Blue Table - das Interview

"In unsererm Job darf man kein Stuben­hocker sein"

Blue Table – das Interview

Heute am Tisch: Holger Scherb, Geschäfts­führer der VPT GmbH & Co. KG und Martin Keppler, Haupt­geschäfts­führer der Industrie- und Handels­kammer Nord­schwarz­wald.

Herr Scherb, seit vielen Jahren erleben Sie die spannende Welt der internationalen Großevents hautnah. Welche Veranstaltung ist Ihr persönlicher Favorit?
Eigentlich war jedes Event, das wir bislang begleiten durften, eine tolle Sache. Das gilt auch für die Sportveranstaltungen in Ruhpolding. Da kennt jeder jeden, und man weiß, auf wen man sich verlassen kann. Wenn ich mich dennoch für ein Event entscheiden müsste, so fällt mir spontan die Rugby-WM in Japan ein. Da haben mir das Land und seine Menschen unheimlich imponiert. Übrigens nutzen einige aus unserem Team immer wieder die Möglichkeit, nach getaner Arbeit den Aufenthalt in einem interessanten Land mit Urlaub zu verbinden.
Wie kamen Sie eigentlich zu der Geschäftsidee und welche Eigenschaften muss man dafür mitbringen?
Als ich in Hannover und Marburg studierte, bekam ich die Möglichkeit, mir als Aushilfskraft bei ZDF-Produktionen ein paar Euro hinzuzuverdienen. Nach dem Studium habe ich als Produktionsassistent weitergemacht. Ich war zwar Quereinsteiger, aber mit Zusatzausbildungen habe ich mich weiterqualifiziert. Das wichtigste in unserer Branche ist die Erfahrung. Auch muss man das Reisen im Blut haben. Und man braucht viel Geduld, Organisationstalent und Disziplin. Schließlich wird an manchen Großprojekten zwischen einem und vier Jahren getüftelt. Die Ansprüche sind hoch. Jeder Regisseur hat seine eigenen Vorstellungen, wie er ein Sportevent in Szene setzen möchte. Wir sind auf unser Steckenpferd, den technischen Bühnenbau, fokussiert.
Wie kommen Sie eigentlich an Ihre Aufträge?
95 Prozent unserer Aufträge sind Sportevents, vor allem im Bereich Wintersport, Fußball und Motorsport. Da man uns mittlerweile in der Branche sehr gut kennt, kommen die Veranstalter und Sportverbände meistens direkt auf uns zu. Unsere Vorteile sind auch, dass wir über die Jahre hinweg unsere Ausstattung an Material und unsere Fahrzeuge auf die jeweiligen Events abgestimmt haben und uns so einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Mitbewerbern erarbeiten konnten, was sich gerade im Wintersport bei Produktionen wie der Vierschanzentournee auszahlt. Um sportliche Höchstleistung in Szene zu setzen, bedarf es oft außergewöhnlicher Lösungen.
Welches war die größte Herausforderung für Ihr Team?
Das größte Projekt war bislang zweifellos die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Moskau. Da hatten wir über Wochen zehn TV-Studios auf dem Roten Platz aufgebaut. Aber auch die Ski-WM in Garmisch-Patenkirchen 2011 war eine Materialschlacht. So gut wie jedes TV-Event, das wir begleiten, hat seine spezifische Herausforderung. Da gehört die Rugby-WM in Yokohama ebenso dazu wie die Fußball-WM in Katar, die wir gerade planen. Es müssen Flüge, Fähren oder Hotelzimmer gebucht, Mitarbeiter organisiert und die 40-Tonner beladen werden. Dafür bedarf es vieler Erfahrungswerte. Denn schließlich steckt da jedes Mal ein wirtschaftliches Risiko drin. Besonders froh bin ich darüber, dass bislang niemand ernsthaft erkrankt ist.
Ihre Branche wurde von der Corona-Pandemie besonders heftig getroffen. Wie ist Ihr Unternehmen bisher durch die Krise gekommen?
Fünf Monate hatten wir überhaupt keinen Umsatz, denn der Profisport ist komplett zum Erliegen gekommen. Deshalb mussten wir für 2020 einen Umsatzverlust zwischen 70 und 80 Prozent verbuchen, obwohl wir hervorragend ins letzte Jahr gestartet waren. Aktuell sind wir bei weitem noch nicht auf dem Niveau, das wir vor Corona hatten. Unsere mobilen Glasstudios zum Beispiel werden gerade fast gar nicht mehr gebucht. Die TV-Sender bevorzugen wegen Corona offene Presenter-Plattformen. Es sind ohnehin weniger Leute vor Ort im Einsatz, die auch weniger Material benötigen. Einige TV-Sender berichten wegen Corona komplett von ihrem Heimatstudio aus. In Oslo hatten wir zu Beginn der Pandemie alles stehen und liegen lassen, um noch rechtzeitig nach Deutschland zurückkehren zu können. Danach lag alles brach, weil die Veranstaltungen abgesagt wurden. Ab August fingen zaghaft die ersten Produktionen in abgespeckter Version wieder an. Aber ich denke schon, dass der Live-Sport wiederkommt. Denn der lebt ja von Publikum und von Emotionen.
Wie haben Sie die Zeit überbrückt?
Leider mussten wir unseren Mitarbeitendenstamm reduzieren, weil die kontinuierliche Auslastung fehlt. Besonders hart hat es die vielen Solo-Selbstständigen getroffen, die uns unterstützen. Für die tut es mir besonders leid. Zwischenzeitlich haben wir all das aufgearbeitet, was im Alltagsstress liegengeblieben war. Aber damit ist kein Geld verdient  Trotzdem sehen wir so langsam wieder Licht am Ende des Tunnels. Ich persönlich bin da sehr optimistisch, denn dieses Jahr sieht’s schon mal deutlich besser aus. Für 2022 haben wir bereits den Auftrag in Katar. Und ein frisch abgeschlossener Vertrag mit der UEFA gibt uns auf vier Jahre eine gewisse Sicherheit. Daran war sogar dem europäischen Fußballverband gelegen. Denn es hat keiner was davon, wenn die wichtigsten Partner diese Pandemie nicht überleben.
Für die EM-Spiele in London haben Sie bereits viel technisches Equipment nach Großbritannien gebracht. Haben Sie zolltechnisch den Brexit zu spüren bekommen?
Durch die Europa-Meisterschaften sind wir in allen elf teilnehmenden Ländern vor Ort aktiv. In Rom und Bukarest sind die Vorbereitungen natürlich längst abgeschlossen. In London haben wir vor dem Stadion 180 Meter Kabelbrücken als Versorgungswege für die Technik gebaut. Allein drei 40-Tonner waren mit Gerüstmaterial beladen. Vom Brexit haben wir nicht viel zu spüren bekommen, weil wir ja nichts in Großbritannien verkaufen wollten, sondern nur Material anliefern. Mit der UEFA und dem britischen Fußballverband fühlen sich eh alle irgendwie verbunden. Einzig die Wartezeiten an den Fähren waren etwas länger als sonst. Wir müssen allerdings wie überall die Quarantäne-Regeln beachten. Die Zollpapiere haben wir mit Hilfe der IHK erstellt. Das klappt immer sehr gut, weil das Team sehr hilfsbereit ist. Oft können wir erst verhältnismäßig spät entscheiden, was wir wirklich vor Ort benötigen. Da sind die Leute von der IHK immer sehr geduldig und professionell. Wir haben übrigens auch nach Baku und in weitere Austragungsstädte angeliefert. Da gibt es zwar immer ordentlich was zu tun, aber auch diese Veranstaltungen wurden abgespeckt. Denn einige TV-Anstalten sind noch immer nicht direkt vor Ort vertreten.

Holger Scherb, alleiniger Gesellschafter der VPT GmbH & Co. KG

Holger Scherb, Jahrgang 1964, bekam schon während seines BWL-Studiums in Hannover als Produktionsassistent im Nebenjob Berührung mit TV-Großevents wie „Wetten, dass…?“, „Nase vorn“ oder „Grand Prix der Volksmusik“. Auch nach seinem Uni-Abschluss blieb der gebürtige Kasseler freiberuflich noch einige Jahre dem ZDF erhalten, ehe er 1997 mit Matthias Quasthoff die VPT GmbH & Co. KG gründete. Heute ist Holger Scherb alleiniger Gesellschafter.
Von Werner Klein-Wiele