IHK-Vollversammlung

"Knappheiten an Märkten abmildern und Preissteigerungen begrenzen"

Mannheim, 15. September 2022. Die aktuelle Lage stand im Mittelpunkt der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Rhein-Neckar.
“Wir sehen uns konfrontiert mit einer Energiekrise, einer galoppierenden Inflation, einbrechenden Investitionen der Unternehmen bei gleichzeitig abgestürzter Verbraucherstimmung. Das alles zusammen ist für die Wirtschaft bereits toxisch und wird noch zusätzlich verstärkt durch staatliches Handeln, das hilflos wirkt”, sagte IHK-Präsident Manfred Schnabel vor den Vollversammlungsmitgliedern, die am 14. September 2022 in der Aula der Mannheimer Universität tagten.
Als Beispiel für falsche Antworten der Politik nannte Schnabel die Absenkung der Mehrwertsteuer für Gas, die bei den Unternehmen aber nicht ankommt. “Viel wichtiger wäre es, dass die Politik alles tut, die Knappheiten an den Energiemärkten abzumildern und die Preissteigerungen zu begrenzen”, forderte der IHK-Präsident. Es sei daher auch richtig, dass die Preisbildung am Strommarkt so geändert werden soll, dass nicht mehr die derzeit extrem teure Stromerzeugung durch Gas den Preis am Gesamtmarkt bestimme. “Das muss die Politik unverzüglich umsetzen. Wir kennen Unternehmen, die mit einer Vervielfachung des Strompreises konfrontiert sind, manche erhalten gar keine Anschlussverträge mehr”, sagte Schnabel. 
Er erneuerte seinen Appell an die Politik, auch in der Finanz- und Wirtschaftspolitik die Zeitenwende zu vollziehen. “Mit dem Vorkrisen-Mindset ist die Politik nicht in der Lage, uns durch die gegenwärtigen multiplen Krisen zu steuern”, sagte Schnabel, der die Lage in den Unternehmen in Erinnerung rief. “Die Betriebe sind gezwungen, radikal umzubauen und Investitionen zurückzufahren, während die Öffentliche Hand business as usal plant. Das wird nicht funktionieren!” Angesichts der absehbaren Rezession fordert der IHK-Präsident, dass sich der Staat vor allem auf eine Stärkung der Investitionsbereitschaft der Betriebe in der Breite konzentriert. Diese Forderung ist auch zentraler Bestandteil einer Resolution, die die Vollversammlung beschlossen hat und an die Politik adressiert. 
In der Aussprache äußerten sich die Vollversammlungsmitglieder besorgt über die Lage und vor allem über die Aussichten. So verwiesen Vertreter der Industrie darauf, dass die Preisschocks bei Energie und Rohstoffen in Kombination mit Lieferengpässen und fehlenden Fachkräften es sehr schwer mache, die vollen Auftragsbücher abzuarbeiten. “Die Unsicherheit ist die größte Belastung,” fasste es ein Maschinenbauer zusammen. Es bestehe die große Sorge, dass die Wirtschaft unabhängig von den aktuellen Problemen mittel- und langfristig sehr viel Wettbewerbsfähigkeit einbüße. Vertreter des Handels zeigten sich besorgt über das eingebrochene Konsumklima. Die Verbraucher hielten das Geld zusammen, gleichzeitig litt der Handel unter steigenden Kosten für Energie und Vorleistungen sowie extrem langen Lieferzeiten.
Einem Vertreter aus dem personalintensiven Dienstleistungsbereich bereitet der durch die Mindestlohnerhöhung ausgelöste Kostenschub bei einfachen Tätigkeiten Sorge. “Meine Kunden sind derzeit aber nicht bereit oder in der Lage, die dafür nötigen Preisanpassungen zu akzeptieren”, sagte eine Unternehmer.
Vertreter der Banken beschrieben das Dilemma, dass eine Korrektur der fehlgeleiteten EZB-Politik unumgänglich ist, anderseits erhöhte Zinsen die gerade jetzt notwendigen Unternehmensinvestitionen deutlich erschwerten. Ein Bankvertreter berichtete, dass sowohl die Nachfrage nach Immobilien- als auch Unternehmenskrediten zurückgehe. 
Auch das Hotel- und Gaststättengewerbe fühlt sich in die Zange genommen von den explodierenden Energiekosten auf der einen und dem Fachkräftemangel auf der anderen Seite. “Zwei Jahre Corona haben in unserer Branche alles verändert”, so ein Gastronom. Als Konsequenz dünnten Restaurants Öffnungstage, Öffnungszeiten und ihr Angebot aus.
Gastredner auf der Vollversammlung war Professor Hubertus Bardt. Der Geschäftsführer des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) sprach über die aktuelle Energiekrise und die langfristigen Aussichten. Zur Lösung des Problems, dass derzeit die sehr teure Stromproduktion durch Gaskraftwerke den Preis bestimme, müsse jede verfügbare Kapazität ans Netz. “Wenn man das EU-weit hinbekäme, wäre das noch der geringste Markteingriff”, so der Ökonom. Skeptisch zeigt sich Bardt gegenüber Vorschlägen, in die Funktionsweise des Strommarkts einzugreifen. Dies sei mit schwer kalkulierbaren Risiken verbunden. Wenn der Staat etwas unkompliziert und ohne Markteingriffe tun wolle, könne er indes Steuern und Abgaben auf Energie senken.
Um den Unternehmen Luft zu verschaffen, schlug er ebenfalls ein einfaches Mittel vor: “Der Staat sollte auf die Steuervorauszahlungen verzichten. Das würde sehr kurzfristig die Liquidität verbessern”, regte Bardt an. Langfristig sei die größte Herausforderung, wie wir die Klimaziele ohne billiges russisches Gas hinbekommen sollen. “Das war die Brücke zur Dekarbonisierung. Doch die gibt es nicht mehr und das andere Ufer ist weit weg. Und selbst bei einem raschen Frieden würden wir uns nicht mehr auf die gleiche Abhängigkeit einlassen.” Bardts Fazit: “Wir werden beim Gas auch langfristig nicht mehr zu den alten Preisen zurückkehren.” Was das für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und damit unseren Wohlstand bedeutete, werde sich in den kommenden Jahren zeigen.