Dr. Peter Markert
„Wirtschaft in Ostwürttemberg“ hat sich mit deren Geschäftsführenden Gesellschafter Dr. Peter Markert über die Zukunft der Innenstädte unterhalten.
Eine große! Und zwar nicht mehr „nur“ als Konsumenten der Innenstadt. Vielmehr sollten Formate aufgebaut werden, die Bürger bei der Entwicklung der Innenstadt beteiligen. Durch Mitgestalten einer Innenstadt identifizieren sich die Menschen viel stärker mit „ihrem“ Zentrum. Und betriebswirtschaftlich bedeutet dies eine höhere Kaufkraftbindung. Aber nicht nur betriebswirtschaftlich ist die Beteiligung wichtig. Die Innenstadt wird immer mehr zu einem Ort, in dem man sich trifft, Freizeit verbringt.
Der Blick über den Tellerrand
Die imakomm ist seit dem Jahr 2000 als Institut für Marketing und Kommunalentwicklung am Markt und seit 2004 als imakomm AKADEMIE GmbH für über 500 Städte und Gemeinden, Landkreise und Regionen sowie Gewerbevereine und Institutionen vor allem in Süddeutschland aktiv gewesen.
Dr. Peter Markert beschäftigt sich seit rund 20 Jahren mit Marketing für Kommunen und kommunaler Entwicklung. Das Thema Innenstadtattraktivität sowie Zusammenhänge mit innerstädtischem Handel sind Bestandteil seiner Expertise.
© imkomm
Herr Dr. Markert, viele Innenstädte kämpfen mit Leerstand und dem Rückgang des Einzelhandels. Welche Konzepte und Maßnahmen empfehlen Sie?
Vorweg: Es gibt nicht den Königsweg. So wie Kommunen individuell sind, so müssen auch die Maßnahmen für die Innenstadt individuell sein. Generell gilt: Einzelhandel wird in fast keiner Stadt mehr die zentrale Magnetfunktion allein innehaben. Viele Leerstände werden also nicht mehr mit Handel zu belegen sein. Für jede Innenstadt geht es darum, Frequenz für und mit dem Handel zu schaffen, statt allein durch den Handel. Aus den vielen Innenstadtprojekten zeigen sich vier Stellschrauben für eine Innenstadtstärkung – zusammengefasst im A-B-B-A-Ansatz. Es müssen agilere Strukturen der Innenstadtentwicklung und -vermarktung aufgebaut werden, denn Gewerbevereine oder Einzelkämpfer in der Stadtverwaltung geraten an Grenzen. Zweitens müssen vielfältige Belebungspotenziale definiert und entwickelt werden. Diese reichen von Kombinutzungen aus Handel und Gastronomie über Kinderspielplätze und Freizeitmöglichkeiten bis hin zu Ruheoasen in der Innenstadt. Drittens müssen echte Besonderheiten einer Stadt erlebbar gemacht werden. Finden sich in einer Innenstadt ähnliche Möblierungen, Leitsysteme und Angebote wie in den Nachbarstädten, geht die Innenstadt im Wettbewerb unter. Und viertens müssen die Innenstädte ausgebaut werden zu resilienten Räumen. Gemeint ist beispielsweise, dass im Sommer tatsächlich auch in mittelalterlich geprägten Innenstädten dennoch Beschattung möglich sein muss.
Wie können Wohnraum, Arbeitsplätze und Freizeitangebote besser integriert werden, um die Attraktivität der Innenstädte zu steigern?
Je multifunktionaler eine Innenstadt, desto mehr Nutzungskonflikte gibt es. Diese Konflikte gilt es frühzeitig zu bedenken und im Dialog mit Menschen, die in der Innenstadt wohnen, arbeiten, konsumieren usw., zu lösen. Citymanagement wird deshalb immer mehr zu einem Dialogmanagement. Aber: Dialog allein reicht nicht aus. Die Integration der Nutzungen hat viele Hemmnisse. Wir durften als imakomm für das Land 2023 ein Gutachten erstellen, in dem die zentralen Hemmnisse definiert und Lösungen zu deren Abbau erarbeitet wurden. So müssen Kommunen beispielsweise viel stärker in den Erwerb von Grundstücken in der Innenstadt gehen. Allerdings fehlt oftmals das Geld hierfür und der Zugriff auf die Grundstücke ist sehr beschränkt. Ein solcher Vorratserwerb von Grundstücken bedarf rechtlicher Änderungen auf Bundesebene. Die Länder könnten – ähnlich wie beim sozialen Wohnungsbau – Flächenentwicklungsfonds für Innenstädte auflegen, über den die Kommunen dann ihre Bodenpolitik zunächst finanzieren könnten. Und die Kommunen müssen für die Bodenvorratspolitik in den Zentren noch viel stärker auf professionelle Immobiliendialoge setzen. Auch das erfolgt noch zu selten.
Welche Rolle spielen nachhaltige Mobilitätskonzepte wie autofreie Zonen, Fahrradwege oder öffentlicher Nahverkehr?
Das ist eines der emotionalsten Themen bei der Innenstadtentwicklung. Fakt ist: Bezogen auf die Frequenz in der Straße zahlt sich die Entschleunigung einer Straße und deren Gestaltung nach der Durststrecke von Baumaßnahmen mittelfristig aus. Fakt ist aber auch: Die Erreichbarkeit der Innenstadt mit unterschiedlichen Verkehrsträgern muss gewährleistet sein. Das gilt auch für den motorisierten Individualverkehrs. Dies gilt umso mehr, als Städte im ländlichen Raum per Bus und Bahn meist eher schlechter zu erreichen sind. Der richtige Weg ist: Zunächst definieren, welche Nutzungen wo und wie in einer Innenstadt entwickelt werden sollen. Und dann ein Mobilitätskonzept daraus ableiten, wo Verkehr in der Innenstadt sinnvoll ist und wo er eben nicht mehr stattfinden soll. In der Praxis erfolgt dies fälschlicherweise häufig andersherum. Das ist fatal, denn Fakt ist auch: Niemand geht in eine Innenstadt, weil die so gut erreichbar ist. Jeder geht in eine Innenstadt aufgrund des guten Angebotes – erreichbar muss sie dann aber auch sein.
Welche Bedeutung messen Sie der Einbindung der Bürger bei der Entwicklung neuer Konzepte bei?
Eine große! Und zwar nicht mehr „nur“ als Konsumenten der Innenstadt. Vielmehr sollten Formate aufgebaut werden, die Bürger bei der Entwicklung der Innenstadt beteiligen. Durch Mitgestalten einer Innenstadt identifizieren sich die Menschen viel stärker mit „ihrem“ Zentrum. Und betriebswirtschaftlich bedeutet dies eine höhere Kaufkraftbindung. Aber nicht nur betriebswirtschaftlich ist die Beteiligung wichtig. Die Innenstadt wird immer mehr zu einem Ort, in dem man sich trifft, Freizeit verbringt.
Wie können Innenstadtkonzepte den Anforderungen des Klimaschutzes gerecht werden und welche nachhaltigen städtebaulichen Maßnahmen sehen Sie als besonders wirksam an?
Klimaschutz und Klimaanpassung sind meist Buzz-Words in den Konzepten. Richtigerweise werden diese Themen echte Querschnittsthemen. Das heißt: Maßnahmen müssen bestimmte Kriterien erfüllen, ansonsten werden sie nicht mehr durchgeführt. Zentrale Maßnahmen für mehr Klimaschutz gibt es viele. Sie reichen von Anreizen für mehr vertikale Begrünung an Gebäuden, über Wasserauffangmöglichkeiten bis hin zu einer Bündelung des Lieferverkehrs vor der Innenstadt und klimaneutrale Lösungen für die Anlieferung von Waren in der Innenstadt, der so genannten „letzten Meile“.
Die Corona-Pandemie hat das Stadtleben stark verändert. Welche Lehren können Städte daraus ziehen?
Gerade die Innenstadtakteure haben in der Pandemie beim ersten Lockdown bewiesen, dass Kreativität und pragmatische Lösungen – ich denke an schnell organisierte und kommunizierte Lieferservices der Gastronomie – möglich sind und besonders von einem Innenstadtmarketing auch ermöglicht werden können. Eine Lehre ist also für Kommunen, dass ein Innenstadtmarketing wenig mit „Werbung“ und „freiwillig“ zu tun hat. Vielmehr sind professionelle Innenstadtmarketingstrukturen zu stärken und zu professionalisieren, um auch bei künftigen Krisen eine Handlungsfähigkeit der Innenstadt sicherzustellen. Und ganz generell für unsere Gesellschaft gilt: weniger Bedenken haben, einfach mal machen.
In Zeiten von Online-Shopping und urbanem Wandel – wie können sich Innenstädte so positionieren, dass sie langfristig wettbewerbsfähig bleiben?
Die Innenstadt muss ihre Besonderheiten erlebbar machen! Die Innenstadt wird immer Vorteile gegenüber der virtuellen Welt haben. Nur in der „echten“ Innenstadt sind menschlicher Austausch, Haptik (Produkte anfassen), Riechen, Schmecken usw. möglich. Gleichzeitig wird die virtuelle Welt immer Vorteile hinsichtlich Schnelligkeit, Einfachheit und Bequemlichkeit haben. Die Kunst wird für das Innenstadtmarketing darin liegen, beide Welten zu vermischen. Innenstadtkunden gehen ganz selbstverständlich mit sozialen Medien um, KI wird in wenigen Jahren selbstverständlich sein. Eine Innenstadt, die nicht digital kommuniziert und beide Welten gleichermaßen „bespielt“, wird in Zukunft Probleme bekommen.
Welche Rolle spielt die Innenstadt als sozialer und kultureller Treffpunkt?
Das ist ein Charakteristikum der zukunftsfesten Innenstadt. Nicht mehr reiner Konsumort für Handel und Gastronomie, sondern der Ort, an dem Kultur stattfindet – sei es in der Musikschule, sei es in einem Szeneclub, auf offener Bühne zur Gesangsprobe oder bei Freiluftkunst. Zudem Ort, an dem sich alle Menschen, unabhängig von Einkunft, Herkunft usw. aufhalten, gemeinsam, nebeneinander. Diese Funktionen müssen ermöglicht werden – durch ein intelligentes Nutzungsmanagement. Das meint, dass Eigentümer von Immobilien beispielsweise bei einzelnen Objekten auf hohe Renditen verzichten, die Stadt dafür Anreize bietet. In manchen Städten läuft dies über Mietausfallbürgschaften. Zum anderen muss aber dieses Miteinander und Nebeneinander unterschiedlicher Kulturen gesichert werden. Lieber ein Event weniger, das gesparte Geld dafür in einen Sicherheitsdienst mit investieren, um das Nebeneinander tatsächlich gewährleisten zu können.
Wie sehen Sie die Rolle der Digitalisierung in der Weiterentwicklung von Innenstadtkonzepten? Welche digitalen Lösungen sind unverzichtbar?
Die Digitalisierung muss von den Innenstadtakteuren aktiv angegangen werden. Beispiele: Die Digitalisierung betrifft zunächst die Kommunikation – junge Menschen müssen auf Social Media abgeholt werden. Zudem muss der Innenstadtbesuch, die so genannte „Visitor Journey“, digital abgebildet werden – die Kunden werden es künftig als selbstverständlich ansehen, in der Innenstadt beispielsweise über Push-Nachrichten auf spannende Events hingewiesen zu werden. Für das Innenstadtmarketing werden digitale Daten wichtige Grundlage werden. Die KI wird Planungsprozesse verbessern, indem Auswirkungen von Baumaßnahmen oder Verkehrsänderungen prognostiziert werden. All dies halte ich auch für unverzichtbar.
Gibt es Städte, von denen wir lernen können?
Ja, der Blick über den Tellerrand ist wichtig. Amsterdam, Kopenhagen und weiteren Städte gelingt beispielsweise eine hohe Innenstadtattraktivität in Verbindung mit modernen Mobilitätskonzepten. Wien hat eine beachtenswerte Bodenpolitik. Aber es sind gar nicht immer die Metropolen – Vorreiter bzw. Good-Practice-Beispiele finden sich bei vielen kleinen Kommunen und Klein- und Mittelstädten! Leinfelden-Echterdingen hat einen erfolgreichen Initiativkreis, einen Mix aus Verwaltung, Gemeinderat und Händlern. Lohr am Main hat ein erfolgreiches Nutzungsmanagement und – in dieser Stadtgröße bemerkenswert – jüngst eine Markthalle am Marktplatz. Städte wie Nagold oder Mengen zeigen, dass auch vermeintlich schwierige Lagen im Raum kein Hindernis für tolle Innenstadtentwicklung sein müssen. Und in Ostwürttemberg gibt es auch großartige Beispiele.
Vielen Dank Herr Dr. Markert für das Interview.