IHK Ostwürtemberg

Wir Europäer müssen jetzt enger zusammen stehen

Ehemaliger Botschafter Deutschlands in Moskau gibt Einblicke ins Machtzentrum Kreml
Rüdiger von Fritsch, Botschafter a.D. (Moskau 2014 – 2019) sprach Anfang April im Prediger in Schwäbisch Gmünd. Sein Vortragstitel:
„Zeitenwende. Putins Krieg und die Folgen“. Die Stadt Schwäbisch Gmünd und die IHK Ostwürttemberg konnten den Botschafter für
einen Vortrag mit über 140 Gästen gewinnen.
Rüdiger von Fritsch in Aktion
Fünf Jahre als Botschafter in Moskau haben Rüdiger von Fritsch tiefe Einblicke in den Machtapparat des Kreml erlaubt. In seinem 2020 erschienen Buch „Russlands Weg“ hat er die politischen Ambitionen der autokratischen Führung Russlands erklärt, wie auch die „Ressourcenflucht“ eines rohstoffreichen Landes und die fortdauernden Belastungen der russischen Gesellschaft durch eine schwierige, nicht aufgearbeitete Geschichte. Heute ist er einer der am meisten gefragten deutschen Experten, wenn es darum geht, Putins Krieg gegen die Ukraine und seine Folgen zu analysieren. Sein zweites Buch wird im April 2022 erscheinen.
In seinem Vortrag ging er auf einige Fragestellungen ein, die jeden die letzten Monate beschäftigt haben dürften: Warum gibt es die-sen Krieg? Wie kann es enden? Was sind die absehbaren Folgen?
Dazu, so von Fritsch, habe er versucht, sich in den Kopf des russischen Präsidenten hineinzuversetzen. Putin handle schlichtweg nach einer anderen Rationalität.
„Das müssen wir verstehen. Er ist ein autokratischer Führer, der sein Land unter Kontrolle gebracht hat und zwar mit: Propaganda, Repression und Bestechung. Es ist seine Mission, Russland seiner Bestim-mung zuzuführen“,
so von Fritsch. Als ausgebildeter sowjetischer KGB-Agent sei Putin stets von der Angst getrieben, dass seine Macht gefährdet sei. Er sehe sein Land bedroht, dagegen müsse er nun vorgehen. Russland habe die Geschichte nicht aufgearbeitet, was aber wichtig gewesen wäre. Dazu geselle sich die Orientierung der Ukraine oder Weißruss-lands Richtung Westen, was man nicht akzeptieren könne.
„Das ist ein imperiales Denken Putins“,
so von Fritsch. All diese aktuellen Bestrebungen geschehen aus einer eigentlichen Schwäche heraus, was, wie von Fritsch einräumte, zunächst einmal paradox anmute.
Russland sei nicht in der Lage, seine ungeheuren Ressourcen selbst zu nutzen. Es seien nicht wenige Geschäftszweige, die von Russland abhingen. Beispielhaft nannte er die Reifenproduktion, Senfkörner und natürlich vor allem die fossilen Energieträger. Wenn man sich das alles vor Augen führe, so von Fritsch, müsse man festhalten:
„Die Politik des Westens ist nicht gescheitert, sie ist nur an Grenzen gestoßen.“,
sagt von Fritsch. Er verdeutlichte dies am Beispiel eines Schachbrettes, das Putin umgestoßen hätte.
Bereits 2014 hatte Putin die Ziele im Blick, die er jetzt mit seinem Krieg nachdrücklich erreichen wolle. Der Osten und der Süden der Ukraine sollen wieder russisch werden. Dennoch geht von Fritsch davon aus, dass die NATO nicht militärisch eingreifen werde. Was ihm aber aufstößt:
„Putin hat es geschafft, innerhalb von etwa 72 Stunden, die kompletten Grundsätze der deutschen Nachkriegsgeschichte über den Haufen zu werfen: Wir haben wieder Waffen in Kriegsgebiete geliefert. Damit hat er unglaublichen Schaden angerichtet.“
Für von Fritsch gibt es vier Szenarien für den Ausgang des Krieges:
1.    Die Ukraine siegt.
2.    Russland siegt.
3.    Der Krieg eskaliert.
4.    Es entsteht eine Patt-Situation
Welches Szenario eintreten könnte, würde er aber auch nicht einschätzen wollen. Putin habe die Welt in eine Konfrontation geführt, das heißt:
„Europa muss noch enger zusammen-rücken. In Europa haben wir unglaublich viel erreicht; wir sind die stärkste Handelsmacht.“
IHK-Präsident Markus Maier ging in seiner Begrüßung auf die unglaublich schwierige Aufgabe für Politik und Diplomatie ein, die unter dem Eindruck des Krieges in Europa deeskalierend handeln solle und müsse. Die Diskussion, ob mehr Härte und insbesondere auch ein Bezugsstopp von Gas, Öl und Kohle aus Russland richtig oder gar notwendig wäre, beherrsche weite Teile der Diskussion. Es ist eine der größten Aufgaben und Herausforderungen, vor denen die nationale und internationale Politik seit dem 2. Weltkrieg stehe.
„Vermutlich weder Sie noch ich möchten aktuell mit der Politik tauschen. Es ist die national und international größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg“,
so Maier.
Für eine IHK sei Zurückhaltung in diesem Feld der Politik geboten. Ihre Aufgabe bestehe darin, der Politik zu erklären, welche Konsequenzen wir erwarten, wenn bestimmte Beschlüsse umgesetzt werden. Aufgabe sei es, die Auswirkungen des Krieges und der Wirtschaftssanktionen für Deutschland und damit auch für Ostwürttemberg aufzuzeigen. Die IHK Ostwürttemberg berate dies mit den betroffenen Unternehmen, stimme dies im Verbund mit den baden-württembergischen Nachbarkammern ab und bringe diese Erkenntnisse auf Bundesebene ein.
Er nannte das Beispiel des Weiterbezuges von russischem Gas, das unter andrem ein Thema des dritten Online-IHK-Informationsaustausches mit Unternehmen war. Russland exportiere weltweit täglich 16 Terawattstunden Gas, davon gehen 2,5 Terawattstunden nach Europa, nur 1 bis 1,5 Terawattstunden nach Deutschland. Dies entspräche einem deutschen Anteil an den weltweiten russischen Gasexporten von etwas mehr als 6 bis maximal 9,5 Prozent. In dieser Runde von Unternehmensvertretern wurde deshalb sehr nachdrücklich gefragt,
„wenn wir Putin treffen wollen, können wir das wirklich durch eine Gasabschaltung erreichen?“
Die Auswirkungen einer Gasabschaltung von Russland ausgehend wären auf die IHK-Mitgliedsunternehmen – auch das sei ein Ergebnis der Gesprächsrunden – dagegen mehr als erheblich. Einige energieintensive Branchen könnten massiv eingeschränkt bis überhaupt nicht weiterarbeiten, da eine Umstellung auf andere Energieträger in kurzer Zeit völlig ausgeschlossen sei.
Das Thema Energieversorgung sei zu einer Frage der nationalen Sicherheit geworden. Die Ölreserven in Deutschland würden für ca. 90 Tage reichen. Die Gasreserven in Baden-Württemberg und in Deutschland jedoch seien derzeit nur gering.
Gut sei es, wenn die Politik Menschen befrage und ihnen zuhöre. Menschen, die Putins Politik seit Jahren eng begleiten. Menschen, die in der Lage seien, politische Zusammenhänge ganzheitlich zu erfassen. Eine derart ausgewiesene Persönlichkeit sei Rüdiger von Fritsch, langjähriger Botschafter in Moskau und Warschau. 1966 kam er nach Schwäbisch Gmünd und ist seither mit der Region trotz vieler Auslandsaufenthalte verbunden. Er kenne Russland und den russischen Präsidenten und er kenne die Zwänge und Handlungsspielräume von Politik und Diplomatie.
IHK-Präsident Markus Maier:
„Aus erster Hand mussten Sie, lieber Herr Botschafter, die Ereignisse des Konflikts um die Besetzung der Halbinsel Krim im Jahr 2014 miterleben und die taktischen wie strategischen Vorgehensweisen von Russlands Präsident Wladimir Putin ergründen. Ein Glücksfall, dass Sie heute zu uns sprechen.“
An die Begrüßung von IHK-Präsident Markus Maier schloss sich die Begrüßung durch den Hausherren, Oberbürgermeister Richard Arnold, an. Er bereitete die Gäste darauf vor, dass diejenigen Flüchtlinge, die bereits in Gmünd gelandet seien, nicht nur von kurzer Dauer hier bleiben werden. Davon sei er überzeugt. Weit über 500 Menschen aus der Ukraine seien bereits in der Stauferstadt angekommen, überwiegend Frauen und Kinder. Man müsse sie und die Mütter auf andere Gedanken bekommen, die Kriegsflüchtlinge müssten schnell Deutsch lernen, damit man sie noch schneller und besser in Schwäbisch Gmünd integrieren kann.
IHK-Hauptgeschäftsführer Thilo Rentschler moderierte die abschließende Fragerunde und bedankte sich beim sehr gefragten Botschafter Rüdiger von Fritsch für seine Expertise und seine Lageeinschätzung.
„Vielen Dank, dass Sie Ostwürttemberg und Schwäbisch Gmünd nach wie vor, sehr verbunden sind.“
Die Impulse seines Vortrages werden in die angelaufene Zukunftsinitiative Ostwürttemberg einfließen, sowie auch Teil des nächsten Informationsaustausches mit den Unternehmen sein.
InformatIon zur UkraIne-Hilfe Schwäbisch Gmünd und Ukraine-Hilfe Göggingen

www.schwaebisch-gmuend.de/ukraine.html
Die Spendeneinnahme für den Hilfsfond Ukraine-Hilfe werden für Ukraine-Flüchtlinge in der Stadt Schwäbisch Gmünd eingesetzt. Bei der Ankunft der Geflüchteten wird zuerst die akute Notlage behoben. Im Vordergrund steht der gesundheitliche Zustand mit Verpflegung, dann erfolgt die Unterkunft und im Anschluss beginnen die Integrationsmaßnahmen in Form von Sprachkursen und Kinderförderung wie zum Beispiel Jugendkunstschule.
Wer Geld für die Ukrainehilfe spenden möchte, kann dieses über das städtische Konto tun: Spendenkonto: DE75 6145 0050 0440 0001 41
Stichwort: Flüchtlingsfonds VK-RECH-G-029071

http://ukrainehilfe-goeggingen.de/
Die Ukrainehilfe-Göggingen setzt sich als Verein für die Unterstützung von Betroffenen des Krieges in der Ukraine ein - innerhalb und außerhalb der Ukraine. Dies erfolgt insbesondere durch Sammlung von Geld- und Sachspenden sowie durch persönliche Unterstützung der Vereinsmitglieder und weiterer Helfenden. Finanzielle Mittel werden insbesondere dazu genutzt, um notwendige Sachspenden zu erwerben und diese in die Ukraine zu transportieren. Zusätzlich werden Menschen mit Flucht-, Kriegs- und Traumaerfahrungen aus der Ukraine mit psychologischer Betreuung, Sachspenden, Unterkünften und der Übernahme sonstiger erforderlicher Kosten unterstützt.
Spendenkonto: Ukraine-Hilfe Göggingen
IBAN: DE19 6145 0050 1001 3192 94, BIC: OASPDE6AXXX
STATIONEN VON BOTSCHAFTER A.D. RÜDIGER VON FRITSCH
•     1986 bis 1989: Deutsche Botschaft in Warschau - vor dem Fall des Eisernen Vorhangs Kontakt zu dortigen Oppositionellen
•     1989 bis 1992: Deutsche Botschaft in Kenia
•     Nach Tätigkeiten im Auswärtigen Amt und in Brüssel bei der deutschen EU-Vertretung wechselte er für fünf Jahre ins Bundespräsidialamt. Als Leiter des Planungsstabs unterstützte er maßgeblich die Amtszeit von Bundespräsident Johannes Rau.
•     2004 bis 2007: Vizepräsident des Bundesnachrichtendiensts BND und von 2007 bis 2010 Leiter der Abteilung Wirtschaft im Auswärtigen Amt. Dort arbeitete er bei den G8-Gipfeltreffen Bundeskanzlerin Angela Merkel, den Außenministern Frank-Walter Steinmeier und Guido Westerwelle zu.
•     2010 bis 2014: deutscher Botschafter in Warschau und – als Krönung der Diplomatenlaufbahn – von März 2014 bis zur Pensionierung im Juli 2019 deutscher Chefdiplomat in Moskau.
Rüdiger von Fritsch hat sein Honorar der Ukraine-Hilfe Schwäbisch Gmünd gespendet.