Abhängig beschäftigt oder selbständig?

Die Abgrenzungsfrage zwischen selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung (Scheinselbständigkeit) stellt sich immer dann, wenn unklar ist, ob eine Person selbständig oder als Arbeitnehmer tätig wird – insbesondere bei freien Mitarbeitenden, Subunternehmern oder projektbezogenen Dienstleistern.

Bedeutung der Abgrenzung

Die Frage der Abgrenzung ist relevant im Sozialversicherungsrecht (§ 7 SGB IV), im Arbeitsrecht (§ 611a BGB), im Steuerrecht sowie für straf- und ordnungsrechtliche Konsequenzen.
Die Abgrenzung entscheidet über die Versicherungspflicht in der Sozialversicherung, die arbeitsrechtlichen Schutzrechte (z. B. Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch), die steuerliche Behandlung (Lohnsteuer vs. Einkommensteuer) sowie über Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken für Auftraggeber und Auftragnehmer (z. B. wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen, § 266a StGB).
Wird eine Scheinselbständigkeit festgestellt, sind rückwirkend Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen, es drohen Bußgelder und ggf. strafrechtliche Sanktionen.

Entscheidungskriterien

Maßgeblich ist das Gesamtbild der Tätigkeit, wobei insbesondere folgende Kriterien heranzuziehen sind:
  • Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers
  • Weisungsgebundenheit hinsichtlich Zeit, Ort, Art und Weise der Tätigkeit
  • Fehlen eines eigenen Unternehmerrisikos
  • Keine eigene Betriebsstätte oder Betriebsmittel
  • Keine freie Gestaltung der Tätigkeit und Arbeitszeit
  • Keine unternehmerische Entscheidungsfreiheit
  • Art der Vergütung (feste Entlohnung spricht für Beschäftigung)
  • Auftreten nach außen (z. B. Nutzung von Firmenmaterial, E-Mail-Adresse)
  • Keine eigene Mitarbeiterverantwortung
Die vertragliche Bezeichnung ist lediglich ein Indiz; entscheidend ist die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses. Weichen Vertrag und tatsächliche Ausübung voneinander ab, ist die gelebte Praxis maßgeblich.

Wer entscheidet die Abgrenzungsfrage?

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) entscheidet im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV über den Erwerbsstatus. Im Streitfall entscheiden die Sozialgerichte. Für steuerliche Zwecke kann eine Anrufungsauskunft beim Finanzamt nach § 42e EStG eingeholt werden.
Clearingstelle für sozialversicherungsrechtliche Statusfragen
der Deutschen Rentenversicherung Bund /DRV Bund)
Service-Telefon: 0800 1000 4800
Webseite: www.deutsche-rentenversicherung.de

​​​​​​​Sind GmbH-Geschäftsführer selbständig?

Die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Selbstständigkeit von GmbH-Gesellschaftergeschäftsführern hängt maßgeblich von deren gesellschaftsrechtlicher Stellung und den konkreten Regelungen im Gesellschaftsvertrag ab.
Grundsätzlich gilt: Ein Gesellschaftergeschäftsführer ist dann als selbstständig tätig anzusehen, wenn er mehr als 50 % der Gesellschaftsanteile hält und damit die Rechtsmacht besitzt, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen. In diesem Fall kann er ihm nicht genehme Weisungen verhindern und ist nicht sozialversicherungspflichtig, selbst wenn er von dieser Rechtsmacht faktisch keinen Gebrauch macht.
Hält der Geschäftsführer exakt 50 % der Anteile, ist eine Einzelfallprüfung erforderlich. Eine bloße Sperrminorität reicht nach neuerer Rechtsprechung nicht immer aus.
Minderheitsgesellschaftergeschäftsführer sind grundsätzlich abhängig beschäftigt und damit sozialversicherungspflichtig, es sei denn, ihnen wird im Gesellschaftsvertrag eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt, die es ihnen ermöglicht, alle wesentlichen Beschlüsse zu verhindern. Stimmbindungsabreden oder Veto-Rechte außerhalb des Gesellschaftsvertrags sind für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung unbeachtlich.
Fremdgeschäftsführer (ohne Kapitalbeteiligung) sind regelmäßig abhängig beschäftigt. Die maßgeblichen rechtlichen Verhältnisse ergeben sich aus der Eintragung im Handelsregister; nachträgliche Änderungen sind erst ab Eintragung relevant.
Bei mehreren gleichberechtigten Gesellschaftergeschäftsführern (z. B. je 33,33 %) liegt bei einfacher Mehrheitsregelung grundsätzlich eine abhängige Beschäftigung vor, da keiner die Gesellschaft allein beherrschen kann. Die Rechtsprechung betont, dass allein die gesellschaftsrechtliche Rechtsmacht entscheidend ist; faktische Einflussmöglichkeiten oder familiäre Rücksichtnahmen genügen nicht.
Für die Rechtssicherheit empfiehlt sich in allen Konstellationen ein Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV.

Aktuelle Rechtsprechung

Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 14.3.2018 – B 12 R 5/16 R (veröffentlicht in BeckRS 2018, 5025) entschieden, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, der weniger als 50 % der Gesellschaftsanteile hält und dem keine umfassende („echte“/„qualifizierte“) Sperrminorität im Gesellschaftsvertrag eingeräumt ist, bei der GmbH sozialversicherungsrechtlich als abhängig beschäftigt gilt und damit der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.
Der Leitsatz des Urteils lautet: Gesellschafter-Geschäftsführer ohne Mindestkapitalbeteiligung von 50 % oder umfassender Sperrminorität sind bei der Gesellschaft abhängig beschäftigt.
Das BSG stellt klar, dass für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung allein die gesellschaftsvertraglich eingeräumte Rechtsmacht maßgeblich ist. Vereinbarungen außerhalb des Gesellschaftsvertrags, die sich auf die Stimmverteilung auswirken, sind unbeachtlich. Ein Fremdgeschäftsführer (ohne Kapitalbeteiligung) ist stets abhängig beschäftigt. Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer sind nur dann selbstständig, wenn ihnen eine umfassende Sperrminorität eingeräumt ist, die sämtliche unternehmerischen Entscheidungen betrifft.
Das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18.05.2023 (S 12 BA 2636/23) betrifft die Frage der Versicherungspflicht von Pflegefachkräften bei der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V.
Die Klage eines Pflegedienstes, der einen staatlich anerkannten Altenpfleger als Honorarkraft beschäftigte, wurde abgewiesen. Das Gericht stellte fest, dass der Altenpfleger in seinen Einsätzen als abhängig Beschäftigter tätig war und somit versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung, Krankenversicherung, sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung ist. Entscheidungsgrundlage ist die Eingliederung des Altenpflegers in die Arbeitsorganisation und das Weisungsrecht des Pflegedienstes, sowie die Erfüllung der regulatorischen Vorgaben. Die spezifischen Arbeitsbedingungen und der organisatorische Rahmen sprechen gegen eine selbstständige Tätigkeit, da die Pflegefachkraft trotz einiger eigenverantwortlicher Aspekte den Weisungen und der Struktur des Pflegedienstes unterlag und kein erhebliches Unternehmerrisiko trug.
Die Entscheidung betont, dass die Einordnung einer ambulanten Pflegekraft als versicherungspflichtige Beschäftigte regelmäßig unbeachtlich ist, ob die Rahmenbedingungen ihrer Pflegetätigkeit im Auftrag eines Pflegedienstes auf § 71 Abs. 1 SGB XI oder auf Vorschriften des SGB V beruhen.

Tipps zur Erlangung von Rechtssicherheit

Zusammenfassend lassen sich folgende Tipps festhalten:
  • Beantragung eines Statusfeststellungsverfahrens bei der DRV Bund nach § 7a SGB IV, möglichst vor Aufnahme der Tätigkeit
  • Sorgfältige, an den tatsächlichen Verhältnissen orientierte Vertragsgestaltung und deren konsequente Umsetzung in der Praxis
  • Bei Unsicherheiten im Steuerrecht: Anrufungsauskunft beim Finanzamt nach § 42e EStG
  • Orientierung an branchenbezogenen Katalogen der Sozialversicherungsträger und aktueller Rechtsprechung
  • Dokumentation der unternehmerischen Eigenständigkeit (eigene Betriebsstätte, eigenes Risiko, eigene Arbeitsmittel etc.)
  • Steuerrechtliche Fragen mit einem Steuerberater besprechen