Gegenentwurf zur Wirtschafts- und Sozialordnung von Rheinland-Pfalz

Für das freie Unternehmertum

Neun Artikel hatte die Landesverfassung von Württemberg-Baden nach dem Zweiten Weltkrieg, 21 die von Hessen, 27 Artikel die bayerische und 31 der Entwurf für die rheinland-pfälzische. Dass nun mehr Verfassungsartikel nicht unbedingt bessere Regelungen bedeuten, darauf wies die Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern Rheinland-Pfalz im Februar 1947 in einer kritischen Stellungnahme zum Verfassungsentwurf für das Land Rheinland-Pfalz hin. Im Fokus der Kritik: der Abschnitt VI über die Wirtschafts- und Sozialordnung.
Für die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft, die Kammern Ludwigshafen, Mainz, Trier und Koblenz, war klar: Die kürzeste Verfassung ist die beste. "Diese legt sich bewusst eine kluge Selbstbeschränkung auf, zweifellos in der Absicht, in keine Weise präjudiziell zu wirken, um nicht mit einer späteren Reichsregelung in Konflikt zu geraten", lobte die Arbeitsgemeinschaft. Ganz im Gegensatz dazu die rheinland-pfälzische Verfassung. Diese habe einen Umfang, "wie er für einen Großstaat noch vertretbar erscheint, aber nicht für ein kleines Land mit noch nicht einmal drei Millionen Einwohnern."
So fragten die vier Kammern, ob die Zeit überhaupt schon reif sei, "das künftige Gesicht der deutschen Wirtschaft in den einzelnen Landesverfassungen vorauszuzeichnen, ohne dass die einzelnen Landesregierungen hierbei in einem engen Gedankenaustausch stehen". Es entstehe wieder "das Zerrbild einer deutschen Kleinstaaterei".

Klarheit über Wirtschaftssystem fehlt

Konkret kritisierte die IHK-Arbeitsgemeinschaft, dass die gewählten Formulierungen im Verfassungsentwurf oft widersprechend seien, juristische Präzision fehle. Der Entwurf stelle eine politische Kompromisslösung dar, in dem alle Meinungen und Ansichten zu finden seien. "Dass sie in der Praxis versagen muss, ist selbstverständlich", lautete das Urteil der Kammern. Befürchtet wurden juristische und soziale Konflikte. Die IHK-Vertreter vermissten Klarheit über das angestrebte Wirtschaftssystem und befürchteten eine sozialistische Wirtschaftspolitik, während die Wirtschaft jedoch unbedingt das freie Unternehmertum beibehalten wolle. In der "Bevorzugung von Genossenschaften und Zusammenschlüssen von Genossenschaften", sahen sie eine Kampfansage gegenüber dem freien Unternehmertum.
Besonders in der geplanten Neuorganisation der Wirtschaft mit dem Zusammenschluss der bestehenden Fachverbände und Gewerkschaften zu Wirtschaftsgemeinschaften sahen die rheinland-pfälzischen IHKs ein "völlig neuartiges Gebilde" - und auch einen Angriff auf die Selbstverwaltung der Wirtschaft. Darüber sollten paritätisch besetzte Wirtschaftskammern gebildet werden, über denen dann noch einmal der Landeswirtschaftsrat stehen sollte, in dem je zwölf Arbeitnehmer und Unternehmer sowie drei Wirtschaftssachverständige saßen.

Gegenentwurf scheitert

Mit einem Gegenentwurf zum Abschnitt VI des Verfassungsentwurfs versuchten die rheinland-pfälzischen Kammern,diese für sie wesentlichen Punkte der Verfassung zu ändern - allerdings ohne Ergebnis, wie ein Blick auf die am 18. Mai 1947 in einer Volksabstimmung angenommene Verfassung zeigt. Sowohl die Unschärfe in der Wirtschaftsform als auch die Bevorzugung von Genossenschaften und der hierarchische Aufbau der Wirtschaft mit Wirtschaftsgemeinschaften, Wirtschaftskammern und einem Landeswirtschaftsrat hielten Einzug in die erste Landesverfassung von Rheinland-Pfalz. Geändert wurden diese Artikel erst in den 1990er Jahren.