Prognose

Der Bedarf an Nachfolger steigt

In vielen Studien und Prognosen zur Entwicklung des Nachfolgegeschehens wird häufig nur auf das Alter der Unternehmer abgestellt. Für die Region Ostwürttemberg haben wir im Nachfolgereport (nicht barrierefrei, PDF-Datei · 8946 KB) die Altersstruktur im Jahr 2020 der IHK-Mitgliedsunternehmen differenziert dargestellt und rechnen hoch, wie sich diese Zahlen in den nächsten Jahren verändern. Wir möchten an dieser Stelle aber auch aufzeigen, welche eingeschränkte Aussagekraft eine solche Betrachtung nur des Merkmals „Alter“ mit sich bringt.
Die erste Einschränkung besteht bereits darin, dass man „nur“ die Einzelunternehmen sinnvoll nach dem Alter der Unternehmer betrachten kann. Bei Personen- und Kapitalgesellschaften ist dies nicht sinnvoll, denn Inhaber, Geschäftsführer oder Gesellschafter sind häufig unterschiedlichen Alters.
Zum Betrachtungszeitraum im Jahr 2020 waren von den 27.237 Mitgliedern der IHK Ostwürttemberg 69,2 Prozent oder 18.844 Einzelunternehmen. Den Gesellschaften bürgerlichen Rechts als Personengesellschaften waren 6,4 Prozent zuzuordnen und den Kapitalgesellschaften 24,4 Prozent.
Damit ließen sich statistisch Aussagen für fast 70 Prozent der IHK-Mitgliedsunternehmen machen. Für die folgende Analyse haben wir aber die Zahl der Einzelunternehmen nochmals differenzierter betrachtet und um die Teilgruppen Besitzgesellschaften, Verwaltung von Unternehmen oder auch Energieerzeugungsanlagen bereinigt.
Erstere sind verknüpft mit einem operativen Betrieb und kommen nicht separat für eine Nachfolge in Frage. Letztere sind auch sehr kleinteilig und tauchen im Nachfolgegeschehen nicht auf. Damit beziehen sich die im Folgenden gemachten Aussagen noch auf eine bereinigte Zahl von 16.621 Einzelunternehmen.
Im Jahr 2020 waren 3.716 Einzelunternehmerinnen und -unternehmer 60 Jahre und älter. Bei diesen Unternehmen steht zeitnah in den nächsten Jahren eine Nachfolgeregelung bevor. Bereits an dieser Stelle sollte aber nach Haupterwerb und Nebenerwerb unterschieden werden. Denn Betriebe im Nebenerwerb sind bezüglich Umsatz und Ertrag häufig Kleinstbetriebe und vom Erfolg eng mit der Unternehmerin, dem Unternehmer verknüpft. Für eine Nachfolgeregelung scheiden sie also meist aus. Zieht man die Nebenerwerbsbetriebe ab, so bestünde aktuell bei 3.095 Unternehmen ein Handlungsbedarf nur auf Basis des Kriteriums Alter.
Würde man unterstellen, dass keinerlei Neugründungen hinzukommen, dann würde sich auf Basis des Jahres 2020 die Altersstruktur bei den Einzelunternehmen (ohne Nebenerwerb) bis zum Jahr 2030 gemäß der folgenden Grafik verschieben. Bereits 2025 stünden auf Basis des Kriteriums Alter bereits 4.949 vor der Nachfolgeregelung und im Jahr 2030 6.751 Einzelunternehmen.
Mit leichtfertigem statistischem Blick würde dies also bedeuten, dass im Jahr 2030 fast 6.800 Nachfolger gefunden werden müssten. Die Realität zeigt aber, dass viel gewichtigere Faktoren über die Chance einer Übergabe entscheiden als das Alter. So gibt es viele Soloselbständige ohne Beschäftigte, die sehr erfolgreich sind aber keinen Nachfolger suchen. Diese Kleinstunternehmen sind gerade im Dienstleistungsbereich stark vertreten. Beispiele sind hier Ingenieure, Dolmetscher, Unternehmens- und Fachberater. Der Dienstleistungssektor hat an den Einzelunternehmen in der Region insgesamt einen Anteil von fast 50 Prozent. Aber auch in anderen Branchen gibt es viele Soloselbstständige, wie z.B. Schausteller oder Handelsvertreter. Eine regionale Statistik über die Zahl der Soloselbstständigen gibt es nicht, aber man muss von einem hohen Anteil ausgehen. Gemäß Berechnungen des Instituts für Mittelstandsforschung IfM ist deren Anteil bundesweit bei fast 50 Prozent. Das lässt sich nach unserer Einschätzung auch auf die Region übertragen.
Ein weiterer Faktor sind die hohen Anteile von Betrieben, die von über 67-Jährigen geführt werden. Auch hier gibt es noch viele erfolgreiche Betriebe. Aber ein hoher Anteil dieser Unternehmer betreibt ihr Geschäft nur noch in geringem Umfang oder hat es einfach formal noch nicht abgemeldet. Manche erlöschen erst nach dem Tod, wenn das Gewerbe von Amts wegen gelöscht wird.
Ein in der Praxis enorm wichtiges Kriterium ist die Übergabereife. Dies wurde vom IfM so definiert, dass ein potenzieller Käufer mit dem Ertrag einen Unternehmerlohn und einen Risikozuschlag erwirtschaften muss. Die Schwellenwerte für den Jahresmindestertrag liegen bei rund 60 TEUR. Lassen sich also diese Erträge nicht erwirtschaften, wird es schwer eine erfolgreiche Nachfolge zu finden. Auch dies ist ein wichtiger Korrekturfaktor hinsichtlich des tatsächlichen Bedarfs an Nachfolgern. Aktuell verschärft sich die Situation am Nachfolgemarkt auch dadurch, dass viele Geschäftsmodelle durch die Digitalisierung, neue Technologie und weitere Transformationsthemen unter Druck geraten. Das verschärft den Druck auf die Übergabereife weiter.
Unter Berücksichtigung dieser Faktoren lässt sich eine vorsichtige Hochrechnung erstellen. Im Jahr 2020 gibt es in Ostwürttemberg 10.706 Einzelunternehmer (ohne Nebenerwerb). Davon sind 1.844 im Alter zwischen 60 und 66 Jahren. Zieht man davon 50 Prozent Soloselbstständige ab, dann gäbe es von 2020 bis 2025 einen Bedarf von 153 Nachfolgern für Einzelunternehmen. Deren Anteil am Nachfolgegeschehen liegt bei rund 57,7 Prozent. Unter Berücksichtigung der anderen Rechtsformen bestünde damit ein reeller Bedarf an 265 Nachfolgern. Dies entspricht genau den durch das Statistische Landesamt Baden-Württemberg ermittelten tatsächlichen Nachfolgen der letzten Jahre.
Richtet man den Blick auf das Jahr 2030, dann steigt die Zahl der Unternehmer im Alter zwischen 60 und 66 Jahren auf 2.513. Zieht man davon wieder 50 Prozent Soloselbständige ab, dann gäbe dies von 2026 bis 2031 einen Bedarf von jährlich 209 Nachfolgern für Einzelunternehmen. Unterstellt man einen gleichen Anteil am Nachfolgegeschehen wie aktuell, dann würde sich unter Berücksichtigung aller Rechtsformen ein Bedarf an 363 Nachfolgern ergeben.
Damit ließe sich das Fazit ziehen, dass die Zahl der notwendigen Nachfolger in Ostwürttemberg von aktuell rund 265 auf dann 363 jährlich wächst. Dies ist besonders in Branchen, die sich schon heute schwer tun einen Nachfolger zu finden eine besondere Herausforderung. Zugleich Auftrag an die regionalen Partner im Nachfolgenetzwerk, bei der Sensibilisierung zum Thema Nachfolge nicht nachzulassen.