Die Region und ihr Szenario für die Zukunft

Über zwei Tage hinweg haben die „Zu(kunfts)lieferer“ aus der Region der Talente und Patente in der Bundeshauptstadt ein kräftiges Ausrufezeichen gesetzt. Gut vorbereitet und mit großem Engagement ging es bei ihrer Präsentation unter dem Motto „Ostwürttemberg meets Berlin“ ausschließlich um Themen, die grundlegend dafür sind, die Herausforderungen der Transformation zu bewältigen.
Das machte schon am ersten Tag der Heidenheimer Landrat Peter Polta in seiner Begrüßung zur nachmittäglichen Auftaktveranstaltung in der Landesvertretung Baden-Württemberg vor den mitgereisten Vertretern aus den regionalen Unternehmen und der Kommunal- und Regionalpolitik sowie bereits etlichen Gästen aus Berlin deutlich.
„Wir wollen nichts weniger als Sie von unserer Region und unserem Szenario für die Zukunft begeistern“,
sagte Polta. Die Betriebe und Unternehmen seien als Zugpferd der Wirtschaft der Region auf Planbarkeit und Verlässlichkeit angewiesen.
„Hintergedanke ist, dass Sie alle überzeugt werden, unsere Region zu unterstützen“,
ließ Polta keinen Zweifel an der Absicht der ostwürttembergischen Berlin-Mission.

Pioniergeist und Bodenhaftung

Welchen Wert die Region auch für einen Weltkonzern darstellt, das unterstrich der Vorstandvorsitzende der Carl Zeiss AG, Dr. Karl Lamprecht, in seinem kurzweiligen Impulsvortrag „Pioniergeist und Bodenhaftung – Erfolgsfaktoren von Wirtschaft und Region“.
„Man muss bescheiden bleiben, Demut haben und darf sich vom Erfolg nicht blenden lassen“,
sagte Lamprecht. Ebenso brauche es die Überzeugung, dass ohne Fleiß und harte Arbeit gar nichts gehe. In Ostwürttemberg, so der Zeiss-Chef, seien viele dieser Eigenschaften vorhanden. Eigenschaften, die auch die Unternehmensgeschichte von Zeiss und die Entwicklung des Konzerns bis heute prägten.
„Für uns ist es daher sehr wichtig, für die Region Flagge zu zeigen“,
sagte Lamprecht. Ostwürttemberg sei ein „fruchtbarer Boden und ein Top-Standort“ für Zeiss, weil hier Entwicklung und Produktion nahe beieinander sein könnten. Hinzu käme eine enge Vernetzung mit Wissenschaft und Hochschulen. All dies bedinge ein großes Standortbekenntnis von Zeiss zur Region Ostwürttemberg.

Experten und Impulsgeber

Wichtigster Bestandteil dieses Nachmittags in Berlin waren im Anschluss die Expertendialoge zu fünf zentralen Themenfeldern der Transformation und einer gelingenden unternehmerischen Zukunft für Ostwürttemberg. Knapp zwei Dutzend Impulsgeber bereicherten die über verschiedene Räume in der Landesvertretung verteilten Expertendialoge, in denen konkrete Themen und Projekte aufgegriffen wurden, die Ostwürttemberg auch in Zukunft besonders leistungsstark und zur Modellregion für Transformation machen sollen. Die Expertendialoge waren mit den Themen „Energiewende & Wasserstoff“, „Wohnungsbau & Infrastruktur“, „Forschung, Technologie & Bildung“, „Fachkräfte & Wohlstand“ sowie „Transformation der Automobilwirtschaft & Industrie“ überschrieben.

Das Fazit

Ostalb-Landrat Dr. Joachim Bläse war es danach vorbehalten, vor dem Plenum dieses Nachmittags ein erstes Zwischenresümee zu ziehen. Der Verlauf der Expertenrunden habe deutlich gemacht:
„Wir müssen uns selbst auf den Weg machen, aber wir kommen ohne Unterstützung auf allen Ebenen schnell an unsere Grenzen.“
Bläse arbeitete deshalb, wie er es nannte, „drei Kernbotschaften und zwölf konkrete Unterstützungswünsche“ aus den Expertendialogen an die Politik heraus.
Erstens müsse die Bundesregierung in ihrer Transformationspolitik einen viel stärkeren Fokus auf Forschung und Innovation legen. Die Photonik, die Materialforschung und die Batterieforschung als Schlüsseltechnologien bräuchten eine verlässliche Förderstrategie. Zudem müsse die Forschungsförderung, so Bläse, auch Startups „mitdenken“ und sich stärker auch am Mittelstand orientieren. Und angesichts der möglicherweise drohenden Einstellung der gezielten regionalen Strukturförderung durch die EU müsse die Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur künftig als gemeinsame Bund-Länder-Aufgabe im Sinne des Grundgesetzes verankert werden.
Zweitens, so Bläse weiter, müsse auch die Infrastruktur der künftigen Energieversorgung viel stärker als bisher in den Blick genommen werden. Wettbewerbsfähige Energiekosten und eine tragfähige Infrastruktur seien ebenso notwendig wie ein neues System einer fairen Kostenverteilung bei den Nutzungsentgelten. Und schließlich bräuchten die Unternehmen dringend Planungssicherheit bei der Umsetzung eines leistungsfähigen Wasserstoffnetzes.
Die dritte Kernbotschaft Bläses lautete:
„Wir müssen die Themen Fachkräfte und Wohnen zusammen denken.“
Alle Initiativen zur Förderung des Wohnraumbaus, wie sie auch in Ostwürttemberg gestartet worden seien, bräuchten staatlicherseits mehr finanzielle Förderung und Unterstützung. Die Hürden bei der Beschäftigung internationaler Fachkräfte müssten abgebaut werden, ebenso brauche auch der ländliche Raum ein leistungsfähiges ÖPNV- und Mobilitätsnetz, was ebenfalls mehr Unterstützung erfordere. Und Bläse konkret mit Blick auf die Brenzbahn:
„Wir setzen auf die Schiene, dann muss aber auch die Finanzierung gesichert sein. Es kann nicht sein, dass die kommunale Ebene bei der Schiene immer mehr finanzieren muss.“
Der Abend
Im Mittelpunkt der Abendveranstaltung in der baden-württembergischen Landesvertretung standen der Besuch der Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Klara Geywitz (SPD), sowie eine „Talkrunde der Vordenker und Innovatoren Ostwürttembergs“, wie es im Programm hieß, mit der ARD-/SWR-Journalistin Hendrike Brenninkmeyer als Moderatorin. Vor rund 200 Vertretern aus Unternehmen und Wissenschaft aus Ostwürttemberg, Bundes- und Landespolitikern sowie Vertretern von Verbänden machte IHK-Präsident Markus Maier in seiner Begrüßung deutlich:
„Wir haben hier im politischen Berlin eine Mission zu erfüllen – klar strukturiert und gründlich erarbeitet.“
Es gehe darum, die Anliegen vorzubringen, die sich aus der 2021 gemeinschaftlich gestarteten Offensive „Zukunft Ostwürttemberg“ und dem daraus resultierenden Masterplan 2030 für die Region ergeben hätten. Eines der Schlüsselthemen sei dabei der Wohnungsbau, sagte Maier mit Blick auf die Ministerin.
„Für unsere Mitarbeiter sind leben, wohnen und arbeiten nicht zu trennen.“
Lob von der Bauministerin
Bauministerin Klara Geywitz hatte zu Beginn ihres Auftritts gleich mal viel Lob im Gepäck: Ostwürttemberg, das sei ein Biotop, in dem Wirtschaft gedeihe und das nicht eindimensional sei – „daher ist es großartig, dass Sie heute hier sind“. Und eines der schönsten Wohnprojekte, die sie in letzter Zeit erlebt habe, seien die jüngst eingeweihten Fehrle-Gärten in Schwäbisch Gmünd. Auch in Ostwürttemberg, so die Ministerin weiter, sei bezahlbarer Wohnraum zu einem echten Standortfaktor geworden. Und auch hier sei die Sanierung des Bestands an Altwohnungen inzwischen „ein Riesenthema“.
Geywitz kündigte an, ihr Haus werde im Bürgerlichen Gesetzbuch absichern, dass man sich beim Bauen nicht mehr an alle einschlägigen DIN-Normen halten müsse und dass dies juristisch dann nicht mehr als Baumängel gelte. Außerdem wolle sie die Planungs- und Genehmigungsprozesse beim Wohnungsbau ebenso beschleunigen wie die Umsetzung mit modularen Elementen, etwa in der Kombination mit Holz für einen seriellen Wohnungsbau.
Die Talkrunde
Warum sind Britta Fünfstück, die Vorsitzende des Vorstands der Heidenheimer Paul Hartmann AG, Prof. Dr. Holger Kaßner, der Chef des Gmünder Forschungsinstituts Edelmetall und Metallchemie, Susan Breitkopf, Vorstandsmitglied für Transformation und Arbeitsdirektorin der Carl Zeiss AG, Holger Sanwald, der Vorstandsvorsitzende des 1. Heidenheim, sowie der Rektor der Hochschule Aalen, Prof. Dr. Harald Riegel, „Vordenker und Innovatoren“ Ostwürttembergs? Das versuchte die TV-Journalistin Hendrike Brenninkmeyer, vielen bekannt unter anderem als Moderatorin der SWR-Sendung „Marktcheck“, zum Abschluss in einer unterhaltsamen Talkrunde herauszufinden. Die Besucher im großen Saal der Landvertretung erfuhren dabei unter anderem, dass der Unternehmenserfolg auch an dem für die Region typischen Zupacken liege (Fünfstück), dass in der „Halbleiterei“ ohne Zeiss gar nichts gehe (Breitkopf), dass die Stärken der Region, nämlich Ehrlichkeit, Resilienz und Innovationskraft, auch zur Erfolgsrezeptur des 1.FC Heidenheim gehören (Sanwald) oder dass ein Student der Aalener Hochschule mit dem Verkauf seiner Anteile an einem Startup-Unternehmen einmal zum Millionär geworden sei, noch ehe er seine Bachelor-Arbeit geschrieben hatte (Riegel). Es ging aber auch um echte Sorgen und Probleme wie die Flut an Regularien, welche die Unternehmen „ersticke“ (Fünfstück), oder das sogenannte „Besserstellungsverbot“, nach dem ein Zuwendungsempfänger, der seine Ausgaben überwiegend mit Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln bestreitet, seine Beschäftigten nicht besserstellen darf als vergleichbare Angestellte des Zuwendungsgebers. Das gefährde möglicherweise 15 seiner Mitarbeiter und sei deprimierend, sagte Kaßner.
Reichlich Gesprächsstoff boten die Themen des ersten Berlin-Tags der Region Ostwürttemberg dann beim Abendempfang im Foyer der Landesvertretung, unter anderem bei Gaisburger Marsch, Maultaschen und Alblinsen. Unter den rund 200 Gästen waren auch der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, der Konstanzer Bundestagsabgeordnete Andreas Jung, die scheidende Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang sowie der jüngst zum Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank avancierte langjährige FDP-Politiker Michael Theurer. Der Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Aalen-Heidenheim, Roderich Kiesewetter (CDU), musste den Saal allerdings frühzeitig verlassen. Er stellte sich anschließend im Fernsehen noch live den Fragen von „Tagesthemen“-Moderatorin Jessy Wellmer.
Eckard Scheiderer
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