„Es gibt positive Anzeichen“
Festredner Clemens Fuest schätzt die wirtschaftliche Entwicklung vorsichtig optimistisch ein und fordert Reformagenda 2030
Vorsichtig optimistisch hat sich Professor Clemens Fuest beim Jahresempfang der IHK Ostwürttemberg am 27. Mai 2025 zur wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland geäußert. In seinem viel beachteten Vortrag vor rund 300 Repräsentanten der Wirtschaft, Politik und des öffentlichen Lebens der Region sagte der Präsident des Münchner ifo-Instituts, zwar gehe die Sonne noch nicht auf, aber es gebe Anzeichen für eine Stabilisierung der Konjunktur und eine zyklische Erholung. Der Hauptredner forderte eine Reformagenda 2030, um die Angebotskräfte zu stärken. Seine Ausführungen trugen die Überschrift „Zeitenwende: Wirtschaftliche Lage und langfristige Perspektiven für Deutschland und Europa“.
Die aktuelle Konjunkturlage beschrieb der Gast als eine langsame, stetige Abwärtsbewegung. Eine drei Jahre andauernde Stagnation wie jetzt habe es in Deutschland nach dem Krieg noch nie gegeben. Zudem hätten sich alle anderen G7-Staaten besser entwickelt. Er sah jedoch gewisse Signale der Bewegung und der Stabilisierung. Der Konsum erhole sich, die Einkommen stiegen, es gebe die Aussicht auf sinkende Zinsen, die Zahl der Neuaufträge gehe nicht mehr zurück. Prof. Fuest: „Das alles sind positive Anzeichen!“ Der ifo-Geschäftsklimaindex sei im Mai 2025 erneut leicht angestiegen, was auf eine Trendwende hindeuten könnte. Er gehe jedenfalls auf der Basis der Daten von einem positiven Wachstum aus, zumal die Nachfrage nicht sinke. Allerdings sei die Inflation in Deutschland noch zu hoch.
Bei den Wachstumsaussichten der G7-Staaten sei Deutschland in diesem Jahr allerdings Schlusslicht, sagte der Redner weiter, was bedeute, dass es hausgemachte Probleme gebe. Für das Jahr 2026 seien die Prognosen für Deutschland deutlich besser, die „rote Laterne“ könnte dann an Japan gehen. Die Unsicherheiten für die deutsche Wirtschaft blieben jedoch. Prof. Fuest diagnostizierte: „Es läuft nicht so wahnsinnig gut.“ Dazu trage jedoch auch die aktuelle Zinspolitik der USA bei. Investitionsentscheidungen würden deswegen zurückgestellt und die Konjunktur drohe sich zu verschlechtern.
Unsicherheit ist global
Die Unsicherheit über die Wirtschaftspolitik sei global, sagte Fuest weiter. Das Wachstum gehe auch in den USA zurück. Die Gefahr des Protektionismus wachse und wenn der sich ausbreite, führe das in eine Abwärtsspirale. Die Rechnung des US-Präsidenten, den Wohlstand in seinem Land mehren zu können, indem er durch seine Zollpolitik zwei Milliarden Dollar Mehreinnahmen täglich generiere, sei auf Sand gebaut. Der mögliche Rückgang der Exporte aus Deutschland aufgrund der angedrohten Zölle wäre nach der Einschätzung von Fuest zwar unangenehm, könnte aber teilweise ausgeglichen werden und wäre daher schmerzhaft, aber keine Katastrophe. „Davon geht die Welt nicht unter.“ Er untermauerte seine Sicht mit ausführlichem Datenmaterial. Im Übrigen habe sich am Beispiel China gezeigt, dass die hohen Zölle nicht durchzuhalten seien, weil sich die USA damit selbst schaden würden. Dabei warnte Clemens Fuest vor einer, wie er sagte, angstbesetzten Diskussion.
Der, wie Fuest es nannte, erratische, also dahinschlingernde Kurs von US-Präsident Trump biete Chancen für die EU, sagte der Redner weiter. Sie müsse den Binnenmarkt vertiefen und Handelsabkommen mit Drittländern schließen. Fuest riet auch dazu, den USA nicht gleich mit Gegenzöllen zu antworten, sondern miteinander zu reden. Sollten Zölle von zehn Prozent verlangt werden, wäre zwar ein unangenehmer Rückgang der Exporte zu verkraften, den man aber ausgleichen könnte. Bei Zöllen von 50 Prozent würde der Rückgang zwar noch stärker ausfallen, aber auch dies würde das Land nicht umwerfen. Daher sei die Position Europas – auch in Verhandlungen - nicht schlecht. Fuest riet jedoch dazu, trotzdem nicht auftrumpfen zu wollen, weil man die USA auf anderen Gebieten – Stichwort globale Sicherheit - brauche.
Hausaufgaben machen
Deutschland habe durchaus Chancen, unterstrich Fuest, aber es müsse einige Hausaufgaben machen, zu denen auch das Kürzen von Sozialleistungen gehöre, und die Zahl der Arbeitsstunden müssten gesteigert werden. „Denn niemand arbeitet so wenig wie wir. Da ist noch Luft nach oben.“ Zwar sei die Zahl der Erwerbstätigen mit rund 46 Millionen auf ein Rekordniveau gestiegen, sagte Fuest, aber die Zahl der durchschnittlich von ihnen erbrachten Arbeitsstunden sei rückläufig. Außerdem stehe mit dem Abgang der Babyboomer in den Ruhestand ein dramatischer Rückgang an Arbeitskräften bevor.
Bei den Jahresarbeitsstunden sei Deutschland international das Schlusslicht. Dies liege vor allem am starken Anstieg im Teilzeitbereich. Betroffen seien hier in erster Linie Frauen, weil vor allem sie Kinder und Ältere versorgten und daher weniger Erwerbsarbeit leisten könnten. Um dies zu ändern, müssten die Kinderbetreuung und die Pflegesituation weiter verbessert werden. Arbeit müsse sich wieder lohnen, auch oberhalb des Bürgergeldniveaus. Besser bezahlte Stellen anzunehmen, bringe nämlich oft nichts, weil dies im hoch entwickelten Sozialstaat mit dem Wegfall von staatlichen Transferleistungen verbunden wäre und damit das Einkommen faktisch nicht steige. Fuest räumte in diesem Zusammenhang aber auch mit dem Vorurteil auf, die jüngere Generation wolle weniger arbeiten. Dies sei zumindest nicht empirisch zu beweisen, denn die Daten gäben dafür keine Belege her.
Einen großen Veränderungsbedarf sah der Gast bei den Investitionen der Unternehmen, die um zehn bis 15 Prozent unter dem Niveau von 2019 lägen. Zu den Hausaufgaben für Deutschland und Europa zählte der Redner weiter mehr Mittel für Forschung und Entwicklung auszugeben. Hier sei man von den USA abgehängt worden, die als ehemals ebenfalls starker Automobilstandort nun verstärkt auf Hochtechnologien und schnell wachsende Branchen setzten. „Uns aber fehlen die neuen Unternehmen und neue Geschäftsmodelle.“ Auch hierzulande gebe es jedoch viele junge, erfolgreiche Unternehmen. Es brauche also mehr Investitionen in neue Technologien. „Wohlstand entsteht heutzutage in der Digitalwirtschaft und das dürfen wir nicht verpassen!“
Chance Infrastrukturpaket
Chancen bietet dem Redner zufolge das 500 Milliarden schwere Infrastrukturpaket der neuen Bundesregierung. Man müsse jedoch genau definieren, wie die Infrastruktur im Jahr 2040 aussehen solle und das Geld müsse zusätzlich und gezielt ausgegeben werden. Dabei müsse die Sanierung des Bestands Vorrang vor Neubauten haben und Planungs- und Genehmigungsverfahren müssten vereinfacht werden. Unternehmen bräuchten längerfristige Planungssicherheit, damit sie Kapazitäten aufbauten. Anreize für Beschäftigung und Investitionen müssten verbessert werden. Energiekosten müssten sinken, forderte der Redner, indem man die Effizienz steigere, nicht, indem man den Industriestrom subventioniere. Würde man Bürokratie abbauen, könnte sich nach Berechnungen seines Instituts das Bruttoinlandsprodukt innerhalb von acht Jahren um 4,8 Prozent erhöhen.
Viktor Turad