In Vietnam sind Geduld und Pragmatismus gefragt

Vietnam gewinnt für deutsche Unternehmen als Beschaffungsmarkt an Bedeutung. Dazu unerlässlich ist eine Risikoanalyse nach dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.
Marko Walde, Geschäftsführer der AHK Vietnam, zeigt die Fallstricke auf. 
Herr Walde, welche Rolle spielt Vietnam derzeit als Beschaffungsmarkt?
 Wenn es um die Gewinnung neuer Zulieferer geht, ist Vietnam im Moment absolut “hot”. Deutsche, chinesische, japanische, US-amerikanische Unternehmen suchen zur gleichen Zeit nach Zuliefereralternativen. Durch die große internationale Konkurrenz können sich vietnamesische Zulieferer ihre Kunden und somit auch deren unterschiedliche Standardvorstellungen aussuchen.
Welche Bedeutung kommt dem deutschen Lieferkettengesetz dabei zu?
Es genießt keine Priorität, ist bei Unternehmen und Behörden aber angekommen. Ich gehe davon aus, dass die Vietnamesen es mehr und mehr berücksichtigen werden. Sie wissen, dass wir Europäer handels- und wirtschaftspolitische Ziele kombinieren mit anderen Zielen wie Klima- und Arbeitsschutz. Fürs Geschäft gehen sie diesen Weg mit.
Welche Branchen sind vom Lieferkettengesetz am stärksten betroffen?
Je älter bzw. traditioneller die Industriezweige sind, desto mehr wird es dort Herausforderungen geben. In absteigender Reihenfolge sehe ich die Textil- und Schuhindustrie, metallverarbeitende Industrien, die Möbelproduzenten und dann zuletzt die Elektronikindustrie. Es kommt aber auch auf die Themen an, so sind Kinderarbeit und der Einfluss der Regierung auf die Produktion in Vietnam meines Erachtens keine Herausforderung.
Wie steht es um den Arbeitsschutz in Vietnam?
Im Januar 2021 trat das reformierte Arbeitsgesetz in Kraft, es ist strikt auf Arbeitnehmerschutz ausgerichtet. In der Folge wird die Arbeitsgesetzgebung regelmäßig zugunsten der Arbeitnehmer interpretiert. Die Personalverantwortlichen in den Unternehmen sind sehr darauf bedacht, dass die Regelungen inklusive den entsprechenden Dokumentationspflichten eingehalten werden.
Wo müssen deutsche Firmen genauer hinschauen, was sind länderspezifische Besonderheiten? 
Konfrontiert mit dem Lieferkettengesetz werden Vietnamesen schnell sagen: “Das ist kein Problem, sag mir einfach, wie die Papiere aussehen müssen und dann beschaffen wir die notwendigen Dokumente”. Wenn man etwas bewirken möchte, sollte man nicht mit dem ganzen Katalog anfangen. Besser ist es, mit ersten kleinen Maßnahmen zu beginnen und darauf zu drängen, dass nicht nur die Papierform stimmt, sondern auch die tatsächliche Umsetzung erfolgt.
Welche Rolle spielen die Umweltstandards?
Die Einhaltung von Umweltstandards sind eher bei der Geschäftspartner- oder Zuliefererwahl eine Herausforderung als bei einer eigenen Investition. Für letztere gibt es strikte Regeln, so dürfen beispielsweise keine Maschinen ins Land gebracht werden, die älter als zehn Jahre sind. 
… und Korruption?
Das ist ein hoch spannendes Thema! Unter Vietnamesen gibt es eine sehr verbreitete Alltagskorruption. Kick-back-Geschäfte wie Provisionszahlungen oder Gefälligkeiten sind bei weiten Teilen der Bevölkerung und in vielen Bereichen normal. Ausländische Unternehmen werden damit aber in der Regel nicht konfrontiert. Unternehmen sollten darauf achten, dass vietnamesischstämmigen Mitarbeitern in Deutschland dies bewusst ist und sie das Unternehmen nicht mit einem jahrzehntealten Vietnambild in gefährliche Situationen bringen.
Gibt es regionale Unterschiede? 
Ja! Während in Südvietnam ein gutes Produkt oder eine Dienstleistung eine gewisse Gewähr auf wirtschaftlichen Erfolg bietet, benötigt man im Norden zwingend persönliche Kontakte. Im Hinblick auf das Lieferkettengesetz wäre es denkbar, dass man im Norden intensiver auf die Umsetzung drängen muss als im Süden des Landes.
Wie geht man vor, wenn Vereinbarungen nicht umgesetzt werden? 
Ich rate dazu, geduldig zu sein und der Kultur zu folgen. Es bedarf meist eines langen Atems. Und bei ausbleibender Umsetzung sollte man stetig und deutlich die möglichen Folgen aufzeigen. 
Was können Argumente sein?
Man sollte dem vietnamesischen Partner immer vermitteln, dass es um gesetzliche Regelungen geht und nicht böser Wille hinter den Anforderungen steckt. Und andererseits ist immer zu betonen, dass die veränderte Geschäftsbeziehung weitergeführt werden sollte und schlussendlich beide Parteien davon profitieren.
Herr Marko Walde ist seit zehn Jahren Geschäftsführer der AHK Vietnam mit Standorten in Ho-Chi-Minh-Stadt und Hanoi.
Das Interview führte Stella Metzger, Asien-Expertin der IHK.
Lieferkettengesetz: So gelingt die Zusammenarbeit mit vietnamesischen Lieferanten
  • eine kooperative Ansprache wählen, die auf weitere Zusammenarbeit ausgerichtet ist
  • frühzeitig die Ansprache suchen sowie Vorbereitungs- und Umsetzungszeit geben
  • für Verständnis werben: Begründung liefern, Hintergründe erklären
  • Kooperation bei der Umsetzung anbieten
  • lösungsorientiert agieren und ebenfalls offen auf Lösungsbereitschaft der Vietnamesen eingehen
Vier Vorkehrungen gegen Korruption:
  1. “sauber bleiben” – sich von Beginn an nicht auf korrupte Methoden einlassen oder diese gar initiieren 
  2. auf vollständige Dokumentationsketten achten 
  3. das Beschaffungswesen nie nur auf eine Person ausrichten (mindestens Vier- oder Sechs-Augen-Prinzip)
  4. regelmäßige Personalwechsel vornehmen