IHK Ostwürttemberg
Aus der Traum vom Reichtum
Slobodan Milojevic wollte als Spielerfinder den Durchbruch schaffen, jetzt löst er seine Werkstatt in Herbrechtingen auf.
„Ich bin mit meinem Leben zufrieden“, sagt Slobodan Milojevic, von Freunden liebevoll Milo genannt. Er ist glücklich verheiratet, Vater eines Sohnes und einer Tochter und stolzer zweifacher Großvater. Er hätte freilich auch Grund, unzufrieden und verbittert zu sein. Trotz eines immensen Fleißes, trotz vieler unverkennbarer Talente und trotz eines großen Einfallsreichtums ist ihm nämlich das nötige Quäntchen Glück und damit der große Durchbruch als Spielerfinder versagt geblieben. Davon hat er viele Jahre geträumt, dafür hat er sich so manchen Feierabend in seiner Werkstatt in Herbrechtingen um die Ohren geschlagen, hat getüftelt und konstruiert. Nun ist sein Traum ausgeträumt. Seine Lebenserinnerungen, die er im Selbstverlag herausgebracht hat, sind unter der Überschrift erschienen: „Vom Gastarbeiter bis...?“ Ein Migrantenschicksal.
Reich wollte er werden, der junge Mann, der 1969 an einem lauen Sommerabend im slowenischen Koper auf der Terrasse eines Hotels den Sonnenuntergang genoss. Hin und wieder leistete er betuchten älteren Damen Gesellschaft. Dafür sprangen ein paar Drinks für ihn heraus. Er ist damals gelernter Maurer und Chef seines Einmannbetriebs. Er besitzt eine Mörtelmaschine. Arbeiten ist ihm nie schwer gefallen, sagt er. Aber der junge Mann träumt halt davon, reich zu werden.
Dieser Wunsch hat ihn praktisch sein ganzes Leben umgetrieben. Aufgewachsen ist Milojevic in Kozilo, einem kleinen Dorf im Südosten von Serbien, unweit der bulgarischen Grenzen. Er hat vier Brüder und drei Schwestern, die Eltern sind Bauern. „Mir war schon früh klar“, erzählt er, „dass ich selbst etwas aus mir machen muss. Denn mir hilft keiner.“ Auch der Vater kann ihm nicht helfen und macht ihm klar, dass er selbst für sich sorgen muss.
© IHK / Viktor Turad
Als der 15-Jährige sich mit dem Bus und mit dem Zug in die Hauptstadt Belgrad aufmacht, um dort sein Glück zu finden, drückt ihm der Vater noch ein paar Dinar in die Hand und sagt: „Pass gut auf Dich auf!“ Bei einer Baufirma machte er seine Maurerlehre. Doch irgendwann dämmerte ihm, dass er hier trotz seines Fleißes sein Ziel nicht erreichen wird. Daher wollte er sein Glück im slowenischen Koper versuchen. Die italienische Grenze und damit der Westen sind dort nicht weit entfernt. Da war Milojevic 23 Jahre alt.
Als er also auf der Hotelterrasse den Sonnenuntergang genoss und beobachtete, wie großzügig die Hotelgäste mit Geld umgehen können, kam er wieder mal ins Grübeln. In seinen Erinnerungen liest sich das so: „Dann begann ich nachzudenken, was ich in dem Moment vor Augen hatte und auch so ein Leben erreichen wollte. Wie konnte ich dieser Armut entkommen? Ich wollte eine Schule besuchen, wollte ein Leben ohne Geldsorgen, wollte eine Familie gründen. Einfach vollkommen glücklich sein. Doch wie?!“
Nach einem unruhigen Schlaf ging er am nächsten Tag zum Arbeitsamt. Denn von Bekannten hatte er gehört, dass es Möglichkeiten gibt, in westeuropäischen Ländern legal zu arbeiten und so der Armut zu entkommen. Da er Mentalität und Sprache der deutschen Touristen bereits kannte, schien es ihm naheliegend zu sein, in Deutschland zu arbeiten. Und er hatte mit seiner Bewerbung Erfolg: Nach Tagen und Wochen des bangen Wartens, als er fast alle Hoffnung aufgegeben hatte, erhielt er einen Brief mit allen Unterlagen, die er für einen Neuanfang in Deutschland brauchte. Mit Bus und Zug, zusammen mit einigen Freunden und neuen Bekannten, brach er auf in ein neues Leben. Als er die österreichische Grenze passierte, dachte er im Stillen bei sich: „Bleibe mit Gott, mein schönes Jugo!“ Milojevics Ziel war Ulm. Als „Gastarbeiter“, wie es damals hieß, fing er bei der Firma Magirus an.
Er sprach kein Deutsch und meldete sich daher umgehend für einen Sprachkurs an. Milojevic erzählt in seinen Erinnerungen: „Ich wollte ja schließlich hier Fuß fassen. Die ersten Schritte waren recht holprig, da die deutsche Sprache nicht leicht zu erlernen ist.“ Sein neues Hobby, das Schachspiel, half ihm dabei. Seine deutschen Mitspieler übten mit ihm und korrigierten ihn. Aber nicht nur beim Lernen der Sprache machte er Fortschritte. Milojevic: „Meine Fähigkeit, Schach zu spielen, ließ den ein oder anderen staunen.“ Noch im gleichen Jahr schickte ihn sein Club zu einem Turnier in Stuttgart, wo er einen fünften Platz erreichte.
Milojevic arbeitete später als Kranfahrer in Heidenheim und trat eine besser bezahlte Arbeitsstelle in Nürnberg an. Aber auch das Lernen ging immer weiter. Er belegte nicht nur einen Kurs „Deutsch für Ausländer“, sondern meldete sich auch für Mathematik und Physik an. Durch glückliche Umstände hatte er inzwischen seine heutige Frau kennengelernt und kehrte 1972 zurück auf die Ostalb. In Herbrechtingen nahm das junge Paar eine Wohnung, Milojevic arbeitete die folgenden 37 Jahre als Textilveredler bei der Firma Max Schlatterer in Herbrechtingen.
Aber sein großes Ziel hatte er nicht aus dem Auge verloren. Zeichnen und Malen waren inzwischen seine neuen Hobbies. Er brachte die verschiedensten Motive zu Papier und auf Kupfer. Aber die Hoffnung, sie vermarkten zu können, erfüllte sich nicht. Deswegen gab er dieses Hobby wieder auf, seine Deutschkenntnisse aber wollte er weiter verbessern.
Er meldete sich zu einem Lehrgang an. In der ersten Lehrstunde erfuhr er jedoch, dass es dabei um deutsche Literatur ging. Das war zwar nicht das, was er sich vorgestellt hatte. „Doch da dieser Lehrgang gebührenpflichtig und unkündbar war, versuchte ich, durch meine Lehrbücher meine Deutschkenntnisse etwas aufzurüsten.“ Privat lief es besser: Zu dieser Zeit kam der Sohn zur Welt, einige Jahre später die Tochter. Und Milojevic entdeckte sein Interesse für technisches Zeichnen. Nebenberuflich arbeitete er eine Zeitlang als Zeichner in einem Architektenbüro. Er absolvierte in 19 Jahren verschiedene Lehrgänge, auch in Mathematik und erhielt sechs Zeugnisse und drei Diplome. Mit dem erhofften und erstrebten beruflichen Aufstieg wurde es trotzdem nichts.
Doch aufgeben war keine Option. 1994 unternahm Milojevic einen neuen Anlauf. Er verlegte sich auf Erfindungen im Bereich Gesundheitswesen und Freizeit. Er tüftelt an immer neuen Spielen, für jedes gab es vom Patentamt einen Eintrag ins Musterregister. Seine erste Erfindung und sein Prunkstück heißt „Poljana“, ein Billardtisch mit zwölf Banden, 20 Kugeln und einer Stoppuhr. Da gibt es außerdem einen Würfel mit 18 quadratischen und acht dreieckigen Flächen. Da gibt es „Axapol“, bei dem runde Blättchen auf einen Tisch geworfen werden, dessen Oberfläche aus mehreren axial gerichteten Kreisabschnitten besteht. Himmelsrichtungen und eine ruhige Hand sind da nicht ganz unwichtig.
Und da gibt es die „Milobahn“. Das ist eine 26 Meter lange Kegelbahn, bei der der gezielte Schub an die Bande Voraussetzung dafür ist, dass die Kegel – 14 in viererlei Farben – überhaupt fallen. Da kommt es auf den Winkel an, in dem die Kugel die Bahnumrundung und folglich auch die Kegel trifft. Da ist „Sunons“, eine Tischtennis-Variante mit eigens entwickelten Schlägern für mehr Ballbeschleunigung. Oder das „Milo-Kartenspiel“ mit 125 Karten einschließlich fünf Jokern.
Milojevic will seine Erfindungen natürlich vermarkten. Er schreibt Firmen an, er druckt Kataloge. Besucher kommen in seine Werkstatt und geraten ins Schwärmen. In Esslingen kann er seine „Milobahn“ in einer Kneipe mal zur Probe aufstellen. Nach zwei Wochen muss er sie wieder abholen. Niemand hat darauf gespielt. Verkauft hat er auch keine seiner Erfindungen.
Vor zehn Jahren hat ein Schlaganfall viel verändert. Das Zeichnen fällt ihm schwer, seinen Traum hat er aufgegeben Seine Werkstatt löst Milojevic nun auf. Jetzt hofft er lediglich, dass sich noch Liebhaber für die eine oder andere Erfindung finden, eine Schule oder ein Museum vielleicht. Sonst wandert alles, in das er einmal seine Hoffnungen und Träume gesetzt hat, in den Container. Milojevic erzählt es mit Wehmut, aber ohne Verbitterung. Denn es ist ja nicht alles schlecht gelaufen. Er hat eine Eigentumswohnung in Herbrechtingen, die Kinder sind gut versorgt, er und seine Frau sind stolze Großeltern, es gibt viele schöne Erinnerungen.