Lothar Schmitz, Wirtschaftsjournalist

Nicht meckern, sondern mitgestalten

„Bürgerschaftliches Engagement ist für die freiheitlich-demokratische Grundordnung konstitutiv. Die Demokratie mit ihrer spezifischen Form der Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse ist auf bürgerschaftliche Mitwirkung angelegt“, unterstreicht Prof. Dr. Sebastian Braun von der Humboldt-Universität Berlin. Darüber hinaus werden aber auch unter ökonomischen Gesichtspunkten sehr viele bedeutsame Aufgaben im öffentlichen Raum von bürgerschaftlich Engagierten in unentgeltlicher Gemeinschaftsarbeit übernommen. Der Grund: Sie wären staatlicherseits kaum zu finanzieren und für Akteure auf dem Markt unprofitabel.
„Das gilt auch für die unternehmerische Selbstverwaltung in Organisationen wie den Industrie- und Handelskammern“

Bei den IHKs gehört das Ehrenamt zur DNA

Bei den 79 IHKs in Deutschland gehört dieses Engagement gewissermaßen zur DNA. Das Prinzip lautet: Aus der Wirtschaft für die Wirtschaft! Der Staat überlässt Aufgaben wie die Organisation der Ausbildung in Deutschland in Form der Selbstverwaltung nicht ohne Grund den IHKs: Er müsste sie sonst selbst übernehmen und in Form höherer Steuern oder Abgaben den Bürgern in Rechnung stellen. Zudem weiß niemand so gut, worauf es ankommt, wie die Unternehmen selbst. Über ihre Mitwirkung in Vollversammlung und Prüfungsausschüssen, Arbeitskreisen und anderen IHK-Gremien achten die Betriebe zudem darauf, dass die Aufgaben so effizient und betriebsnah wie möglich erbracht werden – mit anderen Worten: unternehmerisch.
Doch weshalb engagieren sich so viele Unternehmerinnen und Unternehmer, Ausbilderinnen und Ausbilder und leitende Angestellte in ihren IHKs – obwohl sie schon in ihrer eigentlichen Tätigkeit eher 60- als 40-Stunden-Wochen absolvieren?
„Wenn wir unsere Gesellschaft aktiv mitgestalten wollen, ist es wesentlich, über das Ehrenamt an politischen Prozessen mitzuwirken“,
sagt ein ehemaliger IHK-Präsident.
"Nur meckern hilft nicht. Lieber selbst anpacken, um etwas zu ändern!“,
argumentiert ein Ausschussmitglied. In einer Ausgabe des IHK-Ausbildungsmagazins „Position“ sagt Gabriele Trodtfeld, Leiterin der Personalabteilung im Hotel Radisson Blu in Köln und ehrenamtliche Vorsitzende des Prüfungsausschusses „Hotelfach 3“ der IHK Köln:
„Wir verstehen Ausbildung und das Engagement in einem IHK-Prüfungsausschuss als wichtigen gesellschaftlichen Beitrag, zudem bietet dieses IHK-Ehrenamt eine sinnvolle und gute Gelegenheit, um die Qualität der Ausbildung in unserer Branche nachhaltig sicherzustellen.“

Vom ehrenamtlichen Engagement profitieren alle

Die Gründe für das Engagement sind also vielfältig. Gemeinsam ist den Akteuren: „Ehrenamtliches Engagement geht in der Regel über die rationale Seite nutzenkalkulierenden Handelns hinaus“, erklärt Ehrenamtsforscher Braun, „denn eine besondere Bedeutung dieses Engagements besteht darin, sich auch dann einzusetzen, wenn die individuelle Kosten-Nutzen-Bilanz auch über einen längeren Zeitraum hinweg negativ ausfällt.“ Insofern sei ein solches Engagement auch getragen von der Bedeutung, die der oder die Einzelne dem Ziel und der Aufgabe an sich zuweise. „Das bedeutet natürlich nicht, dass dieses Engagement nicht auch von individuellen Nutzenkalkülen getragen wird“, ergänzt Braun, „wie zum Beispiel Ansehen, Wertschätzung oder Networking.“
Das Engagement kommt also den Ehrenamtlichen selbst und ihren Unternehmen zugute – aber zugleich auch der Gesellschaft und der jeweiligen Wirtschaftsregion. Denn das Prinzip der Selbstverwaltung, das enge Miteinander von Ehrenamt und Hauptamt sorgen dafür, dass sich die IHKs und auch deren Dachorganisation, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), im Unterschied zu anderen Organisationen der Wirtschaft, besonders den Branchenverbänden, auf eine breite Grundlage stützen können. Der dadurch notwendige Ausgleich der Interessen macht die IHK-Organisation unabhängig von Einzelinteressen und schafft ein besonderes Gewicht gegenüber Politik, Behörden und Institutionen. Das wäre ohne gesetzliche Mitgliedschaft und ehrenamtliches Engagement unmöglich.
von Lothar Schmitz, Wirtschaftsjournalist