Tiemo Wölkens Antworten auf die IHK-Fragen zur EU-Wahl 2019


1. Welche Lehren muss die EU Ihrer Ansicht nach aus dem Brexit ziehen?

Der Brexit ist das Ergebnis aus 40 Jahren negativer Berichterstattung über die EU. Die nationale Politik muss aufhören, Erfolge allein für sich zu reklamieren und alle unangenehmen Entscheidungen zu europäisieren. Viele Bürgerinnen und Bürger wissen nicht, was die EU ihnen bringt. Die Union beeinflusst unser Leben täglich: Sie garantiert sauberes Trinkwasser, ermöglicht grenzüberschreitende medizinische Versorgung und stellt immense Fördergelder zur Verfügung. Diese Erfolge müssen in den Fokus gerückt werden. Zudem ist es notwendig, die jüngere Generation mehr in Entscheidungen einzubeziehen.

2. Thema Bürokratie: Viele Betriebe nehmen die Europäische Union als überregulierend wahr, aktuell beispielsweise durch die Umsetzung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) oder bei der A1-Bescheinigung zur Entsendung von Arbeitnehmern ins Ausland. Wie möchten Sie zu Verbesserungen beitragen?

Die DSGVO ist ein Meilenstein für das Grundrecht auf Datenschutz und setzt weltweit Standards für Datenschutz. Mit der DSGVO zwingen wir große Internetkonzerne, EU-Grundrechte zu achten: mit Geldstrafen von bis zu vier Prozent des Umsatzes. Bürokratischer Ballast muss bei der anstehenden Überprüfung jedoch entfernt werden. Die A1-Bescheinigung verursacht leider Aufwand, den wir vermeiden wollten. Wir haben uns für die Einführung einer EU-Sozialversicherungsnummer eingesetzt, die die EU-Kommission jedoch nicht in den Vorschlag zur Koordinierung der Systeme sozialer Sicherheit aufgenommen hat.

3. Die EU hat aktuell die CO2-Flottengrenzwerte für PKW und leichte Nutzfahrzeuge abgesenkt sowie erstmalig auch Reduktionsziele für schwere Nutzfahrzeuge und Busse festgelegt. Die Fahrzeughersteller sind der Meinung, dass klimapolitische Alleingänge der EU kaum zu Entlastungen für die Umwelt führen und stattdessen Arbeitsplätze gefährden. Worauf setzen Sie mit den aktuellen Vorgaben?

Die EU fährt keine klimapolitischen Alleingänge, sie ist mit dem Paris-Abkommen völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen eingegangen wie auch andere Staaten. Sie steht mit Bemühungen auch keineswegs allein da und tut sich an vielen Stellen sogar schwerer als andere. Der Verkehr beispielsweise stößt heute mehr (!) Treibhausgase als 1990 aus und steht damit in der Pflicht. Damit Menschen und Unternehmen weiterhin mobil sein können, sind ehrgeizigere Effizienzvorgaben notwendig. Größere Effizienz hilft zudem auch der Wettbewerbsfähigkeit und damit letztlich beim Erhalt von Arbeitsplätzen.

4. Die EU-Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt hat zuletzt tausende vor allem jüngere Menschen bewegt. Gleichzeitig ist das öffentliche Interesse an anderen EU-Gesetzgebungsverfahren nur gering. Wie erklären Sie sich diese Unterschiede?

Die Frage berührt unmittelbar die Lebensrealität von jungen Menschen. Aber auch in anderen Bereichen, die ihre Zukunft berühren, sind junge Menschen enorm engagiert, wie beispielsweise der Fridays For Future-Bewegung. Es zeigt sich auch, dass sie über andere Kommunikationsformen erreicht werden – weniger über herkömmliche lineare Medien und mehr über interaktive Kommunikation. Insgesamt ist die europapolitische Medienöffentlichkeit sicherlich ausbaufähig, daran sollten alle politisch tätigen Institutionen und Organisationen sowie journalistische Angebote arbeiten.

5. Das System der dualen Berufsausbildung ist in Deutschland ein Garant für geringe Jugendarbeitslosigkeit und gut qualifizierte Fachkräfte. Wie könnten auch andere Länder hiervon profitieren?

Die SPD will die duale Ausbildung in Europa stärken, wofür eine Verständigung über Mindeststandards notwendig ist. Diese beinhalten unter anderem die Ausbildungsdauer, die Art und Weise der Kooperation zwischen Betrieben und Berufsschulen und den rechtlichen Status der Auszubildenden.
Außerdem müssen die Mittel für das Erasmus+ Programm weiter erhöht werden, damit alle jungen Europäerinnen und Europäer die Möglichkeit haben, einen Teil ihrer Ausbildung oder ihres Studiums im Ausland zu absolvieren. Durch diesen Austausch können Auszubildende und Betriebe profitieren.

6. Warum sollten die Bürger in unserer Region aus Ihrer Sicht am 26. Mai 2019 zur Europawahl gehen?

Die Europawahl entscheidet über die Ausrichtung der Europäischen Union in den nächsten fünf Jahren. Der Bexit zeigt, wie verwoben die Staaten in der EU mittlerweile sind: Lieferketten und Handelsbeziehungen, aber auch persönliche Lebenswege und die kleinen Annehmlichkeiten des Alltags sind von Entscheidungen der EU beeinflusst. Es ist in unserem eigenen Interesse, dies mitzugestalten und deswegen am 26. Mai wählen zu gehen und nicht den Extremen und Populisten das Feld zu überlassen.