"Polen hat weiter an Attraktivität gewonnen"

Polen hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem dynamischen und attraktiven Absatzmarkt und Standort für Investoren entwickelt. In einem exklusiven Interview teilt der Geschäftsführer der AHK Polen Dr. Lars Gutheil mit uns seine Einschätzungen zu aktuellen Entwicklungen und beleuchtet die Gründe, warum Polen auch künftig ein vielversprechendes Umfeld für deutsche Unternehmen bietet.
Herr Dr. Gutheil, wie schätzen Sie das Potenzial des polnischen Marktes aktuell ein?
Gutheil:
Polen ist eine der größten Volkswirtschaften der Region und der fünftwichtigste Handelspartner Deutschlands. Die Bedeutung des polnischen Marktes – sowohl als Absatzmarkt mit 38 Millionen Einwohnern, als auch Beschaffungsmarkt für viele deutsche Branchen – ist über die Jahre kontinuierlich gestiegen. Angesichts der globalen Verschiebung von Lieferketten hat Polen weiter an Attraktivität gewonnen. Eine moderne Infrastruktur, effiziente Verwaltung, motivierte Fachkräfte machen auch den polnischen Markt für die Zukunft fit.

Die EU-Fördermittel aus dem Wiederaufbaufonds in Höhe von fast 60 Milliarden Euro fließen zu einem großen Teil in zukunftsträchtige Bereiche wie die Energiewende und moderne Technologien, vor allem Digitalisierung. Dies schafft enorme Potenziale für neue Projekte.

Schon heute sind digitalisierte Verwaltung oder digitale Dienstleistungen, die von Investoren sehr geschätzt werden, ein wichtiger Standortvorteil. Sonderwirtschaftszonen und zahlreiche staatliche Anreize schaffen ein unternehmensfreundliches Umfeld. Die Pläne für die Osterweiterung der EU werden auch Polens künftige Rolle in der Region beeinflussen. In diesem Sinne würde ich sagen, dass Polen bereits heute ein bedeutender Markt ist und viele Schritte unternimmt, um seine Position für die Zukunft noch weiter zu stärken.
Welche Branchen oder Sektoren bieten das größte Potenzial für Investitionen und Geschäftserweiterungen?
Gutheil:
Die Automobilindustrie ist sehr stark in Polen repräsentiert, auch im E-Mobility Bereich. Polen ist der größte Batterie-Hersteller für E-Autos in Europa. Darüber hinaus werden Branchen im Umfeld der grünen Transformation gefördert. So entwickelt sich etwa der Markt für Wärmepumpen dynamisch. Ebenso spielen Windkraft und Photovoltaik eine entscheidende Rolle für den polnischen Energiewechsel.

Grundsätzlich erleben wir aber eine hohe Investitionsdichte in allen industriellen Bereichen, etwa auch im Maschinenbau, der Metallverarbeitung, der Elektronik und Elektrotechnik sowie in anderen Schlüsselbranchen wie der Lebensmittelindustrie, Kunststoffen und Chemie.

Wir sollten aber nicht vergessen, dass Polen mittlerweile hervorragende Bedingungen für Dienstleistungen bietet. Das Land hat nicht nur die meisten IT-Studienabgänger in ganz Mittel- und Osteuropa, sondern ist stark auf Feldern wie E-Commerce, Bauen 4.0, Medizin 4.0 und Medizintechnik und Smart-City-Anwendungen
Wie unterstützt die AHK Polen Unternehmen aus beiden Ländern bei der Erschließung neuer Märkte und der Lösung von geschäftlichen Herausforderungen?
Gutheil:
Die AHK Polen bietet nicht nur Unterstützung bei der Markterschließung und Ansiedlung in Polen an, sondern auch bei Folgeschritten wie Gründungen, Recruitment, Arbeitsrecht und Buchhaltung. Aber natürlich vermitteln wir auch ganz einfach Vertriebspartner, potenzielle Abnehmer oder Lieferanten – je nach den Bedürfnissen unserer Kunden. Nicht zu vergessen: Unser Netzwerk aus über 1.100 Mitgliedsunternehmen ist eine starke Gemeinschaft, die Know-how bündelt und in der man Gleichgesinnte findet sowie Erfahrungen austauschen kann.
Welche wirtschaftlichen Faktoren machen Polen zu einem attraktiven Wirtschaftsstandort, insbesondere in den letzten Jahren?
Gutheil:
Polen ist ein Land mit solidem Wirtschaftswachstum, einem großen Binnenmarkt und einer exportstarken und diversifizierten Industrie. Die EU-Mitgliedschaft ermöglicht den unbehinderten Zugang zum Binnenmarkt. Die Arbeitskosten sind immer noch niedriger als in Deutschland, obwohl Polen kein Billiglohnland mehr ist. Die Verfügbarkeit von gut ausgebildeten und motivierten Fachkräften ist trotz niedriger Arbeitslosigkeit höher als in den meisten anderen Märkten der Region. Unternehmen können auch Vorteile über so genannte Sonderwirtschaftszonen mit attraktiven Steuernachlässen und öffentlichen Beihilfen in Anspruch nehmen. Eine gute Infrastruktur, die zentrale Lage und eine gute Unterstützung durch die regionalen Wirtschaftsförderungen gehören zu den weiteren Pluspunkten. Polen verfügt mittlerweile über eine breite Zuliefererbasis und starke Industriecluster, etwa in den Sektoren Automotive, Luftfahrtindustrie und IKT.
Welche Rolle spielen infrastrukturelle Entwicklungen wie neue Verkehrswege und digitale Infrastruktur?
Gutheil:
Das Investitionsvolumen wächst kontinuierlich, die Investoren erwarten dabei moderne und effiziente Standortbedingungen. Diese haben sich in Polen sehr entwickelt, es wurden jahrzehntelang erhebliche Mittel in die Infrastruktur investiert. Dies bringt Resultate: Laut der jüngsten Konjunkturumfrage der AHK Polen aus dem Frühjahr 2024, werden die Infrastruktur im Sinne von Straßen, Flughäfen, Logistikzentren, aber auch die digitale Infrastruktur, der Zugang zu schnellem Internet et cetera, besser bewertet als die auf Arbeitskräfte bezogenen Vorteile, die traditionell als eine der größten Stärken des Standorts Polens galten.

Polen verfügt über fast 5.000 Autobahnkilometer. Bis 2025 soll das Streckennetz auf 6.000 km anwachsen. Investitionen in den Ausbau des Schnellstraßennetzes von über 17 Milliarden Euro bis 2025 sind geplant. Digitalisierung der Verwaltung und digitale Dienstleistungen gehören zu den am höchsten bewerteten Standortsvorteile Polens. Diese günstigen Rahmenbedingungen für die geschäftliche Tätigkeit tragen erheblich dazu bei, dass 98,2 Prozent aller Befragten erklären, dass sie wieder Polen als Standort für Ihre Investition wählen würden. Gerade wurde außerdem der Bau eines neuen Super-Flughafens zwischen Warschau und Lodz bestätigt, der vor allem erhebliche Potenziale bei der Schaffung neuer Highspeed-Schienenverbindungen bietet.
Das Interview führte Ilona Jakubek vom Kompetenzzentrum Polen.