EU-Richtlinien und ihre Umsetzung

Eine Richtlinie ist ein Rechtsakt, in dem ein von allen EU-Ländern zu erreichendes Ziel festgelegt wird. Es ist jedoch Sache der einzelnen Länder, eigene Rechtsvorschriften zur Verwirklichung dieses Ziels zu erlassen.

Charakteristika der EU-Richtlinie

Die EU-Richtlinie gehört zusammen mit den:
  • Verordnungen,
  • Entscheidungen,
  • Empfehlungen und Stellungnahmen
zum sogenannten "sekundären Gemeinschaftsrecht".
Im Unterschied zur Verordnung gilt eine Richtlinie nicht unmittelbar in jedem Mitgliedstaat, sondern richtet sich zunächst an die Mitgliedstaaten, die die Richtlinie in nationales Recht umsetzen müssen.
Eine Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.
Den Mitgliedstaaten wird somit gestattet, ein gemeinsames Ziel jeweils entsprechend ihren nationalen Gegebenheiten über unterschiedliche Wege zu erreichen.
Die  Richtlinien dienen daher der Rechtsangleichung und nicht der Rechtsvereinheitlichung.

Wie wird eine Richtlinie in das deutsche Recht umgesetzt?

Die Umsetzungspflicht der Mitgliedstaaten umfasst eine genaue und fristgerechte Umsetzung. Die Mitgliedstaaten müssen diejenige innerstaatliche Handlungsform wählen, die für die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts ("effet utile") am besten geeignet sind.
Im deutschen Recht reichen Verwaltungsvorschriften zur Umsetzung nicht aus. Die aufgrund der Richtlinie erlassenen Umsetzungsrechtsakte stehen nicht mehr zur freien Disposition des nationalen Gesetzgebers, der keine entgegenstehende Abänderung vornehmen darf.

Was bedeutet unmittelbare Anwendbarkeit?

Richtlinien können ausnahmsweise unmittelbar anwendbar sein, wenn sie von dem jeweiligen Mitgliedstaat nicht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden und die Bestimmungen der Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind.
Eine Richtlinie ist inhaltlich unbedingt, wenn sie keinem Vorbehalt oder einer Bedingung unterliegt.
Hinreichende Genauigkeit liegt vor, wenn der begünstigte Personenkreis und die Rechte, die gewährt werden sollen, klar erkennbar sind.
Dieser Auffassung liegt die Überlegung zugrunde, dass die praktische Wirksamkeit ("effet utile") einer Richtlinie beeinträchtigt wäre, wenn der Eintritt ihrer Rechtswirkungen alleine davon abhinge, dass die Mitgliedstaaten ihrer Umsetzungspflicht nachkommen.
Des Weiteren beruft sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf das Verbot des widersprüchlichen Verhaltens, wonach es den Mitgliedstaaten verwehrt sei, sich gegenüber einzelnen mit der Verletzung von gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen zu verteidigen.
Abgesehen von der unmittelbaren Anwendbarkeit sind die nationalen Rechtsprechungsorgane vor und nach der Umsetzung von Richtlinien dazu verpflichtet, dass nationale Recht so auszulegen, dass es soweit wie möglich mit dem Wortlaut und den Zielen des Gemeinschaftsrechts und der konkreten Richtlinie übereinstimmt.
Die Grenzen der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung finden sich in den Auslegungsregeln und im Wortlaut des nationalen Rechts.

Was versteht man unter vertikaler und horizontaler Direktwirkung?

Als vertikale Direktwirkung bezeichnet man die unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien im Verhältnis Bürger - Staat. Ein Privater kann sich bei fehlender Umsetzung gegenüber dem Mitgliedstaat auf Bestimmungen einer Richtlinie berufen. Umgekehrt ist dies aber nicht der Fall, denn die Richtlinie enthalten nur Verbindlichkeiten für Mitgliedstaaten.
Horizontale Drittwirkung bezeichnet die unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien im Verhältnis zwischen privaten Personen.
Aufgrund der Tatsache, dass Adressaten von Richtlinien nur Mitgliedstaaten und nicht Privatpersonen sein können und dass die Direktwirkung von Richtlinien Sanktionscharakter gegenüber den Mitgliedstaaten hat, wird die horizontale Drittwirkung überwiegend abgelehnt.

Welche Rechtsfolge hat die unmittelbare Anwendbarkeit?

Die Gerichte sowie die nationalen Behörden haben auf jeder Ebene die betreffende Richtlinienbestimmung als geltendes Recht zu beachten. Der einzelne braucht sich nicht auf die unmittelbare Anwendbarkeit berufen, da sie von Verwaltungen und Gerichten von Amts wegen zu beachten ist.

Gibt es über die unmittelbare Anwendbarkeit hinaus eine Haftung der Mitgliedstaaten für nicht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzte Richtlinien?

Die unmittelbare Anwendbarkeit wird nicht als ausreichend erachtet, um die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, so dass der EuGH einen gemeinschaftsrechtlichen Schadensersatzanspruch geschaffen hat.
Dessen Voraussetzungen ist, dass die Richtlinie dem einzelnen Rechte verleiht, die Rechte auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden können, ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die Umsetzungspflicht und dem eingetretenen Schaden besteht und der Verstoß hinreichend qualifiziert, das heißt offenkundig und erheblich ist.