Interview

Die Zukunft der Nachfolge

Bereits jetzt sind mehr als 15 000 Ostbrandenburger Firmeninhaber älter als 55 Jahre. In den nächsten zehn bis 15 Jahren wollen all diese Chefs in den Ruhestand gehen – geeignete Nachfolger sind jedoch Mangelware. Prof. Dr. Holger Wassermann, Mitbegründer der INTAGUS GmbH, berät den Mittelstand und hat sich der Thematik der Unternehmensnachfolge verschrieben. Er ist am 8. September Referent auf der Nachfolgekonferenz der IHK Ostbrandenburg. FORUM hat mit ihm bereits vorab über Unternehmensübergaben gesprochen und darüber, wie diese trotz fehlender Nachfolger gelingen können.
Dieses Interview ist der zweite Teil vom Gespräch mit Prof. Dr. Wassermann. Teil eins findet sich hier.

FORUM: Welche Risiken gibt es im Prozess einer Nachfolge?

Prof. Dr. Wassermann: Das große Risiko ist, dass es nicht klappt. Ein weiteres Risiko ist, dass es klappt. Ich meine, dass die Übergabe zwar klappt, aber der Neue das Unternehmen gegen die Wand fährt. Oder die Übergabe funktioniert zwar, aber zum Kaufpreis war noch eine erfolgsabhängige Variante vereinbart. Dieses sogenannte „Earn-Out“ birgt ebenfalls Risiken. Bei kleineren Unternehmen ist es allerdings nicht so verbreitet. Trotzdem bin ich ein Freund davon, denn es ermöglicht, leichter einen Abschluss hinzubekommen. Viele Verkaufsverhandlungen scheitern daran, dass sich die Parteien nicht beim Preis einigen können. Am Ende hängen die unterschiedlichen Preisansprüche ja mit unterschiedlichen Zukunftsszenarien zusammen. Aber in der Zukunft waren wir bekanntlich alle noch nicht. Das Problem lässt sich ausräumen, indem man den Preis aufteilt. Ein Preisteil für das, was an Substanz da ist, der andere Preisteil wird an die Unternehmensentwicklung der nächsten Jahre gekoppelt. Das ist eine Regelung, von der grundsätzlich beide etwas haben. Hier besteht jedoch das Risiko, dass der Neue die Größen beeinflussen kann, an denen die erfolgsabhängige Vergütung bemessen wird. Wenn Sie ein Schlitzohr haben, kann es natürlich passieren, dass der alte Unternehmensinhaber nichts mehr sieht. Gleichzeitig muss der Verkaufende auch Garantien abgeben, zum Beispiel Bilanzgarantien, die er dann bedienen muss. Wenn es schlecht läuft, kann es also auch passieren, dass er draufzahlt. Das passiert meiner Meinung nach aber vor allem dann, wenn man nicht richtig beraten wurde.

FORUM: Stichwort Beratung: Funktionieren Übergaben auch ohne externe Unterstützung?

Prof. Dr. Wassermann: Klar, die allermeisten Nachfolgen laufen ohne Beratung und es scheint ja zu funktionieren. Und bei Summen bis 200.000 Euro finden Unternehmer meist auch gar keine Berater. Sobald es jedoch größer wird, sollte man schon überlegen, ob sich eine Beratung lohnt. Nachfolge ist unglaublich komplex, es geht um Alles. Da braucht man bestenfalls mehrere Berater.

FORUM: Sie haben den Zusammenschluss von Unternehmen als Lösung hin zur erfolgreichen Nachfolge angesprochen – wie gelingt das praktisch?

Prof. Dr. Wassermann: Mein Unternehmen entwickelt gerade ein Konzept, das vorsieht, aus drei, vier kleineren Betrieben eine größere Firma zu machen - mit vielleicht 100 Mitarbeitern. Denn diese Größe ist interessant für Finanzinvestoren. Das bringt mehrfach Vorteile. Erstens gibt es so einen echten Interessenten. Weil dieser professionell Unternehmen kauft, ist das Interesse wirklich vorhanden, sonst wäre es für ihn Zeitverschwendung. Nächster Punkt: Es sind Profis. Wenn sie mit einem Family-Office sprechen, also einer Gesellschaft, deren Zweck die Verwaltung des privaten Großvermögens einer Eigentümerfamilie ist, stehen sie vor Personen, die wissen, was sie tun. Sie wissen wie Unternehmensbewertung und der Kauf funktioniert oder wie Verträge aussehen müssen – das ist deren Hauptgeschäft. Und weil sie das Bewerten gelernt haben, sind dort die Preise auch angemessener.
Unsere neue Idee nennt sich „Unifive“. Es setzt sich zusammen aus – „unify“, das heißt zusammenfügen, und der Zahl Fünf. Fünf, weil wir fünf wesentliche Rollen in der Nachfolge sehen. Der Übergebende, der Übernehmende und der Investor werden immer dabei gesehen – nur diese Drei allein funktionieren aber nicht. Wir brauchen dazu einen Koordinator, der alles managet, mit Bewertung, Notartermin usw. Diese Aufgaben übernehmen IHKs oder Berater. Aber auch diese Vier funktionieren noch nicht richtig zusammen. Es braucht noch jemanden, der alles anstößt, einen Initiator. Einer, der alles lostritt. Es kann natürlich auch einer aus den vier genannten Rollen zuvor sein. Aber es könnte eben auch ein Bürgermeister sein.

FORUM: Wie kommen Sie auf einen Bürgermeister?

Prof. Dr. Wassermann: Nachfolge wird immer aus der Sicht der Protagonisten besprochen: Übergebene und Nachfolger. Dabei sollten weitere Betroffene in den Blick genommen werden, also Mitarbeiter, aber auch die Gemeinden. Eigentlich müssten die Bürgermeister ein vitales Interesse daran haben, dass die Unternehmen ihrer Gemeinde oder Stadt erhalten bleiben. Ich bin mir nicht sicher, ob den Bürgermeistern bewusst ist, dass die Nachfolge-Problematik so stark vorliegt und die gesamte Gemeinde daran hängt. Wenn in den kleinen Orten der letzte Fleischer oder Bäcker geschlossen hat, ist der Ort noch unattraktiver für die Menschen sowie Familien. Es entsteht eine Landflucht Richtung Stadt und alles wird dort noch teurer. Das werden die Gemeinden ja nicht wollen.
Andere Themen wie Klimakrise, Digitalisierung oder jetzt der Krieg erscheinen brennender als das Thema Nachfolge, die Jahrzehnte zuvor immer ohne größere Probleme vollzogen wurde. Es fehlt, glaube ich, das Verständnis für die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Schauen Sie sich die Arbeitsmarktstatistiken an. Diese betrachten stets nur Arbeitsplätze, haben aber nie Arbeitgeber im Blick. Das finde ich sehr bedauerlich, denn unseren Wohlstand haben wir dem Mittelstand zu verdanken.

FORUM: Kommen wir zurück zu Ihrem Konzept und dem Initiator.

Prof. Dr. Wassermann: Der Initiator würde bei unserem Modell die erste Runde zahlen. Er zahlt den Koordinator, der einen Nachfolger sucht und Investieren, also das Geld auftreibt – dann haben wir die Käuferseite fertig. Mit denen zusammen überlegen wir: Wer passt in die Unternehmensgruppe? Der Ansatz ist jedoch immer kooperativ, denn es soll ja klappen. Klar ist, wenn wir an die Übergebenden herantreten und dabei respektlos vorgehen, dann geben sie uns ihre Firma nicht. Die alten Inhaber wollen zum Beispiel, dass der Firmenname und die Stellen erhalten bleiben – und das möchten wir ihnen auch ermöglichen.  So steht am Ende unter dem fortgeführten Firmennamen einfach nur der Zusatz: „Ein Unternehmen der XY Gruppe“. Obwohl es ein Gruppenkonzept ist, muss es sich für jeden Übergebenden so anfühlen, als wäre es seine einzelne Übergabe. Es ist quasi „sharing economy“ – wir teilen uns doch sonst auch ein Auto oder einen E-Roller. Oder über Airbnb teilen wir uns Wohnungen. Wenn es so wenig Nachfolger gibt, spricht alles dafür, diese auch einfach zu teilen. Natürlich muss man schauen, welche Unternehmen zusammengenommen werden. Bei direkten Konkurrenten ist es sicher schwierig. Trotzdem sehe ich in diesem Konzept viel Potenzial.

FORUM: Glauben Sie, die Unternehmen sind dafür bereit?

Prof. Dr. Wassermann: Es gab kürzlich eine Befragung zur Nachfolge im Verbund. Ein Drittel der befragten Unternehmen können sich das vorstellen, also tausende Unternehmen. Wenn man fünf Unternehmen mit je 10 bis 15 Mitarbeitern zusammennimmt, dann kommt da ein mittleres Unternehmen mit rund 70 Mitarbeiter raus. Das ist für ein Family-Office schon von Interesse. Unter den zusammengefassten Unternehmen müsste aber mindestens ein Betrieb dabei sein beziehungsweise so groß sein, dass dort ein Mitarbeiter ausgemacht werden kann, der in der Lage ist, die Betriebsleitung zu übernehmen. Der muss nicht Geschäftsführer und somit Unternehmer werden, aber er soll den Laden schmeißen können. Und so viel Engagement haben schon viele junge Leute. Mit unserem neuen Ansatz wollen wir einem neuen Unternehmer ein vollständiges Unternehmen zusammenstellen, inklusive Konzepten und Lösungen zu Themen wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung oder Marketing.
Es fragte Katharina Wieske.

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Dr.Axel Strasser
Projektmitarbeiter Nachfolge
Regionalcenter Oderland