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Westfälische Bildungsgespräche
Die Zahl der Erwerbstätigen sinkt. Neue und aktive Arbeitskräfte müssen qualifiziert werden, um bei der Innovationsgeschwindigkeit des digitalen Wandels mitzuhalten.
Aber: Wie gelingt das? Und wie kann berufliche Bildung attraktiver werden? Darüber diskutierten die Teilnehmer der „1. Westfälischen Bildungsgespräche“ am 11. Juli 2019 mit Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, Trendforscher Prof. Peter Wippermann und IHK-Vizepräsident Lars Baumgürtel im IHK-Bildungszentrum in Münster.
Ein echter Turbo für das Karrieresystem mit Aus- und Weiterbildung ist nötig für die Herausforderungen der Zukunft, so die Kernbotschaft. Dafür müsse das berufliche Bildungssystem innovationsoffener gestaltet werden.
„Der stabile Rahmen in Form von sozialpartnerschaftlicher Zusammenarbeit ist da, benötigt jedoch ein strukturelles Upgrade gepaart mit permanenten Updates des Lernstoffs“, so Moderator Carsten Taudt, Leiter des IHK-Geschäftsbereichs Bildung und Fachkräftesicherung. Vor allem müsse Aus- und Weiterbildung mehr Anerkennung erhalten, um attraktiv zu bleiben.
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Nicht das eine Bildungssystem sei zukunftsweisend, sondern deren Vielfalt und Praxisbezug, unterstrich Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, die nach einer Ausbildung selbst studierte.
Trendforscher Prof. Wippermann stellte den digitalen Wandel als tiefgreifenden Veränderungskatalysator in den Fokus. „Die Schüler von heute, werden in Berufen arbeiten, die wir noch nicht kennen“, so Wippermann. Die ständige Aktualisierung und der permanente Neuerwerb von Kompetenzen, beispielsweise über zertifizierte Online-Kurse oder Tutorials, präge das Bildungssystem von morgen.
IHK-Vizepräsident Lars Baumgürtel unterstrich die Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung zur akademischen. Dahingehend begrüßte er die anstehende Novellierung des Berufsbildungsgesetzes, die die ergänzende Bezeichnung „Bachelor Professional“ für Fachwirte und Meister vorsieht.
- Frau Ministerin Karliczek, bisher findet Berufsbildung in der Uni, im Betrieb oder in spezialisierten Schulen statt. Duale Studiengänge verwischen die Grenzen der Systeme. Liegt die Zukunft in einer weiteren Hybridisierung der Systeme?
Anja Karliczek Bundesbildungsministerin und Mitglied im IHK-Regionalausschuss für den Kreis Steinfurt:„Die Stärke liegt in der Vielfalt. Berufliche und akademische Bildungswege bieten beide attraktive Karrierechancen. In einem dualen Studium kann ein akademischer Bildungsweg mit einer klassischen Berufsausbildung verbunden werden. Diese zeichnet sich wegen der engen Einbindung der Betriebe durch ihren hohen Praxisbezug aus. Darüber hinaus bietet die berufliche Fortbildung vielfältige Aufstiegsmöglichkeiten nach der Berufsausbildung.Wir wollen diese höherqualifizierende Berufsbildung noch weiter ausbauen und verbessern. So entwickeln und fördern wir innovative Qualifizierungsangebote – sowohl rein berufliche als auch in Kooperation mit den Hochschulen – und schaffen dafür moderne Rahmenbedingungen. Für junge Menschen sind die beruflichen Perspektiven somit hervorragend und unsere Wirtschaft gewinnt topqualifizierte Nachwuchskräfte.“(Quelle: Wirtschaftsspiegel, Ausgabe 7-8|2019)
- Herr Baumgürtel, welche Qualifikationen benötigt die Arbeitswelt der Zukunft?
Lars Baumgürtel IHK-Vizepräsident und Geschäftsführer der Voigt & Schweitzer GmbH & Co. KG, Gelsenkirchen:„Die Anforderungen an die Qualifikation der Mitarbeiter steigen. Für mich besteht dabei allerdings auch in der zukünftigen Arbeitswelt keine Korrelation zu nur einem Bildungsweg, zum Beispiel zur Hochschulausbildung. Im Gegenteil: Wenn die Aufgaben spezieller werden, ist die Ausbildung nah an der Praxis oft zielführender. Wichtig ist, dass erforderliche Fähigkeiten und Wissen immer weiter aufgebaut werden. Zu den erforderlichen Fähigkeiten gehören neben Erfahrungswissen vor allem Kommunikations- und Sozialkompetenz. Diese werden bei zunehmender Digitalisierung wichtiger, um den Unterschied zu machen – im Unternehmen, aber genauso im Kontakt mit Kunden. Auch wenn wir Prozesse und Routinen auto matisieren und digitalisieren, der Mensch bleibt im Mittelpunkt.“
- Herr Prof. Wippermann, manche Experten behaupten, in Zukunft wird es nur noch Arbeit geben für die Hochqualifizierten und für die mit sehr geringer Qualifikation – die Arbeit für die mittleren Bildungsgruppen breche also weg. Was sagen Sie dazu?
Prof. Peter Wippermann Trendbüro:„Berufe sterben aus, die Arbeit nicht. Die Arbeitswelt, wie wir sie kennen, wird sich durch die digitale Transformation radikal verändern. Das gilt für alle drei Bildungsgruppen. Tätigkeiten und Prozesse, die man abschließend beschreiben kann, werden vernetzte Softwareprogramme und autonome Maschinen. Berufe: Ungelernte Tätigkeiten werden durch Cobots und Robots zukünftig wirtschaftlicher ausgeführt. Berufe der mittleren Bildungsgruppen, zum Beispiel in der Verwaltung, lassen sich durch Distributed-Ledger Technologien, wie Blockchain, automatisieren. Für die Hochqualifizierten wird der Einzug der künstlichen Intelligenz ihre Aufgaben reduzieren. In zehn bis fünfzehn Jahren werden Quantencomputer die Arbeitswelt noch einmal neu strukturieren. Arbeit: Ein Großteil der Grundschüler von heute wird in Berufen arbeiten, die wir noch nicht kennen. Für sie wird lebenslanges Lernen normal sein. Tutorials und zertifizierte Online-Kurse werden ihre Fähigkeiten ständig aktualisieren. Aus dem Recht auf Beschäftigung wird das Eigeninteresse zur Beschäftigbarkeit. Die Arbeit wird zur Ware. Gigworking, die projekthafte Arbeit, ist erst der Anfang einer neuen Arbeitswelt“(Quelle: Wirtschaftsspiegel, Ausgabe 7-8|2019)
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