Auf dem Weg in Richtung Zukunft

Transformationskongress 2024

Die Transformation der Wirtschaft ist in vollem Gange. Nicht nur die Autoindustrie spürt die Folgen des Abschieds vom Verbrenner, der Energiewende und dem allgemeinen Trend der Dekarbonisierung.
Der zweite Transformationskongress der Region zeigt auf, wie Unternehmen diesen Wandel, der zudem durch Digitalisierung und demographische Entwicklung getrieben wird, bewältigen können: mit Innovationen, neuen Prozessen oder gar einer Revolution der kompletten Wirtschaft, wie ihn Top-Referent Prof. Dr. Michael Braungart propagiert. Er sagt:
„Nachhaltigkeit und Innovation schließen sich aus.“
Rund 200 Gäste hörten den insgesamt zehn Referenten im Schwäbisch Gmünder Congress Centrum Stadtgarten aufmerksam zu.

Die Ausgangslage.
„Ostwürttemberg hat mit seinen erfolgreichen Mittelständlern, der Forschungslandschaft und der hohen Patentdichte eine gute Ausgangslage, aber wir brauchen mehr Dynamik“,
betont Ostalb-Landrat Dr. Joachim Bläse. Forschung sei zentral, um diese zu erzeugen. Deshalb benötige es eine verlässliche Forschungsförderung, für die man auch beim Berlin-Besuch der Region vor einigen Tagen geworben hat. Sein Heidenheimer Landrat-Kollege Peter Polta weist auf die Bedeutung einer funktionierenden, gut ausgebauten Infrastruktur hin, wirbt für den Ausbau der Brenzbahn und lobt wie IHK-Hauptgeschäftsführer Thilo Rentschler den Schulterschluss zwischen den beiden Landkreisen in der Region.
Thilo Rentschler sagt:
„Wir müssen unser Schicksal selbst in die Hand nehmen.“
Der Grund: Gerade aus Brüssel wird wenig Unterstützung erwartet, wie Gmünds OB Richard Arnold nach einer Reise in die EU-Zentrale konsterniert feststellt:
„In Brüssel ist nichts angekommen von den Problemen in Baden-Württemberg.“
Dort würden die Fördergelder in Sieben-Jahres-Zyklen geplant, bis 2027 ist also keinerlei Hilfe zu erwarten.
Die Disruption: Cradle-to-Cradle
Keynote-Speaker Michael Braungart plädiert in seinem Vortrag für eine radikale Abkehr vom aktuellen Wirtschafts- und Nachhaltigkeitsdenken. Nachhaltigkeit und Innovation schlössen sich aus, derzeit fokussierten sich die Unternehmen beim Klima- und Umweltschutz auf Effizienzmaßnahmen, um das Bestehende zu optimieren. Mit Folgen: So bleibe zum Beispiel der Reifenabrieb inzwischen nicht mehr auf der Straße haften, sondern belaste die Lungen von Menschen und Tieren. Er plädiert für das Cradle-to-Cradle-Prinzip (zu deutsch: von der Wiege zu Wiege).
Das Prinzip zielt darauf ab, Produkte und Materialien in geschlossenen Kreisläufen zu verwenden, ohne Abfall zu erzeugen. Es unterscheidet zwischen biologischen und technischen Kreisläufen: Biologische Materialien sollen vollständig in die Natur zurückgeführt und wiederverwertet werden können, während technische Materialien endlos in Produktionsprozesse zurückgeführt werden, ohne Qualitätsverlust. Das Ziel ist es, eine durchgängige Wiederverwertung sicherzustellen und eine umweltfreundliche, ressourcenschonende Produktion zu fördern. Braungart fordert Effektivität statt Effizienz. Statt Reduce, Reuse, Recycle (Reduzieren, wiederverwenden, recyclen) müsse die Wirtschaft sich an Rethink, Invent, Design (Überdenken, erfinden, designen) orientieren.
In der Praxis würde das wiederverwendbare Produkte bedeuten, etwa Autos oder Waschmaschinen. Der Kunde kauft diese nicht mehr, sondern bezahlt für die Dienstleistung, in diesen Fällen Mobilität und saubere Kleidung. Die Hersteller müssten die Produkte wieder zurücknehmen und wiederaufbereiten, Kunden zahlen eine monatliche oder jährliche (analog zu Software-Lizenzen) Gebühr.
„Das bedeutet einen Bruch mit unserem Denken, macht die Produkte aber hochwertiger, besser und langlebiger. Solange Produkte gekauft werden, ist Neugeschäft für Firmen nur dann möglich, wenn diese kaputtgehen.“
Die Praxis. Im Anschluss berichten zahlreiche Unternehmerinnen und Manager, wie in ihren Betrieben an der Transformation gearbeitet. Dr. Stefan Hellfeld, Geschäftsführer der Lorcher Aradex AG, berichtet etwa offen von Problemen bei der Umsetzung der Transformation in die Praxis, die viele neue Prozesse erfordere – und auf ein über Jahrzehnte gewachsenes Selbstverständnis der Automotive-Branche treffe. Er empfiehlt deshalb: Häufiger einen Schritt zurück gehen, um dann schneller voranzukommen. Ebenfalls zentral: Die Menschen im Betrieb an dem Prozess der Transformation permanent zu beteiligen.
Anna Rojan von BeVisioneers betont in ihrem Vortrag die Bedeutung von Innovation für die Wirtschaft. „Innovation ist ein Veränderungsprozess.“ Dieser habe eine menschliche und eine technisch-methodische Komponente. Nötig seien eine radikale Kundenzentrierung, man müsse die Menschen im Unternehmen beim Innovationsprozess mitnehmen, in diversen Teams arbeiten, die bessere Ergebnisse erzielen würden und anerkennen, dass Innovation harte emotionale Arbeit sei. Sie sagt:
„Innovation ist mehr methodisch als zufällig.“ Unternehmen und Forscherinnen müssten sich in das Problem, nicht die Lösung „verlieben“,
statt auf Planbarkeit komme es auf Anpassungsfähigkeit an und man müsse vermeiden, eine eierlegende Wollmilchsau entwickeln zu wollen: Weniger kann also mehr sein. Sie propagiert, immer die einfachste Lösung zu verwirklichen. Und:
„Innovation ist nicht Entweder-Oder, es bedeutet nicht, dass Alte sein zu lassen und nur das Neue wagen.“
Bisherige Geschäftsmodelle könnten parallel zu neuen Wegen erhalten werden.
Prof. Dr. Katharina Hölzle erklärt, was es braucht, um den Standort Baden-Württemberg zukunftsfit zu machen. In der Autoindustrie müsse ein Umdenken stattfinden, statt in Einzelkomponenten, müsse in Systemen und Plattformen gedacht werden. Chinesische Unternehmen machten diese bei ihren Autos.
„Produkte müssen vom Ende her gedacht werden“,
sagt Hölzle, die aktuell an der Entwicklung einer Innovationsstrategie fürs Ländle arbeitet.
„Die zentrale Zukunftskompetenz liegt im Denken in Öko-Systemen und Kreisläufen.“
In Baden-Württemberg sieht sie dabei Nachholbedarf, aber eine gute Basis.
„Wir sind spitze im Ingenieurswissen. Wir haben einen speziellen Blick auf unsere Produkte und ihre Wirkung, benötigen aber mehr Freiräume für Firmen, weniger Bürokratie und mehr Interdisziplinarität.“
Weitere Vorträge und Impulse
Im Panel Nachhaltigkeit und Klimaschutz referierte Stephanie Kickert, Inhaberin der Nürnberger Kickert Consult, über das Thema „Soziale Nachhaltigkeit als Erfolgsfaktor für Unternehmen“. Tessa Quandt, bei der Varta AG für Nachhaltigkeit zuständig, stellte den ganzheitlichen Ansatz ihres Unternehmens für eine nachhaltigere Zukunft vor. Im Panel Digitalisierung und Technologie gab Gerald Weinfurtner von Webasto als Ergänzung zu Prof. Dr. Katharina Hölzle in seinem Best-Practice-Vortrag tiefe Einblicke in das Familienunternehmen, das den Transformationsprozess bereits weit vorangetrieben hat.
Kongress 7
Kongress 2
Im Panel Qualifizierung und Beschäftigungssicherung berichteten Jörg Müller, ehemaliger Leiter des VW-Werks Braunschweig, sowie Uwe Fritsch, sein ehemaliges Pendant und „Sparringspartner“ als Betriebsratsvorsitzender des VW-Werks, vom Wandel bei der letzten Transformation beim Autohersteller. Sie hatten sich – bei allen unterschiedlichen Sichtweisen – darauf verständigt, gemeinsam definierte Ziele zu erreichen.
„Dazu ist eine Vertrauensbasis und ein Begegnen auf Augenhöhe notwendig“,
sagte Müller. Und Frisch ergänzte:
„Und es bedarf dem Austragen von Konflikten in den Gremien – das Werben für gute Lösungen für das Werk vor Ort hilft, Transformation ordentlich hinzubekommen.“
Den Abschluss beim Transformationskongress bildete Prof. Dr. Volker Knoblauch, Prorektor der Hochschule Aalen. Er fasste die Herausforderungen der Transformation bezüglich Ressourcen, Klima und Produktivität zusammen und verknüpfte sie mit Beiträgen, die seine Hochschule zu deren Lösung bietet.
Robert Schwarz
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