Wie Lieferengpässe und steigende Rohstoffpreise deutsche Unternehmen belasten

Die anhaltende globale Rohstoffknappheit und Lieferengpässe bei Vorprodukten haben große Auswirkungen auf Lieferketten und die Produktion in Unternehmen. Welche Faktoren zur derzeitigen Situation geführt haben, welche Branchen am meisten betroffen sind und wie Unternehmen auf die Lage reagieren, lesen Sie in diesem Artikel.

Rohstoffmangel bremst Wirtschaftswachstum

Das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung spricht bereits von einer Dämpfung des Wirtschafts-Booms aufgrund von Lieferschwierigkeiten im ersten Halbjahr dieses Jahres. Denn veränderte Rahmenbedingungen durch Lieferengpässe, immer weiter steigende Transportkosten und eine Verknappung der globalen Rohstoffverfügbarkeit verschieben den Aufschwung der deutschen Wirtschaft in die zweite Jahreshälfte.
Durch die Corona-Pandemie sanken 2020 die Umsatzzahlen beim Export im IHK-Bezirk von rund 16,8 Milliarden Euro im Jahr 2019 auf 16,2 Milliarden Euro. “Wir sind eine exportstarke Region. Unsere Industrieunternehmen verdienen sechs von zehn Euro im Ausland. Damit Lieferkettenprobleme bei Waren und Dienstleistungen oder wie im Moment Rohstoffen abgefedert werden können, ist es wichtig, sein Auslandsgeschäftsmodell breit aufzustellen”, sagt Jürgen Lindenberg, geschäftsführender Gesellschafter der Lindy-Elektronik GmbH und Vorsitzender des IHK-Außenwirtschaftsausschusses.
Die Lieferengpässe und der Mangel an Vorprodukten sind nicht auf ein singuläres Ereignis zurückzuführen. Vielmehr handelt es sich um eine Verkettung verschiedener Faktoren, welche sich gegenseitig bedingen und beeinflussen.

Bedarf an Rohstoffen steigt stetig

Eine der Ursachen für die globale Rohstoffknappheit ist ein rasanter Anstieg der Nachfrage in zahlreichen Branchen. Insbesondere in den USA führen die von der Regierung erlassenen Konjunkturprogramme und die sinkende Arbeitslosigkeit zu verstärktem Konsum. In China bewegen sich die Corona-Fallzahlen bereits seit dem zweiten Quartal des vergangenen Jahres auf einem sehr niedrigen Niveau. Die chinesische Wirtschaft befindet sich weiterhin in einer Aufschwungphase und kurbelt die Nachfrage an. Auch in Deutschland ist ein Nachholkonsumverhalten zu beobachten, mit welchem die Bevölkerung die Zeit des geringen Konsums während den Höhepunkten der Corona-Pandemie auszugleichen versucht. Die von Unternehmen im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres gedrosselten Produktionskapazitäten konnten diesen Anstieg der Nachfrage in der zweiten Jahreshälfte 2020 nicht vollständig auffangen.
Insbesondere der steigende Bedarf an Rohstoffen wie Lithium, Kobalt und Seltenen Erden führt zu erheblichen Produktionsengpässen. In Deutschland erfährt die E-Mobilität auch aufgrund staatlicher Programme und Zuschüsse derzeit ein Allzeithoch. Für den forcierten Ausbau der Erneuerbaren Energien werden viele Rohstoffe benötigt, die am Markt derzeit nicht ausreichend verfügbar sind.
Die Nachfrage nach Elektronik- und Fitnessgeräten hat sich durch die Arbeit im Home-Office und Einschränkungen des öffentlichen Lebens stark erhöht. Dies wirkt sich auf den Halbleitermarkt aus und damit auch auf die Herstellung von Mikrochips. Insbesondere in der Automobilindustrie können Lieferzeiten zum Teil nicht mehr eingehalten werden und es kommt mitunter zu Produktionsausfällen. “Wenn sich Geschäftsoptionen der Zulieferer außerhalb des Automotivebereichs anbieten, dann werden diese natürlich genutzt. So wurden etwa Halbleiter deutlich mehr in die Unterhaltungselektronik-Industrie geliefert als in den Automotivesektor – meist auch zu deutlich besseren Konditionen. Wir sind zuversichtlich, dass sich die Situation mit den Halbleitern bald bessern wird, aber sie wird uns sicherlich bis ins dritte Quartal beschäftigen”, sagte Prof. Dr. Hanns-Peter Knaebel, CEO der Röchling-Gruppe und von Röchling Automotive, noch im Mai 2021 über die Engpässe bei Halbleitern. Inzwischen ist seine Prognose nicht mehr ganz so positiv. Knaebel geht davon aus, dass sich der Mangel noch bis ins kommende Jahr hinziehen wird.
Auch im Kunststoffbereich wirkt sich die bestehende Rohstoffknappheit aus. Laut einer DIHK-Konjunkturumfrage aus dem Juni 2021 sind die regulär hohen Lagerbestände der kunststoffverarbeitenden Industrie beinahe aufgebraucht. Unternehmen können derzeit nicht ohne Einschränkungen produzieren. So auch bei der S2B Berger GmbH in Mannheim, wie Geschäftsführer Simon Treiber berichtet: “Die Lieferzeiten von unserem Lieferanten aus Taiwan betragen aktuell 24 Wochen plus 8 bis 10 Wochen.” Die veränderten Lieferzeiten erhöhen nicht nur den Planungsaufwand für Betriebe, sondern bringen laut DIHK enorme Preissteigerungen von 50 bis zu 100 Prozent mit sich. Das bestätigt auch Simon Treiber für die S2B Berger GmbH aus Mannheim.
Ähnlich stellt sich die Lage bei Aluminium und Stahl dar. Auch hier müssen Unternehmen mit langen Lieferzeiten und Preissteigerungen rechnen. Dies trifft insbesondere den Bereich Maschinenbau und die metallverarbeitende Industrie, welche in ihrer Produktion auf diese Rohstoffe angewiesen sind. Die Lieferzeiten für Steuerungskomponenten aus Stahl, Kupfer und Kunststoff hat sich verzehnfacht: Regulär liegt diese bei zehn Tagen, inzwischen hat sich diese auf bis zu 100 Tage erhöht. So drohen bei einigen Unternehmen Produktionsausfälle bis hin zu Produktionsstopps, da die benötigten Rohstoffe am Markt nicht mehr erhältlich sind.
Verstärkt wird der Rohstoffmangel auch durch Produktionsausfälle an einzelnen Standorten: Stromausfälle in Texas, die Samsung betreffen und die Wasserknappheit in Taiwan, die den Chiphersteller TSCM tangiert, sind nur zwei Beispiele. Zudem vergrößern einige Unternehmen ihre Lagerkapazitäten, um ihre Resilienz zu erhöhen und für zukünftige Lieferengpässe besser gewappnet zu sein.

Weltweite Containerstaus vor den Häfen

Auch die Logistikbranche spielt eine wichtige Rolle bei den Ursachen der Lieferengpässe und der globalen Rohstoffknappheit. Zentral ist hierbei die Seeschifffahrt: rund 99 Prozent aller Waren aus China kommen mit dem Schiff nach Deutschland. Schwierigkeiten in den Abläufen auf See und in den Häfen wirken sich daher direkt auf den globalen Welthandel aus. Versucht man den Ausgangspunkt der aktuellen Situation der Containerindustrie zu identifizieren, fällt die Suche auf das erste Quartal dieses Jahres. Vor den Häfen von Los Angeles und Long Beach stauen sich bereits zu diesem Zeitpunkt zahlreiche Container und warten auf ihre Abfertigung. Insbesondere aus Asien erreichen so viele Waren die Häfen, dass eine pünktliche Ent- und Beladung der Container schlicht nicht mehr möglich ist. Dies führt zu fehlender Ware beispielsweise in Bekleidungs- und Schuhgeschäften.
Mehrere Spediteure und Reedereien weichen daher auf eine Route von Asien durch den Suezkanal aus. Diese dauert zwar länger, bietet allerdings eine bessere Planbarkeit hinsichtlich der Ankunft und Abfertigung der Schiffe – falls nicht ein Schiff wie die “Ever Given” sich quer im Suezkanal verkeilt und den Transportweg erheblich durcheinanderbringt.
Noch größere Auswirkungen als der Stau im Suezkanal haben allerdings derzeit die Containerstaus in den Häfen von Südchina. Nach einem Corona-Ausbruch unter Hafenmitarbeitern des viertgrößten Hafens der Welt Shenzhen-Yantian reagierten die Behörden restriktiv und schlossen große Teile des Hafens. Im Hafen Yantian werden jährlich rund 13,5 Millionen TEU (TEU = Zwanzig-Fuß-Standard-Container) verarbeitet. Die globalen Güterströme werden zudem von weiteren Einschränkungen der Hafenkapazitäten in China (Shekou, Chiwan und Nansha) behindert. Da die Lage bereits seit mehreren Wochen anhält, schätzen Experten sie als weitaus kritischer als die Blockade im Suezkanal ein.
Auch die Zahl der Container in US-amerikanischen Häfen überschreitet deren Kapazitäten. In den Häfen von Seattle, Los Angeles, Oakland und New York warten Schiffe derzeit zwischen acht und zehn Tage vor dem Hafen auf ihre Abfertigung. Dies verzögert oder unterbricht Lieferketten und bindet das Kapital in Form der Waren in den Containern auf den Schiffen. Die Situation in den Häfen in China und den USA wirkt sich auch nach Europa aus. Auch im Hamburger Hafen und in Rotterdam sind die Wartezeiten für Schiffe bis zu ihrer Abfertigung so lang, dass große Reedereien wie Maersk und Hapag-Lloyd auf Ausweichrouten umstellen und andere Häfen anfahren.

Transportkosten verdreifacht

Eine unvermeidliche Auswirkung der Lage an den Rohstoffmärkten und den Lieferschwierigkeiten sind enorme Preissteigerungen der Rohstoffe und des Transports. Auch die deutsche Industrie ist betroffen. Die DIHK-Konjunkturumfrage ergab, dass etwa zwei Drittel aller befragten Unternehmen in den Energie- und Rohstoffpreisen ein Risiko für ihre wirtschaftliche Entwicklung sieht. In der Konjunkturumfrage zu Jahresbeginn machten diese Angabe nur 45 Prozent der Befragten.
Im Bereich der Logistik haben sich die Transportkosten vervielfacht: Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Kosten für einen Container um bis zu 330 Prozent. Zudem halbierte sich die Global Schedule Reliability, also die Fahrplanzuverlässigkeit der Schiffe, im Vergleich zum Vorjahr. Gab Sea Intelligence sie im Juli 2020 noch mit etwa 80 Prozent an, so sank dieser Wert im April 2021 auf nur noch knapp 40 Prozent.
Insbesondere die Produzenten von Vorleistungsgütern sind von den stark steigenden Rohstoffpreisen betroffen, wie das Außenwirtschaftsbarometer für Baden-Württemberg der IHK Region Stuttgart aufzeigt: 67 Prozent dieser Unternehmen sehen die Rohstoffpreise als Risiko für ihre Geschäftsentwicklung. Dies stellt eine Steigerung von 32 Prozentpunkten gegenüber dem Jahresbeginn dar und liegt über dem Durchschnitt von 58 Prozent in der gesamten Industriebranche. Eine große Schwierigkeit für Unternehmen ist zudem, den richtigen Zeitpunkt für eine entsprechende Preisanpassung zu finden. Dass die Preissteigerungen mitunter auch an die Verbraucher weitergegeben werden, ist nicht auszuschließen.

Unternehmen reagieren unterschiedlich

“Durch den globalen Chipsatzmangel müssen wir mit sehr viel längeren Beschaffungszeiten rechnen”, so Jürgen Lindenberg. “Drei bis neun Monate sind keine Seltenheit, die Ursache liegt zum einen in längeren Produktionszeiten, bedingt durch den Rohstoffmangel. Hinzu kommt aber auch, dass Großkunden bevorzugt beliefert werden und kleine Unternehmen eindeutig im Nachteil sind. Für uns bedeutet dies, dass wir mit einer langfristigen Beschaffungsplanung bei bestimmten Artikeln wie Chipsätzen arbeiten.”
Insgesamt reagieren Unternehmen mit verschiedenen Maßnahmen auf die derzeitige Situation. Laut DIHK-Konjunkturumfrage sind Unternehmen bereits auf der Suche nach alternativen Zulieferern und richten ihre Produktion nun flexibler nach der Rohstoffverfügbarkeit (beispielsweise durch Fertigungsintervalle) aus. Überstunden werden abgebaut und teilweise melden die Betriebe Kurzarbeit an. Mitunter müssen Anlagen stillgelegt und die Produktion gestoppt werden. Darüber hinaus setzen Unternehmen auf eine intensive Kommunikation mit ihren Lieferanten, um Preise und Liefertermine kontinuierlich zu verhandeln und über die Lage der Zulieferer informiert zu sein. Dies ermöglicht auch eine langfristigere Planung der Transportkosten und des Kaufs von betroffenen Rohstoffen und Vorprodukten. Einige Unternehmen nennen zudem die Erschließung heimischer beziehungsweise europäischer Rohstoffe als sinnvolle Handlungsoption, um der Rohstoffknappheit zu begegnen.
Das ifo-Institut prognostiziert für das zweite Halbjahr eine Entspannung der Situation und damit auch die Fortsetzung der industriellen Erholung. Für das Jahr 2021 insgesamt stellt das Institut einen Anstieg der Wirtschaftsleistung um 3,3 Prozent in Aussicht. Unternehmen sind eher zurückhaltend mit ihren Prognosen. Jürgen Lindenberg, Vorsitzender des IHK-Außenwirtschaftsausschusses, rechnet nicht vor Mitte nächsten Jahres mit einer Verbesserung.
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Quelle: Anna Reuter und Gabriele Borchard