Arbeitsfähigkeit länger erhalten durch psychologische Mitarbeiterberatung
Psychisch belastete Mitarbeiter stellen für Unternehmen eine wachsende Herausforderung dar. Die Produktivitätsausfälle für die Arbeitgeber sind erheblich, auch dann, wenn sich die Betroffenen gar nicht krankschreiben lassen. Zudem belasten die Ausfälle die restliche Belegschaft und verschärfen den vielerorts bestehenden Fachkräftemangel.
Wissenschaftliche Untersuchungen aus Mannheim
Der Mannheimer Diplom-Psychologe, Personalentwickler und Professor für Wirtschaftspsychologie Dr. Andreas Zimber (Kontakt: andreas-zimber@t-online.de) forscht seit langem zu psychischen Belastungen und Gesundheitsrisiken im Arbeitsleben. Insbesondere zur psychologischen Mitarbeiterberatung hat er seine Schwerpunkte der jüngeren Untersuchungen gelegt. Aktuelle Studien zum Thema ergänzen seine Veröffentlichungen. Entsprechend kann er zu diesem wichtigen Thema aufgrund seiner praktischen Beratungserfahrungen in Unternehmen aus dem Alltag berichten.
Wachsende Fehlzeiten und Kosten durch psychische Erkrankungen
Die Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen haben sich in den letzten zehn Jahren etwa verdoppelt und stehen je nach Statistik an zweiter oder dritter Stelle der Krankheitsursachen. Die durchschnittliche Ausfallzeit liegt mit mehr als sechs Wochen sehr hoch. Sehr häufig steigen psychisch Erkrankte vorzeitig aus dem Beruf aus und verschärfen dadurch den bestehenden Fachkräftemangel. Mehr als 40 Prozent der vorzeitigen Renteneintritte werden mit psychischen Belastungen begründet.
Die volkswirtschaftlichen Kosten durch psychische Störungen werden zurzeit auf über 17 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Für die Betriebe gibt es also gute Gründe, sich mit psychischen Problemen in der Belegschaft zu befassen. Ein Teil der Betroffenen bringt die Probleme bereits in den Betrieb mit, sei es aufgrund bestehender Vorerkrankungen oder durch Belastungen im privaten Umfeld. Zum Teil entstehen diese aber erst dort, zum Beispiel durch Dauerstress oder soziale Konflikte im Arbeitsteam. In letzterem Fall haben die Unternehmen es selbst in der Hand, die Ursachen für die psychischen Belastungen zu beseitigen oder zumindest zu reduzieren.
Praxisbeispiel: Was ist psychologische Mitarbeiterberatung?
Heike K. ist 32 Jahre alt und Teamleiterin in der Buchhaltung. Seit sechs Jahren ist sie verheiratet und hat seit länger als einem Jahr Eheprobleme. Seitdem leidet sie unter Schlafstörungen und Appetitmangel und verlässt ihre Wohnung fast nur noch, wenn sie zur Arbeitsstelle fährt. Ihren Kollegen und Vorgesetzten hat sie von den Problemen bisher nichts erzählt. Denn Heike K. will vermeiden, dass dies ein schlechtes Licht auf ihre Leistungsfähigkeit werfen könnte.
Yannick S. ist 23 Jahre alt und Mitarbeiter in der Produktion. Seine Panikattacken sind erstmals nach einem Beinahe-Unfall vor sechs Monaten aufgetreten. Seitdem ist sein Aktionsradius stark eingeschränkt. Seine Freunde, Arbeitskollegen und Schichtleiter wissen Bescheid und versuchen, auf seine Probleme Rücksicht zu nehmen. Mehrfach hat Yannick S. versucht, einen Therapieplatz zu bekommen, wegen der langen Wartezeiten aber frustriert aufgegeben.
Heike K. und Yannick S. (echte Personen, Namen anonymisiert) sind nur zwei von zahlreichen Beschäftigten, die sich in ihrem Unternehmen professionelle Unterstützung gesucht haben. Psychologische Mitarbeiterberatung – oder neudeutsch auch “Employee Assistance Program (EAP)” – ist ein niedrigschwelliges Angebot zur Prävention psychischer Erkrankungen und hat sich inzwischen in vielen Unternehmen etabliert.
Unternehmen, die solche Beratungsangebote einrichten, wollen ihren Beschäftigten bei beruflichen, gesundheitlichen, familiären oder persönlichen Anliegen rasch und unbürokratisch helfen. Die Beschäftigten sollen dabei unterstützt werden, eine Lösung für ihre Probleme oder Konflikte zu finden und wieder handlungsfähig zu werden. Sind die Betroffenen bereits so belastet, dass sie ausgeprägte Krankheitssymptome zeigen, soll die Beratung dabei helfen, eine geeignete Behandlung zu finden und den Weg in das Versorgungssystem zu vermitteln. Auch Kriseninterventionen und Unterstützung bei Notfällen werden häufig angeboten.
Psychologische Mitarbeiterberatung wird in unterschiedlichen Formen angeboten: Neben der Beratung vor Ort sind auch Telefonberatung oder Online-Beratung stark verbreitet. Bei internen Angeboten zu festen Sprechzeiten auf dem Betriebsgelände sind die Beratenden in der Regel bei den Unternehmen fest angestellt oder freiberuflich tätig. Durch ihre Nähe zum Unternehmen haben die Beratenden oft Kenntnisse von den Besonderheiten des Unternehmens und seiner Kultur. Externe Dienstleistungen haben den Vorteil vollständiger Anonymität und Erreichbarkeit rund um die Uhr.
Wer sucht die Mitarbeiterberatung auf?
Aktuelle Daten zur Inanspruchnahme liegen aus einer wissenschaftlichen Begleitung bei einem Landmaschinenhersteller in Süddeutschland vor, der seinen Beschäftigten seit über sechs Jahren psychologische Mitarbeiterberatung anbietet. Bisher beantworteten dort 100 Ratsuchende einen Fragebogen zur Eingangsdiagnostik vollständig.
Demnach wurde die Beratung aufgesucht von (Mehrfachnennungen waren möglich):
- 60 Prozent wegen eines psychischen Leidens
- 57 Prozent wegen eines privaten Problems
- einem Drittel wegen eines arbeitsbezogenen Anliegens
Die Ratsuchenden wünschten,
- dass ein Experte ihre aktuelle Situation einschätzt (80 Prozent),
- mit ihnen einen Weg zur Lösung des Problems entwickelt (72 Prozent) oder
- Informationen zu weiterführenden Behandlungsangeboten vermittelt (52 Prozent).
Die Befragten waren mit ihrer Lebenssituation deutlich unzufriedener als eine Vergleichsgruppe. Dies zeigte sich vor allem in der Zufriedenheit mit dem aktuellen Gesundheitszustand, mit der beruflichen Situation und der Freizeitgestaltung. Psychische Beschwerden waren deutlich stärker als in der Allgemeinbevölkerung und nur wenig schwächer ausgeprägt als in einer Vergleichsgruppe psychisch kranker Patienten. Fast die Hälfte der Ratsuchenden wies auffällig hohe Werte bei somatischen Symptomen, zwei Fünftel bei Angst- und Stresssymptomen und ein knappes Drittel bei Depressionssymptomen auf. Der Krankenstand lag bei den Ratsuchenden weit über dem Branchendurchschnitt: 17 Prozent gaben vier bis neun Fehltage, 18 Prozent zehn bis zwanzig Tage und 16 Prozent sogar mehr als 20 Tage in den letzten drei Monaten an.
Etwa die Hälfte der Ratsuchenden wurden an der Beratungsstelle behandelt. Der anderen Hälfte wurde eine Weiterbehandlung in einer ambulanten Psychotherapie, an einer Familienberatungsstelle oder (seltener) in einer stationären Psychiatrie empfohlen.
Welchen Nutzen hat die Beratung?
Wegen der Kosten, die psychologische Mitarbeiterberatung/EAP erzeugt , muss sich diese dem Anspruch auf Wirksamkeit stellen. Im Durchschnitt kostet EAP etwa vier bis fünf Euro pro Beschäftigten monatlich.
Die Effekte solcher Angebote wurden bisher vor allem in Nordamerika untersucht: In einer methodisch anspruchsvollen Studie von Richmond und Kollegen (2017) wurde ein im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikanter Rückgang des Krankenstandes gefunden.
Milot (2019) fand sechs Monate nach der Beratung signifikant weniger Stress-, Depressions- und Angstsymptome sowie positive Veränderungen beim Arbeitsengagement, dem Anwesenheitsverhalten und der Lebenszufriedenheit, was sich auf Verbesserungen der psychischen Gesundheit zurückzuführen ließ.
In Deutschland liegt bisher nur eine Evaluationsstudie von Zimber und Kickinger-Lörsch (2020) vor, die in einem Metallverarbeitungsunternehmen durchgeführt wurde. Bei den Teilnehmern eines betriebsinternen Beratungsangebots zeigte sich drei bis vier Monate nach dem Erstgespräch eine statistisch bedeutsame Verringerung psychischer und psychosomatischer Symptome und eine Verbesserung des Gesundheitszustandes. Studien, die den wirtschaftlichen Nutzen von solchen Gesundheitsförderungsmaßnahmen berechneten, fanden einen Return of Invest (ROI) von 2,7 (Barthelmes et al., 2019) – und zwar alleine durch die Verringerung krankheitsbedingter Produktionsausfälle, d.h. andere positive Effekte sind hier noch gar nicht eingeschlossen.
Einbindung im Gesundheitsmanagement statt Sonderstellung
Nach bisherigen Erkenntnissen kann psychologische Mitarbeiterberatung also zur Früherkennung und (Weiter-) Behandlung psychischer Probleme wirksam beitragen. Die damit verbundenen Investitionen scheinen sich für die Unternehmen mehrfach auszuzahlen. Allerdings sollte dieses Angebot keine “Insellösung” darstellen. Um die psychischen Belastungen bei ihrer Wurzel zu fassen, muss sie in die betrieblichen Strukturen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes eingebunden werden. Gesetzlich vorgegebene Maßnahmen wie die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen und das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) leisten hierzu einen ebenso wichtigen Beitrag wie die Schulung des Personals. Denn für eine frühe Erkennung psychischer Beeinträchtigungen spielen auch das Wissen und die Sensibilität der Führungskräfte und des sozialen Umfelds eine wichtige Rolle. In Veranstaltungen zu diesem Thema können auch sie darauf vorbereitet werden, psychische Symptome im Alltag zu erkennen und im persönlichen Gespräch diskret anzusprechen.
Links und Downloads
- Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: Psychische Belastung, Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (Link: https://www.dguv.de/iag%3B/themen/psyche/index.jsp)
- Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: FAQ – Psychische Störungen (Link: https://www.dguv.de/de/reha_leistung/med-versorgung/faq_psychische_stoerungen/index.jsp)