Energiewende und Wasserstoff

Der Expertendialog, bei dem sich alles um die Notwendigkeit eines künftig gut funktionierenden, durchdachten sowie bezahlbaren und technologieoffenen Energiesystems drehte, war hochkarätig wie zahlenmäßig gut besetzt. Zu den Vertretern aus Ostwürttemberg gesellten sich Bundestagsabgeordnete sowie Gäste aus namhaften Organisationen. Andreas Jung, stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU und klima- und energiepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hatte sich für einen kurzen zusätzlichen Impuls angeboten.

Der Heidenheimer Landrat Peter Polta stellte in seiner Einführung dar, warum bezahlbare Energiekosten, eine zuverlässige Energieversorgung und die Planungssicherheit in Energiefragen entscheidende Wettbewerbsfaktoren für die industriell geprägte Region Ostwürttemberg sind.
„Wir haben bereits viele Vorleistungen erbracht, jetzt müssen andere liefern. Das werden die folgenden Impulse aus den Unternehmen der Region zeigen“,
sagte Polta. Er nannte etwa die von der Bundesregierung beschlossene Einstellung der Förderprogramme für elektrisch betriebene Nutzfahrzeuge und für alternative Antriebe von Bussen im Personenverkehr das falsche Signal.

Und beim Thema Wasserstoff seien viele Unternehmen in Ostwürttemberg in Wartestellung. Komme der Bau der Süddeutschen Erdgasleitung (SEL) als Wasserstoff-Pipeline nicht rechtzeitig, kämen auch die Investitionen der Unternehmen nicht, ließ Polta keinen Zweifel. Netzübergabepunkte, eine Konkretisierung des Verteilnetzes mit Anbindung von Ankerkunden müsse rasch festgezurrt werden. Er erwähnte dabei das HyExpert Projekt, die H2NOW-Förderung zur Verfeinerung des Wasserstoffnetzes sowie die frühzeitige Wasserstoff-Bedarfsabfrage und die erste Wasserstoff-Tankstelle in der Region, eine weitere komme hinzu.
„Innerhalb der Zukunftsoffensive ist das Ziel klar benannt: Wir wollen Wasserstoffregion werden“,
sagte Polta.
Doch ohne Förderung von Land und Bund kann die Region die Investitionen nicht stemmen.“ Er bemängelte zudem eine fehlende bzw. zu geringe Strukturförderung im Land. Polta: „Auch noch Starke benötigen Hilfen, um stark zu bleiben.“

Als weiteres Handlungsfeld hat Landrat Peter Polta ausgemacht: Ostwürttemberg ist bereits heute starker und überdurchschnittlicher Produzent von erneuerbarem Strom. Dieser muss ins Netz gebracht werden, was hohe Investitionen in Leitungen, Speichermöglichkeiten oder Trafos bedingt. Dafür müsse ein neues System von Netznutzungsentgelten entwickelt werden.
„Die Region, ihre Kommunen, Unternehmen und weitere gesellschaftliche Akteure haben gemeinsam Zukunftsprojekte auf den Weg gebracht, die weiterbearbeitet werden“,
sagte der Landrat.
Peter Polta
© ENGELBERT SCHMIDT PHOTOGRAPH
Zugleich bieten sich bei den Erneuerbaren Energien spannende Marktchancen, wenn die Rahmenbedingungen dafür richtig geschaffen werden.
„Wir stehen zum Ziel eines stärkeren Ausbaus erneuerbarer Energien. Dazu haben wir ebenfalls notwendige Vorarbeiten getätigt“,
sagte Franka Zanek, Regionalverbandsdirektorin in Ostwürttemberg, die gemeinsam mit Peter Polta den Expertendialog leitete. Franka Zanek erwähnte dabei die regionale Planungsoffensive zum Ausbau erneuerbarer Energien. Das Land Baden-Württemberg sowie die Region Ostwürttemberg hätten zwei Jahre vor dem Bund damit angefangen und sind somit Vorreiter beim Ausbau Erneuerbarer Energien.

Franka Zanek sprach die Sektorenkopplung bei Strom, Wasserstoff und Wärme an, die ein sehr wichtiger Aspekt sei.
„Wir brauchen hier eine Förderung und müssen Regulierungshemmnisse heben.“
Enorme Netznutzungsentgelte träfen die Wirtschaft sowie die Bürgerinnen und Bürger mit voller Wucht. Die steigenden Energiekosten gefährdeten den wirtschaftlichen Wohlstand.
„Energiekosten und die zuverlässige Energieversorgung sowie die Planungssicherheit von Investitionen bei Unternehmen und Kommunen sind entscheidende Wettbewerbsfaktoren“,
fasste Zanek zusammen.
Dann leiteten die beiden Moderatoren auf die Impulsgeber über. Mit den vier Best-Practice-Beispielen sollen die Herausforderungen bei der Energiewende benannt werden. Gleichzeitig soll aber Mut gemacht werden, dass es zukunftsfähige Lösungen gibt und Wege zum Bewältigen aufgezeigt werden.

Alternative Antriebe – Wertschöpfung vor Ort
Tobias Weber, bei Voith Turbo in Forschung und Entwicklung tätig, berichtete von der Entwicklung alternativer Technologien für Mobilitätslösungen. 2000 Busse mit elektrischen Antrieben seines Unternehmens seien bereits im Feldversuch im Einsatz.
„Unser elektrisches Antriebssystem wurde zu einem Baukasten erweitert, beispielsweise wurde ein Ladesteuergerät integriert“,
beschrieb Weber. In den Fokus stellte er jedoch das 2018 ins Leben gerufene Projekt, das die Wasserstoffnutzung für Langstrecken-Lkw möglich macht: „Plug & Drive“ besteht aus Tanks, Ventiltechnik, Elektronik und tragender Struktur. Wasserstoff wird mit 700 bar darin gespeichert.
„Das sichert kurze Betankungszeiten und hohe Reichweiten“,
sagte er. Mit Lkw-Hersteller MAN gebe es einen ersten Vertrag, eine Vorserie werde produziert.
Tobias Weber plädierte für eine Technologieoffenheit, da es keine Lösung gebe, die alle Kunden gleichermaßen zufriedenstelle.
„Technologien und Lösungen zur Dekarbonisierung von Nutzfahrzeugen sind heute bereits verfügbar. Unser Ziel ist, die Wertschöpfung für Wasserstofflösungen und klimaneutrale Antriebe vor Ort zu erhalten“,
sagte Weber. Das Einstellen der Bundesförderung für Wasserstoff-Lkw sei dabei ein falsches Signal. Vielmehr sei ein Ausbau des H2-Tankstellen-Netzes notwendig.
„Wir müssen die Systeme jetzt auf den Markt bringen. Wir wollen die Umsätze unserer neuen Systeme hochfahren. Wir brauchen dafür eine Förderung für H2-Lkw. Wasserstoff-Verbrenner könnten beispielsweise über eine Mautbefreiung gefördert werden“,
konkretisierte Weber.

H2-ready: Die modernste Papierfabrik der Welt

Für den erkrankten Dr. Wolfgang Palm, Geschäftsführer der Papierfabrik Palm in Aalen, stellte Erhard Zwettler, stellvertretender Bereichsleiter der IHK Ostwürttemberg, die Eckdaten der 2021 in Betrieb genommenen modernsten Papierfabrik für Wellpappenrohpapier vor. Die neue Papierfabrik ist mit zahlreichen Innovationen Vorreiter bei dünneren und damit nachhaltigeren Verpackungspapieren. Die Gasturbine zur Erzeugung von Dampf und Strom ist weltweit die erste einer vollständig neuen Generation. Sie kann anstelle von Erdgas bereits heute auch mit Wasserstoff betrieben werden.
„Sobald Wasserstoff in ausreichender Menge zu wettbewerbsfähigen Konditionen zur Verfügung steht, kann Palm ohne weitere Investitionen Verpackungspapiere aus 100 % Altpapier vollständig karbonfrei herstellen“,
erläuterte Zwettler.

Eine zeitnahe Anbindung via SEL-Pipeline und Belieferung mit Wasserstoff zu einem wettbewerbsfähigen Preis – spätestens bis 2035 - sind notwendig, um die Produktion von Wellpappenrohpapier klimaneutral zu gestalten.
„Palm ist mit seiner Investition von über 500 Mio. Euro auf Wasserstoff vorbereitet. Zudem kann die moderne Kraftwerksturbine der Papierfabrik helfen, das Stromnetz in Ostwürttemberg zu stabilisieren“,
betonte Zwettler. Dies sei aber nur mit einer Zuleitung von (grünem) Wasserstoff möglich. Ohne Wasserstoff ist das Erreichen der Klimaneutralität sowie der Klimaziele nicht möglich. Erhard Zwettler:
„Bis 2040 soll das Land klimaneutral sein. 16 Jahre bis dahin ist kein langer Zeitraum.“

CO2-Abscheidung in der Zementherstellung: Synthetische Kraftstoffe sind möglich
Im dritten Impuls innerhalb des Expertendialogs stellte Sven Gläß, Produktionsleiter Neue Technologien bei Schwenk Zement, das Innovationsprojekt Catch4Climate am Standort Mergelstetten vor. Mit dem Projekt begibt sich die Zementindustrie auf den Weg zur klimaneutralen Produktion. Gemeinsam mit den Zementherstellern Buzzi Unicem SpA - Dyckerhoff GmbH, HeidelbergCement AG sowie Vicat S.A. soll mit der Versuchsanlage gezeigt werden, dass CO2 aus der Zementherstellung abgeschieden, möglichst rein gewonnen und beispielsweise zur Herstellung von synthetischem grünem Kraftstoff verwendet werden kann. Die vier Partner investieren gemeinsam rund 130 Mio. Euro in die Pilotanlage in Heidenheim, die lediglich zu Forschungszwecken betrieben werden darf. Sie soll dann für eine Zementproduktion heutiger Größe jedoch skalierbar sein.


Das Europäische Emissionshandelssystem stellt eine Hürde dar.
„Ab 2031/2032 ist ein Abscheider für unvermeidbare CO2-Emissionen bei der Zementherstellung notwendig, weil immer weniger CO2-Zertifikate kaufbar sind und diese 2038 komplett auslaufen“,
erklärte Sven Gläß anschaulich. Um Zement künftig CO2-neutral produzieren zu können und synthetische Kraftstoffe oder chemische Produkte aus dem abgeschiedenen CO2 herzustellen, ist ein Anschluss ans Wasserstoff-Kernnetz via SEL-Pipeline zwingend notwendig.
„Sonst könnte die Schlagzeile lauten: Zementhersteller scheitert an der Klimaneutralität“,
verdeutlichte Gläß. Klare Botschaft war: Es existiert ein Businessplan. Mit Land und Flughafen Stuttgart wurde vereinbart, möglichen grünen Kraftstoff für Flugzeuge so zu produzieren.

Status Quo der Energiewende – quo vadis?
Den Stand der Energiewende in Ostwürttemberg aus Sicht des regionalen Energieversorgers EnBW ODR AG erläuterte im vierten Impuls deren Vorstandsmitglied Frank Reitmajer.
„Die rasch wachsende EnBW ODR AG und ihr Tochterunternehmen Netze ODR haben sich zum Vorreiter bei der Gestaltung einer nachhaltigen Energie- und Stromwende entwickelt“,
sagte der EnBW ODR-Vorstand. Von Frank Reitmajer wurde ein gesamtheitlicher Ansatz zur Bewältigung der Energiewende angemahnt. Zur Verdeutlichung stellte er zwei Zahlen in den Raum: Wolle Deutschland seine Ausbauziele bei Erneuerbaren Energien erreichen, müssten pro Werktag 90 Hektar PV-Freiflächenanlagen sowie sieben Windturbinen errichtet werden.
„Wir haben eine sehr steile Kurve vor uns“,
betonte er.

Im Netzgebiet der Netze ODR liege bereits heute der Anteil erneuerbar produzierten Stroms bei 74 Prozent – Tendenz steigend. Reitmajer:
„Das entspricht der Leistung eines Atomkraftwerks.“
Bis zum Erreichen der Klimaneutralität müssen im ODR-Netzgebiet weitere 6,1 GW erneuerbarer Leistung installiert werden – was einer Verfünffachung entspricht.
„Daraus ergeben sich für uns enorme Investitionen. Allein bis 2030 sind 536 Mio. Euro prognostiziert. Das muss irgendjemand bezahlen. Die Strompreise könnten sich vervierfachen – für Unternehmen wie für Private“,
sagte Reitmajer. Weitere Hürden sind neben dem hohen Kapitalbedarf auch Liefer- und Fachkräfteengpässe beim dringend erforderlichen und rasch zu realisierenden Netzausbau (Umspannwerke, Trafokapazitäten).
„Ostwürttemberg stützt heute bereits stark die Energiewende und wird dafür mit hohen Netznutzungsentgelten bestraft“,
betonte der ODR-Vorstand. Reitmajer:
„Wir haben zu alledem dringenden Redebedarf mit der Politik.“

Zum Thema Wasserstoff machte Reitmajer ebenfalls Anmerkungen. Eine Bedarfsabfrage bei Industriekunden habe ergeben, dass 76 Prozent Wasserstoff für ihre Produktion benötigen. Ab 2032 ergeben sich erhöhte Bedarfe bei den Firmen. Der Versorger könnte zudem sein Gasnetz zur Verteilung von Wasserstoff nutzen. Dazu stellte Reitmajer eine Roadmap mit sieben Umstellzonen im eigenen Netz vor.
„Wir arbeiten intensiv an Lösungen für den Umstieg in eine Wasserstoff-Welt“,
sagte er.

Die Energiewende aus Bundessicht

Andreas Jung, Bundestagsabgeordneter, energiepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion und stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU, lobte den Auftritt und das Vorgehen der Region Ostwürttemberg als „hochinteressant“. Bei der künftigen Wasserstoffnutzung sei es geboten, alle Hebel jetzt umzulegen. Alle Instrumente bei der CO2-Abscheidung müssten genutzt werden – sowohl das Speichern wie das Weiterverarbeiten von CO2 seien zu verfolgen.
„Es ist unstreitig, dass die Industrieunternehmen Wasserstoff benötigen. Wir brauchen neue Gaskraftwerke und müssen die Energieeffizienz besser voranbringen“,
sagte Andreas Jung.
Für den Bundestagsabgeordneten ist die Regulatorik zu hoch. Er verstehe auch nicht die Zögerlichkeit, mit der die Bundesregierung bezüglich einer Zulieferung von Wasserstoff aus dem Süden, also aus Italien, Spanien und Portugal vorgehe. Bei der Nutzung von Wasserstoff sei die komplette Farbenlehre gefragt. Es könne nicht auf grünen Wasserstoff gewartet werden.
„Wir brauchen blauen, grünen und grauen Wasserstoff – die Herstellung aus Kernenergie darf kein Tabu sein“,
betonte Jung. Was bezüglich der Planung des Wasserstoff-Kernnetzes auf dem Tisch liege, sei „inakzeptabel“. Jung:
„Baden-Württemberg erbringt 20 Prozent der wirtschaftlichen Leistung und soll 5 Prozent der Leitungen bekommen. Das ist nicht ausgewogen, wir werden in weiten Teilen abgehängt sein.“

IHK-Hauptgeschäftsführer Thilo Rentschler, der sich an dem Dialog aktiv beteiligte, machte unmissverständlich klar:
„Wir haben keine Zeit zu verlieren.“ Die SEL-Wasserstoff-Pipeline in die Region etwa müsse bis 2027 – so lange ist die Planfeststellung dafür gültig – angegangen werden.
„Und ohne neue Umspannwerke und Trafostationen bringen wir den grünen Strom nicht ins Netz“,
resümierte der IHK-Hauptgeschäftsführer.
Landrat Peter Polta schloss den Expertendialog.
„Grüne Moleküle sind genauso wichtig wie erneuerbarer Strom. Planungssicherheit hinsichtlich des H2-Kernnetzes, der Verfügbarkeit von H2 und bezüglich eines verlässlichen Preises sind unerlässlich für unsere Unternehmen“,
fasste er zusammen. Sascha Kurz
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