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Transformation der Automobilwirtschaft und Industrie
Die Digitalisierung und Dekarbonisierung verändern etablierte Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten sehr stark und mit hoher Dynamik. Neue Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz oder neue Energie- und Antriebskonzepte stellen ganze Branchenstrukturen in Frage. Stark im Fokus stehen dabei auch die Automobilzulieferer, die vom Transformationsnetzwerk Ostwürttemberg begleitet werden. Ein Projekt, das vom Bundeswirtschaftsministerium mit fünf Millionen Euro gefördert wird. Die energieintensive Industrie kämpft zudem nicht nur mit hohen Arbeitskosten, sondern auch mit Energiekostennachteilen. Von der Transformation ist nicht nur die Automobilindustrie betroffen, sondern fast alle anderen für den Wohlstand der Region wichtigen Branchen. Es braucht Unterstützung auf allen Ebenen, um dies erfolgreich zu bewältigen. Um all dies ist es im Expertendialog „Transformation Automobilwirtschaft / Maschinenbau & Industrie“ gegangen.
Schwäbisch Gmünds Oberbürgermeister Richard Arnold und Markus Kilian, Geschäftsführer bei Südwestmetall in Ostwürttemberg, haben diesen Expertendialog moderiert.
„Wir wollen eine Industrieregion bleiben, um unseren Wohlstand zu sichern“,
unterstrich Arnold eingangs. Kilian war es wichtig, das Thema Transformation ganzheitlich zu denken. Immerhin sei Ostwürttemberg stark geprägt vom verarbeitenden Gewerbe, wobei dessen Anteil an der Automobilwirtschaft bei 10,8 Prozent liege. Das Transformationsnetzwerk Ostwürttemberg, getragen von IHK, der regionalen Wirtschaftsförderungsgesellschaft WiRO, dem Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft und der IG Metall, läuft laut Kilian noch bis 2025. Doch dann werde die Transformation noch lange nicht bewältigt sein.
„Wir wollen unsere Projekte auch über 2025 hinaus in der Förderung durch das Bundeswirtschaftsministerium halten“,
erklärte Kilian. Zudem sollte das Netzwerk auf die Gesamtindustrie und deren Zulieferer ausgeweitet werden. Vor allem brauche es Fördermöglichkeiten für Unternehmen, aber auch die Netzwerkpartner, um Angebote weiter aufrecht zu erhalten.
Richard Arnold stellte das Projekt „Aspen“ vor als nachhaltiger Industriepark in Schwäbisch Gmünd, der komplett mit grünem Wasserstoff versorgt werden soll. Ab seiner Inbetriebnahme wird der dort gebaute Elektrolyseur (aktuell mit zehn Megawatt der größte seiner Art in Süddeutschland) grünen Wasserstoff produzieren. Im Industriepark sollen auf 28 Hektar Fläche Tech-Unternehmen, Start-ups und Forschungseinrichtungen angesiedelt werden.
„Das aktuelle Problem: Keiner will im Industriepark Aspen bislang investieren“,
machte Arnold unmissverständlich klar.
„Wir haben bei vielen Interessenten verloren, weil Baden-Württemberg nicht so viele staatliche Hilfen gibt wie andere Bundesländer“,
so der Gmünder OB weiter. Auch deshalb sei es unerlässlich, dass Bund wie EU speziell die Transformationsregionen in ihre Förderkulissen aufnehmen.
“Derzeit betrage der Verbrenneranteil bei der Kurbelwellenproduktion für den Automobilsektor 40 Prozent”,
sagte Grimm. Mit einem Anteil von 42 Prozent an der Produktion sei Alfing Weltmarktführer bei der Herstellung von Kurbelwellen für Großmotoren, vor allem für Schiffe.
Das sehr energieintensive Unternehmen ist laut Grimm bereit, Erdgas zu 100 Prozent durch Wasserstoff zu ersetzen. Und die Hälfte des benötigten Stroms könnte Alfing auf seinen Außenanlagen selbst erzeugen. Allerdings brauche es dafür auch die erforderlichen, umfangreichen und vor allem schnellen Genehmigungen.
Wie Grimm weiter erläuterte, seien die Energiekosten des Unternehmens in einem Jahr, von 2022 auf 2023, um 18 Millionen Euro gestiegen.
„Noch höhere Energiekosten können wir nicht mehr stemmen“,
sagte Grimm.
Ziel der Maschinenfabrik Alfing Kessler ist es, bis 2028 den Anteil der Verbrennermotoren bei der Kurbelwellenproduktion auf unter zehn Prozent zu senken bei einem anvisierten Umsatz von 400 Millionen Euro. Die Überwindung der Abhängigkeit von Automotive wurde durch das Projekt „MAFA MOVE“ angegangen. Weil das Unternehmen über höchste Kompetenz beim Schmieden, der Wärmebehandlung, Zerspanung und Montage von hochpräzisen Bauteilen verfügt, sollen vor diesem Hintergrund auch neue Geschäftsfelder erschlossen werden. Erste Diversifizierungserfolge zeigen sich dabei in der Bahntechnik mit der Herstellung von Weichenherzstücken.
„Bei all dem nehmen wir unsere Mitarbeiter auch mit starker Unterstützung durch die IG Metall mit“,
betonte Grimm ausdrücklich.
Der zweite Impuls kam von Dr. Alexander von Niessen, Geschäftsführender Gesellschafter des Verpackungsmaschinenherstellers Chocal Packaging Solutions in Schwäbisch Gmünd.
„Die Welt erstickt im Plastikmüll“,
sagte von Niessen, weshalb sich sein Unternehmen ganz der Vision einer „Welt ohne Plastikmüll“ verschrieben habe. Das Unternehmen wolle die klimapositive
Neuausrichtung des globalen Verpackungsmarktes erreichen. Der Großteil geformter Plastikverpackungen könne dabei durch Verpackungen aus nachwachsenden natürlichen Materialien ersetzt werden, die gleichzeitig recyclingfähig und kompostierbar sind. Das Unternehmen ist Gewinner des weltweiten Sustainable Packaging Awards 2024 und nominiert für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2024.
„Wir haben die große Chance, den weltweiten Verpackungsmarkt zu revolutionieren, aber es wäre so viel mehr möglich mit einer entsprechenden Unterstützung“,
sagte von Niessen weiter. Deshalb sollten aus seiner Sicht die Hilfen für kleine und mittlere Unternehmen bei Forschung und Entwicklung ausgebaut werden, etwa durch KfW-Darlehen. Dies auch, um die unternehmerische Verantwortung in der Region und im Land zu halten. Es dürfe keinen Ausverkauf an Private Equity-Geldgeber, womöglich auch noch im Ausland, geben, machte von Niessen deutlich.
„So lange es Kurven gibt, braucht man auch Lenkungen.“
Diesen logischen Schluss stellte Markus Zebisch, Werkleiter der Robert Bosch Automotive Steering GmbH in Schwäbisch Gmünd, an den Anfang seines Impulses. Das Unternehmen produziert im Jahr drei Millionen herkömmlicher Lenkungen für Autos und 300 000 Lenkungen für Lastwagen.
„Wir stehen dabei aber unter extremem Konkurrenzdruck, vor allem aus China“,
sagte Zebisch. Das Unternehmen will daher technologisch neue Wege beschreiten. Bei den kommenden „Act-by-Wire“-Technologien von Bosch, insbesondere bei „Steer-by-Wire“, entfällt die mechanische Verbindung zwischen Lenkradaktuator und Zahnstangenaktuator. Der Lenkradaktuator erzeugt das Lenkgefühl und gibt das Lenksignal des Fahrers abhängig von Fahrgeschwindigkeit und Fahrbedingungen „by wire“ an den Zahnstangenaktuator weiter, der die Räder lenkt.
Zebisch machte deutlich, dass dieser Transformationsprozess eine starke Veränderung der Anforderungen an die Beschäftigten bedinge. Die Qualifizierungsbedarfe seien hoch und müssten weiterhin unterstützt werden.
„Lernen ist ein essentieller Faktor für den Erfolg“,
so Zebisch. Und angesichts des Drucks aus dem Ausland, insbesondere auch hier durch neue Wettbewerber aus China, müssten alle Standortfaktoren verbessert werden.
„Die beste Technik, die nicht in die Produktion geht, ist nichts wert“,
sagte Zebisch.
„Ein überbordender Bürokratismus schadet der gesamten Volkswirtschaft und damit uns allen.“
Das war eine Kernaussage im vierten Best-Practice-Impuls, den Dr. Jochen Kress beisteuerte. Er ist Geschäftsführender Gesellschafter der Mapal Dr. Kress KG in Aalen. Mapal ist Technologieführer für die zerspanende Bearbeitung von kubischen Bauteilen. Das Aalener Unternehmen ist Zulieferer von Zerspanungswerkzeugen für die Automobilindustrie, aber auch für die Luftfahrt. Die Entwicklung neuer Werkzeuge und eines Service für Elektromobilität und Luftfahrt sei in vollem Gange, so Kress.
Ein besonderes Anliegen war ihm dabei die Deregulierung.
„Wir müssen die Menschen wieder das arbeiten lassen, das Nutzen stiftet“,
sagte Kress. Anstatt immer mehr Personal für die Einhaltung von Vorschriften und Regularien einsetzen zu müssen. Das und der immer größer werdende Aufwand für Steuerberater, Anwälte und Finanzprüfer seien Ressourcen, die volkswirtschaftlich für die Produktivität nicht zur Verfügung stünden. Dem gegenüber stellte Kress seine Vorstellungen. Danach gelte es, den Akteuren in der Wirtschaft wieder mehr Vertrauen zu schenken, gefühlte Ungleichheiten wieder auszuhalten, gewisse Lebensrisiken wieder zu akzeptieren und volkwirtschaftliche Interessen gegenüber Partikularinteressen wieder mehr abzuwägen.
Zum Schluss der Impuls-Vorträge stellte der Leiter des Referats für Digitalisierung und Industrie 4.0 in der Industrieabteilung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, Ernst Stöckl-Pukall, seine Arbeit vor. Dabei ging er zunächst auf die Kritik und Anregungen aus den vorherigen Impulsen ein. Beim Thema Bürokratie und Regulierung forderte er Industrie wie Unternehmen dazu auf, noch viel mehr und öfter deutlich zu machen: Das geht so nicht! Ob das Transformationsnetzwerk Ostwürttemberg auch über 2025 hinaus gefördert werden könne,
„das muss das Parlament entscheiden“,
sagte Stöckl-Pukall. Der im Übrigen aus den gehörten Referaten dieses Fazit zog:
„Ich finde die Innovationskraft dieser Unternehmen beeindruckend.“
Und sein eindringlicher Appell: Dranbleiben!
Beim Thema Digitalisierung sprach sich Stöckl-Pukall dafür aus, endlich ein eigenes europäisches Datensystem aufzubauen, basierend auf den europäischen Werten, anstatt auch künftig nur auf Unternehmen aus den USA angewiesen zu sein. Dabei gelte es beispielsweise, kluge Lösungen dafür zu finden,
„wie wir Daten der Wertschöpfungskette auch nutzen können“.
Kontakt
Industrie- und Handelskammer Ostwürttemberg
Ludwig-Erhard-Straße 1
89520 Heidenheim
Tel. 07321 324-0
Fax 07321 324-169
zentrale@ostwuerttemberg.ihk.de
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