Blue Table - Das Interview

"Pforzheim ist viel besser als sein Ruf"

Blue Table – Das Interview

Heute am Tisch: Juwelier Georg H. Leicht
und IHK-Hauptgeschäftsführer Martin Keppler

Herr Leicht, wie bewerten Sie den Standort Pforzheim im weiteren Sinne? Was zeichnet ihn aus, was vermissen Sie?
Für uns ist diese Stadt aufgrund ihrer vitalen Infrastruktur ein wunderbarer Standort, den ich mit keinem anderen Ort in Deutschland tauschen möchte. Pforzheim ist viel besser als sein Ruf. Wir haben starke, innovative Unternehmen, die die Herausforderungen unserer Zeit hervorragend gemeistert haben – sowohl im Schmuckbereich wie auch in anderen Branchen. Außerdem haben wir eine starke Hochschule, die sich mit ihrem Studienangebot und ihrer internationalen Vernetzung bestens positioniert. Pforzheim bietet eine Vielfalt kultureller Angebote in einem wunderschönen landschaftlichen Umfeld. Dennoch vermisse ich oft die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit unserer Stadt. Mir fehlt die Anerkennung, dass wir insbesondere in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht haben. Und ich bedauere ein wenig das mangelnde Selbstbewusstsein der Pforzheimer, sich zwischen Stuttgart und Karlsruhe stärker zu profilieren. Dies ist jedoch vor allem eine Frage der Außendarstellung – die Substanz ist hervorragend und bietet große Potenziale.
Welchen Rat geben Sie Gewerbetreibenden, sich im neuen digitalen Zeitalter aufzustellen?
Ich glaube nicht, dass unsere Unternehmer in der Region Ratschläge von mir brauchen. Viele Unternehmen sind hervorragend aufgestellt und gestalten aktiv ihre Zukunft – häufig als „hidden champions“, also heimliche Weltmarktführer in ihrer Branche  Natürlich müssen sich Handel und Gewerbe digital immer neu erfinden. Der globale Markt ist ständig in Bewegung. Aber auch hier sehe ich Pforzheim und die Region bereits auf einem guten Weg. Unsere Stadtspitze bringt Pforzheim als Smart City voran. Auch Verwaltungsprozesse werden reformiert. Aber das Digitale oder Innovationen allein reichen nicht. Zu einer lebenswerten, attraktiven Stadt und Region gehört auch ein bisschen Sexappeal. Den werden wir nur haben, wenn wir Identifikation mit unserer Region schaffen. Wir brauchen Anlässe und Brennpunkte, an denen nach außen wirkendes Engagement stattfinden kann. Ein nicht unerheblicher Teil unserer Unternehmen ist außerhalb Pforzheims aktiver als in ihrer Heimatstadt. Wir müssen die Zukunft gemeinsam gestalten, dürfen den Status quo – auch den manchmal bemängelten fehlenden Austausch zwischen Stadt und Region – nicht als Schicksal hinnehmen. Dafür braucht es mehr Koordination. Mit der Bündelung der Aktivitäten in Stadt und Region verbessern wir die Außenwahrnehmung für den gesamten Wirtschaftsraum ganz entscheidend. Damit erzielen wir einen viel größeren Effekt, als wenn jeder sein eigenes Ding macht. Eine dieser Maßnahmen soll die ORNAMENTA 2024 sein, mit der wir die Region und die Stadt erheblich voranbringen können.
Wie könnte die ORNAMENTA dazu beitragen, Pforzheim und die Region in ein neues Licht zu rücken? Wie kann Wirtschaft von Kultur profitieren und umgekehrt?
Zunächst einmal sollten wir begreifen, was die ORNAMENTA für Pforzheim und den Nordschwarzwald bedeuten kann. Anders als ein einzelnes Event ist die ORNAMENTA ein kuratiertes  groß angelegtes interdisziplinäres Aktionsprogramm zur Vernetzung kultureller und wirtschaftlicher Projekte - ein spannender Anstoß, der nachhaltige Wirkung erzielen wird. Sie wird uns den Blick über den Tellerrand ermöglichen. Der Kern der ORNAMENTA sind Schmuck, Design und Zukunft. Das sind weit gefasste Themenkomplexe, die es mit konkreten Inhalten zu füllen gilt. Das neu gewählte kuratorische Team wird uns dabei helfen, diesen gemeinsamen Formatkorridor mit Leben zu füllen. In ihren ersten Projektideen haben die Kuratoren gezeigt, dass die Probleme Pforzheims und der Region in vielen anderen Städten Europas ähnlich sind. Und wir haben feststellen können, dass wir im Vergleich zu ähnlich gelagerten Städten weder besonders schlecht dastehen, noch dass wir keine Antworten haben. Ein Beispiel ist die Identität Pforzheims. Nach dem raschen Wiederaufbau nach dem Krieg haben wir ein Stück Identifikation mit unserer Stadt verloren. Der Blick von außen wird uns helfen, die Stadt neu zu entdecken – vielleicht sogar stolz auf sie zu sein. Pforzheim ist heute eine Stadt vieler Kulturen. Viele Bürgerinnen und Bürger haben einen Migrationshintergrund. Der Blick zurück in die „gute alte Zeit“ hilft uns nicht weiter. Wir brauchen Ansätze, um alle Pforzheimer – auch die neu zugezogenen – in unsere Pläne einzubeziehen und von ihrer Vielfalt zu profitieren. Wenn wir gemeinsam etwas auf die Beine stellen, entsteht Identifikation und Integration kann gelingen. Mit Hilfe der Kuratoren, der europaweiten Netzwerke, der Künstlerinnen und Künstler und Unternehmen, die in diesen Prozess eingebunden werden, lösen wir sicher die eine oder andere Blockade, die uns an der Weiterentwicklung hindert. Es wird uns helfen, alte Traditionen und Grenzen zu überwinden, die ja auch eine Belastung sein können. Wir müssen uns bewusst werden, dass wir Zukunftsgestalter sind. Dazu müssen wir die viel zitierte Flamme der Tradition weiterreichen. Sicher muss auch der eine oder andere alte Zopf abgeschnitten werden. Schließlich geht es um die Austragung eines Wettbewerbs kreativer Köpfe um die besten Zukunftsideen. In ihrer Zielsetzung kommt die ORNAMENTA dabei auf jeden Fall der Wirtschaft zugute. Sie ist der Nährboden, auf dem sich die ganze Region nachhaltig entwickeln kann. Der Prozess wird mehr Koordination in die Stadt bringen, damit wir das alles auch nach außen tragen können. Wir brauchen eine Bündelung unserer Angebote und Aktivitäten und sollten diese unter Oberbegriffen subsumieren. Dann wäre der Gesamteffekt viel größer. Pforzheim ist Goldstadt, Tor zum Schwarzwald und Oberzentrum.
Wie müssten Pforzheim und die Region zusammenarbeiten, um daraus ein nachhaltiges Bild zu schaffen?
Die ORNAMENTA lebt von der Beteiligung vieler Akteure. Pforzheim allein ist als Thema zu wenig. Dazu müssen wir die ganze Region mitnehmen. Wir sollten die ORNAMENTA als Weg begreifen, der auf Langfristigkeit angelegt ist. Der ORNAMENTA 2024 werden 2029 und 2034 weitere Veranstaltungen folgen. Da heißt es, dranzubleiben, nachhaltig zu denken. Das unterscheidet sie von anderen Ansätzen, die wir bislang hatten. Die ORNAMENTA ist eine große Chance für Pforzheim und die gesamte Region. Das Goldstadt-Jubiläum war ein großer Erfolg, aber es war ein singuläres Ereignis. Vielleicht haben wir auch zu sehr auf die vergangenen 250 Jahre zurückgeblickt und zu wenig in die Zukunft geschaut. Da war die IHK mit ihrem mutigen Zukunftskongress schon viel weiter. Das Ziel der ORNAMENTA ist, neue Wege zu gehen, um die verschiedenen Player in unserer Stadt und der Region zu begeistern. Die ORNAMENTA wird Spaß machen und darf nicht als Pflichtprogramm begriffen werden. Die Beteiligung ist nicht nur Sponsoring, sondern aktives Mitdenken, Handeln und Mitgestalten. Mit dem Engagement vieler Partner entstehen neue, nachhaltige Ideen. Wenn wir alle zusammen diese Chance ergreifen, wird die ORNAMENTA eine Erfolgsgeschichte, die die Stadt in ihrer Außendarstellung verändern wird und die es möglich macht, dass Pforzheim - und damit die ganze Region - wieder weit ins Land hinein strahlt, so wie einst die Goldstadt.

Juwelier Georg H. Leicht

Georg H. Leicht, geboren 1964 in Pforzheim, treibt seit über 30 Jahren die Expansion des Hauses Juwelier Leicht voran. Der frühere Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung hat nach dem Abitur Volkswirtschaftslehre, Geschichte und Politik in Heidelberg, Washington und Bonn studiert. Seit 1990 ist er Geschäftsführer mehrerer Juweliergeschäfte. Von 2005 bis 2008 war er Center-Manager der Schmuckwelten Pforzheim. Als Gründungsmitglied ist er zweiter Vorsitzender des SemperOpernball e.V. in Dresden. Vor wenigen Wochen wurde er zum Präsidenten des OrnamentaBundes gewählt, der die ORNAMENTA 2024 für Pforzheim und die Region organisiert.
Von Werner Klein-Wiele