dieses Zitat stammt nicht von einer Unternehmerin oder einem Unternehmer, sondern vom Sozialdemokraten Kurt Schumacher, einem der Gründungsväter unserer Republik.
Politik hat ein Stück weit verlernt, Realitäten anzuerkennen. Das befremdet Unternehmerinnen und Unternehmer auch deshalb so sehr, da Realitätsverweigerung im Unternehmen unweigerlich ins Aus führt.
Als Unternehmer kann ich nicht ignorieren, wie der Markt sich ändert, was der Mitbewerber tut, was meine Kunden nachfragen, was meine Mitarbeiter fordern. Ich muss mein Geschäftsmodell kontinuierlich in Frage stellen, nachjustieren, neu ausrichten und dann meine Belegschaft mitnehmen und eine entsprechende Finanzierung der Pläne sicherstellen.
Kanzler Scholz hat das Bundesverfassungsgerichtsurteil so kommentiert “Dieses Urteil schafft eine neue Realität.” Na ja, man könnte auch formulieren: Dass es überhaupt zu diesem Urteil kam, erklärt sich nur mit Realitätsverweigerung im Vorfeld.
Ähnlich entlarvend hat übrigens Wirtschaftsminister Habeck reagiert: “Wir sind umzingelt von Wirklichkeit”, hat er in der Talkshow von Anne Will gesagt. Ein seltsames Bild: Denn wo steht der Herr Minister, wenn ihn Wirklichkeit umzingeln kann? Offensichtlich außerhalb der Realität.
Vielleicht hilft das aktuelle Urteil des Verfassungsgerichts der Politik dabei, die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen und leistet damit einen Beitrag, die Entfremdung zwischen Wirtschaft und Politik ein wenig einzudämmen.

2. Fehlende Priorisierung

Ressourcen sind begrenzt, und damit meine ich jetzt nicht nur Finanzen. Ich meine auch die dafür notwendige Energie, die Kraft, die Zeit, die Aufmerksamkeit, das Organisieren von Beteiligung und Gefolgschaft.
Umso wichtiger ist die Priorisierung – das gilt für Unternehmen wie für die Politik. Beispiel Klimaschutzpolitik: Mit einer konsistenten Orientierung an den CO2-Vermeidungskosten jeder Maßnahme, hätte die Politik ein gutes Maß, um effektiv und effizient Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren.
Allzu oft versucht sie es indes mit einer kleinteiligen, inkonsistenten und extrem teuren Regulatorik.

3. Untaugliche Antworten auf Probleme

Unsere Ressourcen – in jeder Hinsicht – sind begrenzt. Das verlangt nicht nur Priorisierung, das verlangt auch, diese Ressourcen zielgenau einzusetzen.
Für Unternehmen ist das überlebensnotwendig. Sie können sich – anders als der Staat – kein Geld drucken und über die eigene Leistungsfähigkeit hinaus verschulden. Das heißt: Wenn ich ein Problem adressieren will, dann brauche ich ein zielgenaues, also effektives Instrument.
Beispiel Pandemie: Konjunkturpakete in der Corona-Krise waren verkehrt. Die wirtschaftlichen Probleme rührten von einem Angebotsschock, ausgelöst durch gestörte Lieferketten, geschlossene Betriebe und so weiter. Weitere zusätzliche Nachfrage, befeuert durch teure Konjunkturpakete, ging am eigentlichen Problem also komplett vorbei und wirkte sogar krisenverschärfend.

4. Der zweite Schritt vor dem ersten

Mal ehrlich: Würden Sie ihr altes Auto auf dem Schrottplatz abgeben, um so die Lieferung ihres neuen Autos zu beschleunigen? Vermutlich nicht.
Die Bundesregierung handelt im Bereich Energie aber genauso! Sie schaltet alte konventionelle und atomare Kraftwerke nach festen Fristen ab, um so den politischen und gesellschaftlichen Handlungsdruck zu erzeugen, der erforderlich ist, um die erneuerbaren Energien auszubauen. Um dies sozusagen ”alternativlos” erscheinen zu lassen.
Das Problem ist nur: Es funktioniert nicht, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, wenn Material fehlt, Fachkräfte, Leitungen etc… Und wenn Politik lokal und regional nicht bereit oder in der Lage ist, Bürgerinnen und Bürger vom Ausbau der Erneuerbaren zu überzeugen. Beste Beispiele dafür sind die jüngsten Bürgerentscheide zu Windparks in Meckesheim und Waibstadt.

5. Bevormundung, Übergriffigkeit und Misstrauen

Unternehmerinnen und Unternehmer müssen führen, dazu müssen sie Prioritäten setzen, Pläne entwickeln und viele Entscheidungen treffen.
Sie bauen aber gleichzeitig auf die Kreativität und vor allem auf die Eigenverantwortung ihrer Miterbeiter. Sie machen nicht alles selbst und verlieren sich vor allem nicht in Details.
Die wahrgenommene Politik macht es gerade andersherum.
Das zeigt sich daran, dass Politik dem Staat immer mehr Aufgaben zuweist. Die Rechtsansprüche gegenüber dem Bürger werden immer mehr. Die Folgen sind eine steigende Staats- und Steuerquote, ein steigender Anteil Beschäftigter im öffentlichen Sektor.
Der Staat überfordert damit aber nicht nur die Steuer- und Abgabenzahler, beispielsweise in der Rente mit Wahlgeschenken wie der Mütterrente oder der Rente mit 63.
Er macht auch Geschäfte zu Lasten Dritter: So hat das Teilhabechancengesetz den Kommunen viele zusätzliche Lasten aufgebürdet.
Diese vermeintliche Omnipotenz der Politik und des Staates betrifft aber nicht nur die Leistungsseite. Sie betrifft auch die Regulierungsseite. Wir brauchen wieder mehr Freiheit vom Staat:
Der bürokratische Aufwand, den wir in unseren Unternehmen treiben, ist gewaltig: Der Nationale Normenkontrollrat hat in seinem jüngsten Gutachten festgestellt, dass die Bürokratiekosten im vergangenen Jahr ein neues Rekordniveau erreicht haben.
Aber die Bürokratie ist nur das Symptom für ein sehr viel grundlegenderes Problem: die Regulatorik, also die Einschränkung bzw. Steuerung von Handlungsmöglichkeiten.
Bestes Beispiel hierfür sind Gesetze wie das Whistleblowergesetz oder das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Aus ihnen spricht ein grundlegendes Misstrauen gegenüber Unternehmen.
Die Lösung im Sinne der Gesetze: ein unglaublicher Dokumentationsaufwand.
Durch die Vielzahl und Art der Eingriffe, wird die Politik häufig als übergriffig empfunden und erlebt.
Es muss aber grundsätzlich wieder möglich sein, ein mittelständisches Unternehmen ohne Heerscharen an Beratern zu führen: für Steuern, für Datenschutz, für CO2-Footprint, für Taxonomie, für zig Zertifizierungen.
Diese fehlgeleitete Regulatorik und dieses Misstrauen sind die Hauptgründe für die gewachsene Entfremdung zwischen Wirtschaft und Politik. Misstrauen führt zu Entfremdung.
Damit möchte ich meine Überlegungen zur Entfremdung zwischen Politik und Unternehmern beenden, nicht ohne den nochmaligen Hinweis, dass ich bis dahin hauptsächlich die übergeordneten Politischen Ebenden gemeint habe, also vernehmlich die Bundespolitik und die Regelungen, die aus Brüssel kommen.

Vor allem muss also die Bundespolitik ihre Hausaufgaben erledigen. Das heißt aber nicht, dass auf regionaler Ebene die Handlungsbedarfe gering wären. Vielmehr müssen wir uns im Klaren sein, dass sich auch die regionalen Verteilungskämpfe verschärfen werden.
Anlässlich der Kommunalwahlen 2024 haben wir die wichtigsten Handlungsfelder in den regionalpolitischen Positionen der IHK zusammengestellt und in unserer Vollversammlung gerade vorhin verabschiedet.

Die größten Herausforderungen aus Sicht der Unternehmen der Region liegen:

  1. in der Lösung der diversen Mobilitätsprobleme,
  2. in der Sicherung der Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen,
  3. in Erhalt bzw. Revitalisierung unserer Innenstädte,
  4. in der Bewältigung des Flächenmangels sowie
  5. in der Stärkung des Innovationsstandorts.
Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten eine Vielzahl von Gesprächen mit der Kommunalpolitik geführt. Dabei haben wir gespürt, dass auch die Kommunen sich von Bund und Land oftmals nicht verstanden fühlen. Was uns eint, ist, dass die Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte – genau wie wir – konkrete Lösungen liefern müssen, die in der Praxis funktionieren.
Bei vielen Aufgaben brauchen wir dabei den regionalen Schulterschluss, nicht nur über Kommunen hinweg, sondern auch über einzelne Akteure aus Wirtschaft oder Bildung.

Die Metropolregion Rhein-Neckar bietet mit ihren Institutionen dafür den richtigen Rahmen. Im Vorstand des Vereins “Zukunft Metropolregion Rhein-Neckar” gab es einige Veränderungen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit in der neuen Konstellation!

Aus Sicht der IHK gibt es insbesondere drei wichtige und lohnenswerte Handlungsfelder für die Region:

  1. Bildung: Die Region sollte es sich zur Aufgabe machen, Spitzenreiter in der Bildung zu werden! Und zwar über die gesamte Kette hinweg: von Kitas und Grundschulen über die weiterführenden und Berufsschulen bis hin zu den Hochschulen. Und wir brauchen ein sehr gutes Übergangssystem für jene, die trotzdem ohne Abschluss die Schule verlassen. Wir als IHKs bringen unsere Verantwortung für die duale Ausbildung ein. Für das duale System wäre es ein Riesengewinn, wenn wir bei den Grundkompetenzen in der Sprache, in Mathematik und in den Naturwissenschaften vorankämen.
  2. Energie: Ob unser Wirtschaftsstandort an Rhein-Neckar eine Zukunft hat, hängt an einer sicheren Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen. Mit unserer Stromstudie haben wir gezeigt, was dafür im Bereich Leitungsinfrastruktur und Ausbau der Erneuerbaren zu tun ist.
  3. Regulatorik: Nicht alles, was den Unternehmen das Leben schwer macht, kommt aus Berlin oder Brüssel. Beispiele sind Gestaltungssatzungen in den Kommunen oder Gewerbe- und Grundsteuern. Auch hier gilt: Kein weiteres Drehen an der Bürokratie- und Kostenschraube!
Denn der kluge Handwerker weiß beim Drehen einer Schraube:
Nach fest kommt ab!

Fazit: Unternehmen sind Kitt in der Gesellschaft

Ja, gewaltige Aufgaben, aber hier kann Politik im Lokalen und Regionalen zeigen, dass sie realistisch, glaubwürdig und verlässlich sein kann.
Das wäre ein großer Beitrag, um die dargestellte Entfremdung zwischen Wirtschaft und Politik ein Stück weit zu verkleinern.
Für Vertrauen, für Zutrauen in Unternehmerinnen und Unternehmer gibt es meines Erachtens viele und gute Gründe.
Unternehmen leisten einen entscheidenden Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie wirken als Kitt in einer Gesellschaft, die zunehmend in einzelne Milieus und Gruppen zerfällt:
In unseren Unternehmen kommen Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen und Herkünften zusammen, um gemeinsam an Zielen zu arbeiten. Unternehmen sind soziale Schmelztiegel. Sie schaffen Nähe, sie schaffen Berührung, sie schaffen ein Gefühl von Gemeinschaft.
Dieser Schmelztiegel zeigt sich besonders gut in der Integration von Geflüchteten und Migranten. BDA-Präsident Dulger hat mal treffend formuliert: Aus Fremden wurden Kollegen, aus Kollegen Freunde. Ohne Integration in Arbeit gibt es keine gelingende Integration!
Gerade der Mittelstand leistet in Sachen gesellschaftlicher Zusammenhalt Herausragendes, weil wir unsere Kolleginnen und Kolleginnen, ihre Lebensläufe und familiären Hintergründe oftmals persönlich kennen und sie über lange Zeiträume begleiten.
Leider wird dieser Beitrag der Unternehmen zum Funktionieren und Gedeihen unserer Gesellschaft viel zu wenig wahrgenommen und fast nie gewürdigt. Dieser Beitrag wird als selbstverständlich vorausgesetzt.
In diesem Sinne habe ich zwei Appelle an die Politikerinnen und Politiker:
  1. Nehmt wirtschaftliche Realitäten zur Kenntnis! Diese „Erdung“ brauchen die Rahmenbedingungen, die Politik zu setzen hat. Tut Politik das nicht, erfahren wir eine realitätsfremde Regulatorik.
  2. Habt Vertrauen in die Unternehmen! Habt vor allem Vertrauen in die Unternehmerinnen und Unternehmer! Seid euch bewusst, was für den sozialen Zusammenhalt auf dem Spiel steht, wenn Unternehmen diese Leistung nicht mehr erbringen können.