„Zwei Inder aus Deutschland“

Vom bevölkerungsreichsten Staat der Welt auf die Ostalb: Wie zwei Inder bei Mapal und Leitz Fuß gefasst haben

Mit 1,4 Milliarden Einwohnern ist Indien inzwischen vor China der bevölkerungsreichste Staat der Welt. Mehr als 15 Sprachen werden dort gesprochen, hinzu kommen noch unzählige Dialekte. Eine Stadt wie Bangalore im Südwesten des Kontinents beispielsweise hat mit 11,4 Millionen mehr Einwohner als Baden-Württemberg. Aus dieser weit entfernten Region haben berufliche Gründe Prithvi Sripathy und Sunil Sukumaran auf die Ostalb geführt – in eine ganz andere Welt, in der sie sich wohlfühlen, deren Sprache sie zwar erst erlernen mussten, die sie aber inzwischen so gut wie fehlerfrei beherrschen.
Wen man ihn fragt, woher er kommt, sagt Prithvi Sripathy:
„Ich bin ein Inder aus Deutschland, meine Heimat ist Aalen.“
Hier hat er so fest Wurzeln geschlagen, dass er Linsen mit Spätzle mag und kräftig schwäbeln kann. Auch das ist nicht selbstverständlich, denn vor noch nicht allzu langer Zeit schien Schwäbisch für ihn sogar nach einem erfolgreich abgeschlossenen Deutsch-Intensivkurs eine weitere Fremdsprache zu sein.
„Als ich nach Aalen kam, habe ich hier gar nichts verstanden“,
erzählt er lachend.
Prithvi Sripathy ist vor zwölf Jahren in eine für ihn damals vollkommen fremde Welt mit einer ganz anderen Kultur gekommen. Eigentlich sollte er auch nur ein halbes Jahr fern seiner Heimat bleiben. Er ist in Bangalore aufgewachsen, dort zur Schule gegangen, hat in seiner Heimatstadt Maschinenbau studiert und mit dem Bachelor abgeschlossen. Sein Vater ist Leiter des indischen Werks der Aalener Firma Mapal. So lernte der damalige Mapalchef Dr. Dieter Kress auf einer seiner Reisen Prithvi Sripathy kennen und schlug dem jungen Mann vor, nach Deutschland zu kommen. Der damals 24-Jährige sprach zwar Tamil, die Sprache seiner Region, er beherrschte Hindi und die Amtssprache Englisch, aber des Deutschen war er natürlich nicht mächtig. Daher musste er in München in einer Sprachschule drei Monate die Schulbank drücken. Seine Lehrerin war Hannoveranerin und brachte ihm Hochdeutsch bei. Schwäbisch aber natürlich nicht und so musste Sripathy in Aalen nochmal eine „Fremdsprache“ lernen. Inzwischen beherrscht er sie so gut, dass seine seinerzeitige Lehrerin manchmal scherzt, sie verstehe ihn gar nicht mehr.
Nicht schlecht oder sehr gut?
Sechs Monate lang lernte er die verschiedenen Fertigungsstationen des Präzisionswerkzeugeherstellers Mapal rund um den Globus gründlich kennen, ehe er sich an der Hochschule in Aalen einschrieb und hier 2014 als einer der Ersten mit dem Master for advanced materials and manufacturing, in dem es um innovative Materialien und Fertigungstechniken geht, sein Maschinenbaustudium weiterführte. Dabei lernte er auch einen Mentalitätsunterschied kennen. Die Aussage „nicht schlecht“ deutete er als Hinweis, an seiner Arbeit noch zu feilen. Das tat er mehrmals, bis man ihm zu verstehen gab, dass die Arbeit nicht nur „nicht schlecht“, sondern sogar „gut“ ist.
Mit dem Master in der Tasche kehrte er zu Mapal zurück und war als technischer Servicemitarbeiter in den Auslandsstandorten, unter anderem in seiner Heimat Indien, beispielsweise für Schulungen und Fertigungsprozesse zuständig. Als Projektleiter oblag es ihm später, Prozesse zu koordinieren, und jetzt ist er dabei, eine neue Abteilung für den Bereich Product Automation aufzubauen. Es geht dabei um die Strukturierung, Erstellung und Pflege von digitalen Zwillingen für das Produktportfolio von Mapal.
In all den Jahren ist Sripathy in Aalen heimisch geworden und hat inzwischen mit seiner Frau, die ebenfalls aus Indien kommt, einen eineinhalb Jahre alten Sohn. Der Kleine wächst dreisprachig auf mit Tamil, Englisch und Deutsch.
„Indien hat seit 5000 Jahren Erfahrung mit Einwanderung“,
sagt Sripathy, wenn man ihn auf die aktuelle deutsche Diskussion über Zuwanderung und Ausländerhass anspricht. Wer als Ausländer nach Deutschland komme, müsse das Land und dessen Kultur verstehen. In jedem Land gebe es Ausländer und es komme auf jeden Zuwanderer selbst an, wie er reagiere und etwas zu einem rassistischen Thema mache.
„Es liegt auch an mir, denn ich bin hier in einem anderen Land mit seiner eigenen Kultur und Dynamik.“
Er jedenfalls habe in dieser Beziehung keine schlechten Erfahrungen machen müssen.
Warum Unzufriedenheit gut ist
Fragt man ihn, was ihm in Deutschland besonders positiv oder negativ auffällt, gibt er eine auf den ersten Blick überraschende und verwirrende Antwort:
„Diese ständige Schimpferei!“
Denn eigentlich hätten die Menschen keinen Grund, unzufrieden zu sein. Andererseits aber, und das sei das Positive daran, bringe diese Unzufriedenheit die Menschen auch voran, denn sie kämpften so ständig darum, ein Produkt noch weiter zu verbessern. Diese Suche nach Perfektion habe auch ihn stark beeinflusst, räumt Sripathy ein. Ebenso Kostenbewusstsein, Disziplin und Pünktlichkeit der Deutschen. Und: Eine Vereinbarung stehe per Handschlag, aber vorher muss sie in vielen Gremien abgeklopft werden.
Sein Landsmann Sunil Sukumaran hat in Rosenheim dagegen einmal Rassismuserfahrungen machen müssen, glücklicherweise nicht in größerem Ausmaß.
Sein Deutschlandbild haben sie jedoch nicht negativ beeinflusst. Denn Diskriminierung gibt es auch in Indien mit seiner vielfältigen Kultur, den vielen Sprachen und Glaubensrichtungen, erzählt er. Und schon von Kinderbeinen an war ihm Deutschland ein Begriff. Aufgewachsen ist er in einem kleinen Dorf ganz an der Südspitze Indiens im Bundesstaat Tamil Nadu. Dort haben seine Eltern 1981 ein Waisenheim gegründet und betrieben. Ein Stuttgarter hat es auf einer Reise kennengelernt, ist mit Sukumaran senior in Kontakt gekommen und hat einen nach wie vor existierenden Verein gegründet, der das Projekt unterstützt. Mitglied ist übrigens auch eine Aalenerin, die Sunil Sukumaran seit seiner Kindheit kennt. Inzwischen ist er auch Vorstandsmitglied und unterstützt aktiv die Schul- und Berufsausbildung von Kindern und Jugendlichen durch dieses Projekt in Indien. Inzwischen ist aus dem Heim eine Tagesstätte für arme Kinder geworden.
Eine zweite Heimat gefunden
Sunil Sukumaran hat ebenfalls Maschinenbau studiert. Den Bachelor machte er in seiner Heimat, den Master wollte er an einer ausländischen Hochschule daraufsetzen. Dabei kam auch Deutschland für ihn in Frage, zumal er bereits begonnen hatte, Deutsch zu lernen. In Rosenheim hatte seine Bewerbung Erfolg und im Rahmen des Studiums war er an einem Forschungsprojekt beteiligt, das die Firma Leitz sponserte. So kam er in Kontakt mit dem Oberkochener Unternehmen, dem weltweit führenden Hersteller von Werkzeugen für die professionelle Bearbeitung von Holz und von Holz- und Kunststoffen. Auf der Ostalb bei Leitz schrieb er auch seine Masterarbeit, und er ist sogar mit einem Preis des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) für hervorragende Leistungen als ausländischer Studierender ausgezeichnet worden. In der Abteilung für Forschung und Entwicklung bei Leitz hat er seit Ende 2016 seinen festen Arbeitsplatz. Hauptsächlich ist er mit der Entwicklung und Untersuchung von Werkzeugen für die Zerspanung befasst.
„Ich bin der erste Asiate, der in Oberkochen bei Leitz fest angestellt ist“,
erzählt er stolz.
Inzwischen spricht er sehr gut Deutsch neben seiner Muttersprache Tamil und der indischen Amtssprache Englisch. Deutschland ist für Sunil Sukumaran wie eine zweite Heimat und mit seiner Frau, die ebenfalls aus Indien stammt und mit der er seit drei Jahren verheiratet ist, hat er nicht nur Freunde in der indischen Community, sondern auch mit Deutschen, denn die beiden sind als Mitglieder der christlichen Minderheit in Indien auch in der Aalener freikirchlichen Gemeinde „Hoffnung für alle“ aktiv.
„Wir sind hier voll integriert“,
erzählt Sukumaran. Die Freizeit nutzen seine Frau und er, um möglichst viel von Deutschland und Europa kennenzulernen. Ihre gemeinsamen Hobbys sind reisen, kochen, musizieren und sich sportlich betätigen. Seine Frau singt auch in der Kirchengemeinde in Aalen, er fotografiert gerne.