Gemeinsam in die Zukunft blicken

Nach der großen Präsentation „Ostwürttemberg meets Berlin“ der Region Mitte Oktober in der Bundeshauptstadt ist vor der Fortschreibung der 2021 gestarteten Offensive „Zukunft Ostwürttemberg“. IHK-Präsident Markus Maier, IHK-Hauptgeschäftsführer Thilo Rentschler sowie die beiden Landräte Dr. Joachim Bläse (Ostalbkreis) und Peter Polta (Heidenheim) sprechen im Interview über die Wirkung des Auftritts in Berlin sowie über Kommendes. Alle vier eint, dass die Zukunft Ostwürttembergs aktiv und positiv beeinflusst werden soll – und zwar im kooperativen Miteinander. Eine Standortbestimmung für die Region.
Werte Herren, findet das kleine Ostwürttemberg Gehör im großen Berlin? Was kann die Präsentation der Region in der Hauptstadt bewirken? Wie sind Ihre Eindrücke?
Markus Maier:
Wir hatten postuliert, dass wir eine Mission zu erfüllen haben im politischen Berlin. Wir wollten Themen ansprechen, die uns als Unternehmer umtreiben, die uns unter den Nägeln brennen und die wichtig für künftige Prosperität sind. Wir wollten die Politik für ein Verbessern von Rahmenbedingungen mit ins Boot holen, wollten sensibilisieren für unternehmerische Belange. Gemessen an diesen Zielen unserer Mission sage ich: Sie ist gelungen. Ostwürttemberg wurde in Berlin wahrgenommen und gelobt für seine Initiative. Der Auftritt war gleichermaßen erfrischend und tiefgehend in den Zukunftsthemen. Vertrauen wurde aufgebaut zwischen Wirtschaft und der sonst häufig fernen Politik. Eine weitere Erkenntnis ist: Unternehmerinnen und Unternehmer brauchen Kontakte untereinander. Impulse von Wissenschaft und politischen Entscheidern wirken nach und regten zu weiteren Gesprächen im Nachgang an. Meine Bilanz fällt deshalb positiv aus.
Dr. Joachim Bläse:
Größe ist ja nicht mit Stärke gleichzusetzen. Den starken Zusammenhalt der Region und dass hier alle an einem Strang ziehen, haben wir durch die große Zahl an mitgereisten Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft und kommunaler Ebene eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Wir konnten deutlich machen, welch hohe Relevanz die platzierten Themen für den Wirtschaftsstandort haben und dass auf der politischen Ebene besser gestern als morgen gehandelt werden muss. Wirtschaftliche Prosperität ist kein Selbstläufer, auch nicht im langjährigen Wirtschaftsmotor Baden-Württemberg. Neben den Innovationen und Transformationen, die aus den Unternehmen selbst kommen, müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen. Für das produktionsorientierte Ostwürttemberg sind manche Herausforderungen noch verstärkt. Unsere Sicht der Dinge - verbunden mit konkreten Lösungsansätzen - in Berlin vorzustellen und die Aufmerksamkeit auf den Südwesten Deutschlands zu lenken war daher wichtig und richtig.
Peter Polta:
Wir haben in Berlin nicht nur ein Ohr gefunden, sondern gleich mehrere. In der Hauptstadt ist es nicht alltäglich, dass eine ganze Region zu Gast ist – vertreten durch rund 120 Personen – allesamt prägende Gesichter aus Ostwürttemberg. Sie haben großes Engagement gezeigt und ihre Erfahrung eingebracht. Die erste Wirkung war definitiv die direkte Vernetzung. Wenn Akteure sich persönlich kennen, fällt es leichter, Zukunftsprojekte mit vereinten Kräften aufzugleisen und umzusetzen. Die zwei inhaltsvollen Tage waren reich an spannenden Beiträgen und konstruktiven Diskussionen zwischen regionalen Vertretern und den Akteuren in Berlin. Unsere Botschaften wurden mit großem Interesse verfolgt. Bundesbauministerin Geywitz hat sie sicherlich genauso in ihr Ressort mitgenommen, wie Wirtschafts-Staatssekretärin Dr. Brantner zum Thema Energiewende und Verkehrs-Staatssekretär Dr. Hocker zur Brenzbahn.
Thilo Rentschler:
Uns war klar, dass wir dicke Bretter zu bohren haben. Wir wurden als sympathische und kompetent empfunden. Die Region hat eine vielbeachtete Charmeoffensive in Berlin gestartet. Wir haben auf ein kooperatives Miteinander gesetzt – und damit gewonnen. Uns wurde aufmerksam zugehört, das Verständnis füreinander ist gewachsen. Es war ein Auftritt auf Augenhöhe. Wir haben klare Botschaften an die Politik gesendet und unsere Anliegen direkt bei der Bundesbauministerin sowie der Wirtschaftsstaatssekretärin adressiert. Allgemeine und oft als wenig greifbar wahrgenommene Herausforderungen wurden durch anschauliche Beispiele aus Unternehmen mit konkreten Lösungsansätzen ins Schaufenster gestellt. Diese Best-Practices haben Wirkung gezeigt bei den Vertretern aus Politik und Verbänden.

Publikum
© IHK Ostwürttemberg / Engelbert Schmidt
Gibt Berlin der Offensive „Zukunft Ostwürttemberg“ nochmal Schwung?
Dr. Joachim Bläse:
Die Offensive mit dem Masterplan 2030 ist ein lebendiges und sich anpassendes Gesamtsystem. Die Überprüfung unserer formulierten Ziele und die dafür notwendigen Maßnahmen vollzieht sich permanent. Wir haben den Auftritt in Berlin nicht nur dafür genutzt, unsere Botschaften zu senden, sondern auch dafür, Entwicklungen und Überlegungen auf der Berliner Ebene wahrzunehmen. Wenn beispielsweise Forschungsfördermittel gestrichen werden sollen, dann muss uns das alarmieren und aktivieren. Berlin war somit kein Schlusspunkt für die Zukunftsoffensive, sondern eine wichtige Weichenstellung für deren Weiterentwicklung.
Markus Maier:
Berlin wirkt nach! Das war bereits am zweiten Tag der Präsentation und in den Tagen nach der Rückkehr deutlich zu spüren. Alle Rückmeldungen, die bei mir eingegangen sind, waren positiv. Teilweise wurden neue Denkansätze angestoßen oder weitergehende Diskussionen, die an die Gespräche in Berlin anknüpften. Insofern bin ich sicher, dass diese Impulse in die Offensive „Zukunft Ostwürttemberg“ einfließen und uns weiter voranbringen in unserer Rolle als Zukunftslieferer.
Peter Polta:
Wir haben Schwung nach Berlin gebracht. Jetzt heißt es, die Botschaften gut nachzuarbeiten sowie gezielt und bündig nochmal an die jeweiligen Adressaten zu spielen und den Schwung dann auch wieder mit in die Region zu nehmen. Die Fortschreibung der Zukunftsoffensive steht an. Unsere Welt dreht sich weiter und so müssen wir auch auf die neuen Gegebenheiten eingehen. Die nächsten Wochen sind mit viel Arbeit verbunden. Aber das können wir in Ostwürttemberg gut – Schaffermentalität hat die Region schon immer geprägt und vorangebracht.
Thilo Rentschler:
Die Präsentation in Berlin hat deutlich gemacht, dass wir die richtigen Themen bei der Zukunftsoffensive aufgegriffen haben. Die Zeit war reif für unsere Mission. Insofern war und ist unsere Strategie richtig, nach drei Jahren intensiver Arbeit an den Zukunftsthemen nach außen zu treten und Hilfe einzufordern beim Lösen essenzieller Herausforderungen. Wir wollen als Modellregion zeigen, wie Wohlstand gesichert werden kann. Den Schwung, den wir bereits in Berlin gespürt haben, tragen wir in die Zukunftsoffensive mit ihren Netzwerken hinein. Wir werden bestehende Kontakte intensivieren und die neu erschlossenen Kanäle nutzen, um unsere im Masterplan hinterlegten Ziele zu erreichen.
Thema Zukunft: Was steht auf Ihrer persönlichen Agenda für 2025? Welche Projekte wollen Sie voranbringen?
Markus Maier:
Als Unternehmer treiben mich die Risiken um, die auf die bestehenden Geschäftsmodelle einwirken. Dafür gilt es, Strategien zu entwickeln, um auf stürmischer See auf Kurs zu bleiben. Als eine weitere Erkenntnis aus Berlin folgt, dass 2025 wichtige unternehmerische Entscheidungen anstehen, um künftigen Wohlstand zu sichern. Da gilt es, noch genauer zu analysieren, was in den Bereichen Digitalisierung und neuer Technologien gefragt ist. Wenn Sie mich als IHK-Präsident fragen, stellt die geplante bauliche Erweiterung des Bildungsbereichs am Standort Heidenheim ein wichtiges Projekt dar. Wir haben erkannt: Berufliche Qualifizierung wird ein Schlüsselthema sein. Als IHK ist berufliche Bildung in unserer DNA festgeschrieben.
Dr. Joachim Bläse:
Regionale Schwerpunkte in Materialforschung und Photonik, die Unterstützung des Mittelstands in Transformationsprozessen, Stärkung der Vernetzung zwischen angewandter Forschung und Unternehmen sowie Bildung, vor allem im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), müssen vorangebracht werden. Gleichzeitig darf der Blick über die Landes- und Bundesebene hinaus nicht außer Acht bleiben, wenn es beispielsweise um die Zukunft der europäischen Strukturförderung geht. Hier konnten wir bislang als Landkreis und Region erfolgreich an Fördermitteln für europäische Leuchtturmprojekte und Förderkulissen partizipieren. Im Verbund mit anderen Regionen und dem Land müssen wir uns dafür stark machen, dass Baden-Württemberg als stärkere Wirtschaftsregion auch in der Förderperiode ab 2028 zielgerichtete Unterstützung zur weiteren Stärkung von Innovation und Wettbewerbsfähigkeit erhält.
Peter Polta:
Themen und Projekte, die uns im Landkreis beschäftigen, explizit herauszugreifen, würde den anderen nicht gerecht werden. Zudem befindet sich der Landkreis – auch aufgrund der allgemein wirtschaftlich herausfordernden Situation – in einer angespannten Haushaltslage. Trotzdem hat sich der Kreistag ausdrücklich zum Klinikum Heidenheim bekannt und auch das Zukunftsprojekt Brenzbahn soll weiter vorangetrieben werden. Hier müssen wir uns im regionalen Miteinander – über die Grenzen der Region Ostwürttemberg hinaus – auf eine Finanzierungsgrundlage einigen.
Thilo Rentschler:
Ich pflichte Markus Maier bei: Lebenslanges Lernen gehört zu einer transformierten Arbeitswelt. Aus den Überlegungen vor und in Berlin wurde klar, dass es Dinge gibt, die nicht zur Disposition stehen und an denen konsequent 2025 weitergearbeitet werden muss, dazu zählt eine durchgängig effizient funktionierende Bildungslandschaft. Zweitens ist eine funktionierende Infrastruktur in allen Bereichen notwendig. Drittens: Wertschöpfung muss weiterhin vor Ort stattfinden und möglich sein. Es muss daran gearbeitet werden, dass diese drei Hebel bewegt werden können, um künftigen Wohlstand zu generieren.
Herr Dr. Bläse, Sie haben den Expertendialog „Forschung, Technologie & Bildung“ moderiert. Was sind für Sie die wichtigsten Erkenntnisse aus diesem Themenbereich?
Dr. Joachim Bläse:
Die vorgestellten Beispiele aus dem Unternehmens- und Forschungsbereich haben gezeigt, wo dringender Handlungsdruck besteht. Benannt wurden insbesondere bürokratische Hürden für Unternehmen aber auch in Forschungsprogrammen, eine unzureichende Mittelstandsförderung, die geplanten Einschnitte bei der Batterieforschung, steigende Energiekosten, der Fachkräftemangel oder die Studiengebühren für internationale Studierende. Um diesen Herausforderungen begegnen zu können und wettbewerbsfähig zu bleiben, muss auf unterschiedlichsten Ebenen angesetzt werden. Dazu gehört eine tiefgreifende Reform des Bildungssystems. Die Forschungsförderung muss so aufgestellt bleiben bzw. werden, dass wir als Standort international mithalten können, verbunden mit dem Abbau von Bürokratie. Ohne sofortigen Fokus auf Bildung, Forschung und Innovation droht unser Innovationsstandort ins Hintertreffen zu geraten.
Und wie sehen Sie die Region für die Zukunft diesbezüglich aufgestellt?
Dr. Joachim Bläse:
Die Region Ostwürttemberg zeichnet sich aus durch ihre hohe Patentdichte und starke Innovationskraft. Sie verfügt über vier leistungsstarke Hochschulen, darunter die Hochschule Aalen, die als forschungsstärkste Hochschule für angewandte Wissenschaften in Deutschland gilt. Das fem Forschungsinstitut in Schwäbisch Gmünd ist eines der Pioniere im Bereich der Materialforschung. Ostwürttemberg ist somit Vorreiter in einer der zentralen Schlüsseltechnologien der Zukunft. Auch im Bereich Digitalisierung des Mittelstandes sind wir mit dem Digitalisierungszentrum Ostwürttemberg, der KI-Werkstatt Mittelstand und innerhalb der KI-Allianz Baden-Württemberg gut aufgestellt. Wenn es uns gelingt, die bereits bestehende enge Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Start-ups, Forschungs- und Bildungseinrichtungen weiter zu stärken und Qualifizierung und berufsbegleitendende Bildungsangebote weiter auf hohem Niveau zu halten, dann blicke ich zuversichtlich in die Zukunft.
Herr Polta, Sie waren beim Expertendialog „Energiewende und Wasserstoff“ im Einsatz. Was sind für Sie die wichtigsten Erkenntnisse daraus?
Peter Polta:
Unter anderem haben uns Bundestagsabgeordnete geraten, mehr öffentliche Aufmerksamkeit auf die Themen der Energie, der Wettbewerbsfähigkeit und der Wirtschaft zu lenken. Die Energiewende muss dahingehend auch kommunikativ besser ausgestaltet werden. Es bleibt unverzichtbar, für das Wasserstoff-Kernnetz, das direkt den Landkreis Heidenheim durchlaufen soll und nun erfreulicherweise genehmigt wurde, Planungssicherheit zu haben: Die Region muss wissen, wann der Wasserstoff zu einem wettbewerbsfähigen Preis kommt, um Investitionen anzustoßen. Die Energiewende wird vor allem vom ländlichen Raum getragen. Unsere Verteilnetzbetreiber in Ostwürttemberg brauchen Unterstützung für die enormen Investitionen, die anstehen. Hier wäre ein neues System der Kostenverteilung der Stromnetze hilfreich. Zudem muss im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft etwas getan werden. Das schließt ganz besonders den Faktor Energie mit ein. Hier müssen Schritte unternommen werden, die Investitionen erleichtern und Risiken senken.
Wie sehen Sie die Region diesbezüglich aufgestellt für die Zukunft?
Peter Polta:
Schon heute sind wir Erzeugerregion für Erneuerbare Energien. Wir sind zudem auf dem Weg zur Wasserstoffregion, mit einem kommenden Bundeskernnetz, das direkt die Region Ostwürttemberg durchläuft. Das ist ein wichtiger Standortfaktor. Doch gerade bei der Energiewende stehen noch viele Aufgaben an, wie unsere Botschaften zeigen. Daher gilt es jetzt, die Zukunftsoffensive gemeinsam mit der Wirtschaft, der Forschung und allen beteiligten Akteuren weiterzuentwickeln und unsere bisherigen Erkenntnisse einfließen zu lassen.
Herr Maier, wie sehen Sie die IHK Ostwürttemberg im weiteren Transformationsprozess?
Markus Maier:
Wir wollen Katalysator sein beim Bewältigen von Herausforderungen. Wir versuchen, wo immer es möglich ist, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die unsere Mitgliedsunternehmen beim Umsetzen ihrer Geschäftsmodelle ausbremsen. Und wir wollen weiterhin vorne mit dabei sein, was die wirtschaftliche Entwicklung im Land anbelangt. Dabei fungiert die IHK mit ihrem starken Ehrenamt sowie ihren hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Netzwerk, das weitere Partner mit ins Boot holt. Insofern sind wir als koordinierende Stelle vieler Projekte innerhalb der Offensive „Zukunft Ostwürttemberg“ bestens platziert. Wenn wir, so wie jetzt in Berlin, dazu beitragen, dass alle Partner unseres Netzwerks ihre Stärken ausspielen und dabei Synergien entstehen, haben wir unsere Aufgaben als starke Interessenvertretung für unsere Mitgliedsbetriebe und die Region erfüllt.
Herr Rentschler, abschließende Frage: Wie verfolgen Sie Ihre klar definierte Strategie weiter?
Thilo Rentschler:
Aus unseren tiefgehenden Analysen ist klar geworden, dass vernetztes Denken angesichts der komplexen Herausforderungen gefragt ist. Fachkräftesicherung hat beispielsweise unmittelbar mit den eben definierten Hebeln Infrastruktur, Wertschöpfung und Bildung zu tun. Ebenso hat aber die Sicherung von Fachkräften eine ganz enge Beziehung zum Bereitstellen von ausreichend Wohnraum. Fachkräfte und Wohnbau müssen zusammen gedacht werden. Sie sehen: Viele Faktoren beeinflussen einzelne Problemstellungen, mehrere Stellschrauben müssen gedreht werden, wenn man an die Herausforderungen im Jetzt und Heute herangeht, vieles bedingt sich gegenseitig. Forschung, Technologie und Transformation müssen in die Wirtschafts- und Strukturpolitik des Bundes und des Landes noch stärker aufgenommen und bearbeitet werden. Und das Thema Energiewende ist noch bedeutender als es bislang gewertet wurde. Insofern müssen wir unsere Arbeit auf diesen wichtigen Themenbereichen weiter intensivieren.

Verehrte Herren, besten Dank für diesen Austausch.

Industrie- und Handelskammer Ostwürttemberg
Ludwig-Erhard-Straße 1
89520 Heidenheim
Tel. 07321 324-0
Fax 07321 324-169
zentrale@ostwuerttemberg.ihk.de