Gleichgeschaltet (7-8/2018)

Die bisher erschienen Artikel in unserer Serie beruhen auf unserem IHK-Archiv als Quelle. Unser Archiv bietet für die NS-Zeit jedoch aufgrund von Zerstörung und Beschlagnahmung nicht ausreichend Material. So lassen sich der genaue Ablauf des Gleichschaltungsprozesses und seine konkreten Auswirkungen auf die Mitglieder und die Kammermitarbeiter und deren Arbeit nur lückenhaft rekonstruieren. Daher haben wir dieses Thema weitere Quellen herangezogen, zum Beispiel das Stadtarchiv inklusive seines umfangreichen Zeitungsarchivs. Da es sich dennoch um keinen wissenschaftlichen Artikel handelt, haben wir bewusst auf Fußnoten mit Quellenangaben verzichtet.

 

Als Gleichschaltung wird in der nationalsozialistischen Terminologie die Vereinheitlichung des gesamten politischen Lebens bezeichnet, mit dem Ziel, den Pluralismus in Staat, Justiz und Gesellschaft aufzuheben und so eine Diktatur zu errichten. Demokratische Strukturen wurden zugunsten des Führerprinzips aufgehoben.

Von der Selbstverwaltung zum Ausführungsorgan des Reichswirtschaftsministers

 

Nach ihrer Machtergreifung am 30. Januar gingen die Nationalsozialisten rasch an die Gleichschaltung von Parteien, Verwaltung und anderer Institutionen im Deutschen Reich. Auch die Industrie- und Handelskammern wurden gleichgeschaltet.
Adolf Hitler war kaum von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum neuen Reichskanzler ernannt, da ging es Schlag auf Schlag. Nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 waren sofort die Länder und Kommunen gleichgeschaltet worden. Mit dem Gleichschaltungsgesetz vom 31. März 1933 waren die Landtage und Kommunalparlamente an der Reihe. Sie wurden aufgelöst und zu nationalsozialistisch dominierten Einheitsorganen umgestaltet. Die Nationalsozialisten dehnten ihren Führungs- und Lenkungsanspruch auch auf die Wirtschaft und ihre Selbstverwaltungsorgane aus. Spitzenpositionen wurden mit Personen besetzt, die der NSDAP genehm waren.

Die IHK wird gleichgeschaltet

 

So beschloss das Staatsministerium des Äußeren, für Wirtschaft und Arbeit am 27. März 1933, den Präsidenten aller Kammern bis zur Durchführung der Neuwahlen Sonderkommissare beizuordnen. Diese hatten die Aufgabe, die Geschäftsführung zu überprüfen und Neuwahlen durchzuführen, "die den neuen Verhältnissen Rechnung tragen sollten". Die erst Ende 1932 und Anfang 1933 durchgeführten Ergänzungswahlen der IHK waren damit gegenstandslos geworden.
In Ludwigshafen wurde der NSDAP-Stadtrad Dr. Albert Reimann, Mitinhaber der Joh. A. Benckiser GmbH in Ludwigshafen und bereits seit 1927 Mitglied des Beirats der Kammer, am 7. April mit dieser Aufgabe betraut, um die notwendigen Gleichschaltungsmaßnahmen bereits vor der Generalversammlung am 8. Juni in die Wege zu leiten. Beteiligt wurden sowohl der Vorstand der Kammer und Vertreter pfälzischer Wirtschaftsverbände als auch die Gauleitung der NSDAP. Alle gemeinsam einigten sich dann auf eine Gemeinschaftsliste für die Wahl.
Nach der Neuwahl zur Kammer und den Gremien am 4. Mai konstituierte sich die Generalversammlung am 8. Juni unter der Leitung Reimanns. "Industrie- und Handelskammer der Pfalz - Gleichschaltung vollzogen" titelte der Generalanzeiger am 9. Juni 1933 und widmete dem Ereignis gleich eine ganze Zeitungsseite. Die Eröffnungssitzung wurde als "eindrucksvolle Kundgebung" gestaltet: "Von der Stirnseite des Raumes grüßten die Farben Schwarz-weiß-rot, die Hakenkreuzflagge und die von Lorbeer umrahmten Bildnisse des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers ... die Kammermitglieder." Für die Regierung der Pfalz dankte Oberregierungsrat Dr. Dick dem Sonderkommissar, dass er seine Aufgabe "so sachkundig und reibungslos erfüllt habe".
Der Zeitungsartikel dokumentiert den weiteren Ablauf der Sitzung: So wurden zunächst die neugewählten Mitglieder der Generalversammlung bekanntgegeben. Anschließend schlug Albert Reimann fünf "Führer der pfälzischen Wirtschaftsvertretungen" zur Zuwahl vor. Dies waren
  • Dr. Hermann Oehlert (Neustadt), Vorsitzender des Verbandes pfälzischer Industrieller
  • Karl Freiherr von Gienanth (Eisenberg), Vorsitzender des Landesverbandes pfälzischer Arbeitgeber
  • Karl Albrecht (Kaiserslautern), Vorsitzender des Handelsschutzverbandes der Pfalz
  • Wilhelm Schwarz (Ludwigshafen), Vorsitzender des Reichverbandes deutscher Lebensmittelgroßhändler Kreis Pfalz
  • Eberle (Neustadt) vom Handelsschutzverband der Pfalz
Darauf folgte eine programmatische Rede Reimanns über die Gründe und die Notwendigkeit der Neuwahl und Neubildung des Kollegiums, verbunden mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der Vergangenheit. Reimann erklärte, "er habe sich bemüht, seine Aufgabe im Sinne  unseres Führers Adolf Hitler durchzuführen, d.h. der Kammer die für ihre Aufgabe unentbehrlichen persönlichen und wirtschaftlich wertvollen Kräfte zu erhalten und andererseits den Einfluss der nationalsozialistischen Partei und damit ihrer Weltanschauung zu stärken durch Aufnahme einer möglichst großen Anzahl von Nationalsozialisten in die Kammer." Der Leitlinie folgend, die wirtschaftlich wertvollen Kräfte zu erhalten, schlug Reimann den bereits seit 1927 amtierenden Präsidenten, Geheimrat Hermann Troeltsch, Direktor der Pfälzischen Hypothekenbank, sowie den zweiten stellvertretenden Präsidenten Dr. Fritz Feil, Direktor der Aktienbrauerei, in ihren Stellungen zur Wiederwahl vor. Er selbst wurde zum ersten stellvertretenden Präsidenten gewählt.
Und auch im Allgemeinen Ausschuss waren jetzt sechs der elf Mitglieder (zuvor waren es neun Mitglieder) Nationalsozialisten, alle von Reimann in seiner Funktion als Sonderkommissar vorgeschlagen. Dies waren: Geheimrat Dr. Troeltsch, Dr. Albert Reimann, Dr. Fritz Fei, O. Matthias, Wilhelm Schwarz - alle aus Ludwigshafen; Kommerzienrat Helffrich aus Neustadt; H. Ohr aus Pirmasens; Schnitt-Straub aus Speyer.
In seiner Rede definierte Reimann auch sein Verständnis von Gleichschaltung: Die neue Kammer sei gewählt als eine Arbeitsgemeinschaft im Sinne der nationalen Regierung und sei auf deren Grundsätze und Weltanschauung verpflichtet. Klare Worte fand er für die Aufgaben der Kammer: Diese habe den Sieg der neuen Wirtschaftsgesinnung durch alle Berufsstände hindurch zu erkämpfen.
Auch an seiner Regimetreuen Gesinnung lies der NSDAP-Stadtrat im weiteren Verlauf der Rede keinen Zweifel aufkommen. "Mit einem nochmaligen Appell zur Mithilfe an dem Aufbau der pfälzischen Wirtschaft schloss dann Präsident Geh. Rat Dr. Troeltsch die einmütig verlaufende Sitzung", so der Artikel. Mit der Durchführung der Wahlen und der Bildung des Präsidiums der Kammer war Reimanns Funktion als Sonderkommissar erloschen.

Aufruf zur Beschäftigung von Wohlfahrtsfürsorge-Empfängern

 
Wie schnell die Ludwigshafener Kammer zum Sprachrohr der neuen Machthaber wurde, zeigt ein Schreiben der IHK im April 1933. Darin bat die Kammer die Ludwigshafener Firmen, im April 1.000 Wohlfahrtsfürsorge-Empfänger für mindestens sechs Monate einzustellen. Damit gab sie einen entsprechenden Aufruf von Gauleiter Josef Bürckel weiter. "Wir glauben sagen zu können, dass die nationale Regierung der privaten Wirtschaft eine ruhige Entwicklung sichert und alles dransetzen wird, den darniederliegenden Betrieben zu helfen. Von Seiten der Wirtschaft besteht unter diesen Umständen die Pflicht, auch ihrerseits alles zu tun, was geeignet erscheint, die Bestrebungen der nationalen Regierung zu fördern", schrieb die Kammer.

Es gilt das Führerprinzip

 
Mit der Verordnung vom 20. August 1934 unterstand die Ludwigshafener Kammer wie alle Kammern im Deutschen Reich der Aufsicht des Reichswirtschaftsministeriums. Es galt das Führerprinzip: Der Kammerpräsident wurde nicht mehr frei gewählt, sondern zusammen mit seinen Stellvertretern vom Reichswirtschaftsminister ernannt. Ein vom Präsidenten berufener und vom Minister bestätigter Beirat, der aus 57 Mitgliedern bestand, ersetzte die gewählte, ebenfalls 57-köpfige Vollversammlung. Eine demokratisch verfasste IHK, die sich selbst verwaltete, gab es damit nicht mehr. Die Kammern waren zu Ausführungsorganen des Reichswirtschaftsministers geworden und mussten die straff gelenkte Wirtschaftspolitik der Nationalsozialisten vor Ort unterstützen und umsetzen. Dieser Übergang zum Führerprinzip spiegelte sich auch in einer neuen Kammersatzung, die am 21. Januar 1935 in Kraft trat.
Außerdem führten die Nationalsozialisten im November 1934 mit den Wirtschaftskammern eine neue Organisation der gewerblichen Wirtschaft ein, in denen die IHKs, die Handwerkskammern und die Wirtschaftsgruppen auf regionaler Ebene zusammengeführt wurden.
1937 übernahm Albert Reimann das Präsidentenamt der IHK von Troeltsch, der den Vorsitz auf eigenen Wunsch aufgab. Albert Reimann stand der Kammer dann vier Jahre lang bis 1941 vor. Zu den Gründen für seine Amtsaufgabe gibt es im IHK-Archiv keine Hinweise. Carl Wurster übernahm die IHK-Präsidentschaft, die er bis zum Kriegsende innehatte.