Smarte Infrastrukturen für eine smarte Region

Erheblicher Nachholbedarf

Pforzheim, 07.07.2018. Beim Ausbau unserer Infrastrukturen haben wir an manchen Stellen noch erheblichen Nachholbedarf. Viele Straßen sind noch nicht ausreichend ausgebaut, große Verkehrsmengen stauen sich durch enge Ortszentren und auch im Bereich des Breitbandausbaus und bei der flächendeckenden Mobilfunkversorgung stehen wir in der Region noch vor großen Aufgaben. Das Positive: Die Probleme sind erkannt und es wird daran gearbeitet. Aber während im unterschiedlichen Tempo neue Straßen geplant und Glasfaserkabel verlegt werden, kommen bereits sehr schnell neue Herausforderungen auf uns zu. Das Internet und die Digitalisierung werden unsere Lebensbereiche immer stärker durchdringen. Arbeiten, Wohnen, Bildung, das Einkaufen wie auch Pflege und Gesundheit sowie Tourismus, Kunst und Kultur werden sich teilweise grundlegend verändern. Das hat auch erhebliche Einflüsse auf die dafür erforderlichen Infrastrukturen. Ballungsräume und Großstädte haben es mit ihren hohen Bevölkerungsdichten einfacher, die Zukunftschancen aus der Digitalisierung für sich zu nutzen. Für die Smart Cities werden umfangreiche Lösungsangebote entwickelt und in kurzer Zeit auf den Markt gebracht. Aber wie sieht es in den Bereichen außerhalb großer Städte aus? Wie können staatliche Leistungen, Gesundheitsvorsorge und Bildung auch in den dünner besiedelten Regionen wie dem Nordschwarzwald mit der gleichen Qualität und den gleichen Entwicklungschancen angeboten werden wie in den Metropolen? Eine flächendeckende IT-Infrastruktur ist Grundbedingung für alle weiteren Entwicklungen.

Integrieren und vernetzen

Das Fraunhofer Institut IESE aus Kaiserslautern hat für die Bertelsmann-Stiftung eine aktuelle Studie erarbeitet, die in vier Zukunftsszenarien untersucht, wie Digitalisierung und Mobilität die Lebensbereiche in den ländlicheren Bereichen verändern werden und welche Herausforderungen sich daraus für die erforderlichen Infrastrukturen ergeben. Integration und Vernetzung sind hier die Schlagworte. Ähnlich wie in der Industrie 4.0, in der in cyber-physischen Systemen alles miteinander verbunden ist, sich gegenseitig beeinflusst und autonom agiert, wird die Digitalisierung auch Chancen und Lösungen für die ländlichen Räume bieten können. Entscheidend ist, dass sich insbesondere auf dem Land wirtschaftlich tragfähige Strukturen nur durch effiziente, gemeinsame Nutzung von Infrastrukturen über Grenzen hinweg ermöglichen lassen: ob im Gesundheitswesen durch Telemedizin, in der Logistik durch die Integration privater Mitbringservices und Gütertranssport auch in öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Bildungsbereich durch die Nutzung unterschiedlichster Bildungsorte und individuellen, digitalen Lehrkonzepten. Die Grenzen von Gemeinden, Landkreisen und Regionen werden aufbrechen. Dazu sind administrative Zuständigkeiten neu zu regeln. Einzelne Kommunen in der Region planen beispielsweise lokale Carsharing-Angebote. Ein guter und wichtiger Ansatz, um solche Systeme zu testen und Erfahrungen zu sammeln.

Insellösungen werden keine Zukunft haben

Insellösungen werden aber keine Zukunft haben. Die Unternehmen arbeiten mit Hochdruck daran, in ihren Betrieben die Wissenssilos aufzubrechen und die Mitarbeiter auch über Unternehmensgrenzen hinweg zu vernetzen, um schneller und innovativer auf dem Markt erfolgreich sein zu können. Das muss im übertragenen Sinn auch für die Verwaltungen und die Versorgungsstrukturen der Kommunen gelten. Für die ländlichen Räume gilt es, multimodale Strukturen zu schaffen. Die geringe Siedlungsdichte macht es aber für Mobilitätsanbieter weniger lukrativ, kostenintensive Infrastrukturen zu unterhalten. Damit kommen die Kommunen in die Verantwortung, im Sinne der Daseinsvorsorge regional abgestimmte Maßnahmen zu ergreifen, die es für Mobilitätsdienstleister attraktiver machen, entsprechende Services vorzuhalten. Zusammen mit Bund und EU sind frühzeitig entsprechende marktunterstützende Mechanismen zu erarbeiten. Ein wichtiger Trend, der unsere Mobilität in Zukunft stark beeinflussen wird, ist die Autonomisierung des Fahrens. Vollkommen autonome Fahrzeuge sind bei vielen Herstellern in der Entwicklung und bereits im Test. Selbstfahrende Autos, Busse oder Bahnen können in wenigen Jahren Realität sein. Autonomes Fahren könnte vielfältige neue Chancen für Menschen ermöglichen, die bisher nicht im gewünschten Maße selbstbestimmt unterwegs sein können. In Karlsruhe läuft ein breit angelegtes Testfeld mitten im innerstädtischen Verkehrsraum.

Mobility Cloud

Und ein Forscherteam um Prof. Guy Fournier an der Hochschule Pforzheim ist Teil des internationalen Forschungsprogramms „AVENUE“, das den Einsatz von autonom fahrenden Minibussen als „Mobility Cloud“ revolutionieren will. Gerade im öffentlichen Nahverkehr werden sich neue vielfältige Lösungsmöglichkeiten ergeben, die in ländlichen Räumen mehr Flexibilität und Qualität in der Fortbewegung ermöglichen. Hier stehen die Landkreise als Aufgabenträger für den ÖPNV vor großen Herausforderungen. Die Vernetzung der Region Nordschwarzwald mit der TechnologieRegion Karlsruhe könnte durch ein autonomes ÖPNV-Angebot eine bisher ungeahnte Dynamik entwickeln, wenn stark frequentierte Ziele, wie etwa die Messe Karlsruhe oder das KIT mit dem Pforzheimer Zentrum verbunden werden. Die stärkere Vernetzung würde intensivere Kooperationen und zusätzliche Entwicklungsimpulse ermöglichen. Ab einer Elektromobilitätsquote von 30 Prozent wird nach aktuellen Schätzungen die Wahrscheinlichkeit, dass die Stromverteilnetze flächendeckend überlastet sein werden, rapide ansteigen. Dezentrale Stromspeicher und Photovoltaikanlagen können den Anteil von Ausfällen zwar reduzieren, aber nicht beseitigen. Ein vollständiger Netzausbau für eine Elektromobilitätsquote von 50 Prozent würde in Deutschland bis zu 11 Milliarden Euro kosten. Durch intelligente Steuerung und Flexibilisierung der Ladevorgänge könnten erhebliche Aufwendungen für den Verteilnetzausbau vermieden werden. Die Landkreise sollten daher zusammen mit den Energieversorgern einen Zweckverband gründen und einen Ausbauplan zur flächendeckenden Versorgung mit Schnellladestationen und Wasserstofftankstellen in der Region erstellen. Ziel muss es sein, ab dem Jahr 2030 ein angebotsorientiertes Versorgungsnetz ohne weiße Flecken in der gesamten Region vorweisen zu können. Alle Bemühungen für eine erfolgreiche Zukunft unserer Region müssen den Menschen im Fokus haben. Insbesondere die jungen Menschen und Kinder sind es, für die wir heute die Voraussetzungen für einen chancenreichen und attraktiven Lebensraum Nordschwarzwald schaffen müssen.

Hohe Anforderungen an Bildung und Qualifizierung

Die zunehmende Komplexität und Technisierung stellt hohe Anforderungen an Bildung und Qualifizierung der jungen Menschen. Dieses war auch der Grund für die Entwicklung und den Aufbau des Zentrum für Digitalisierung, Führung und Nachhaltigkeit Schwarzwald – kurz: Campus Schwarzwald – in Freudenstadt. Junge technologiebegeisterte Studierende der Universität Stuttgart sollen die innovationsstarken Unternehmen im Schwarzwald und die persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten kennenlernen. Wir sind daher sehr froh, dass der Campus Schwarzwald in Freudenstadt nach so kurzer Zeit schon erfolgreich tätig ist und bereits über 350 Studierende aus Stuttgart mit den Unternehmen in der Region in einen intensiven Kontakt gebracht werden konnten. Die Entwicklung der Digitalkompetenzen in Schule und Ausbildung steht daher ganz oben auf der Agenda der dringenden Projekte. Aktuell hat das Land eine neue Förderrunde für den Aufbau von Lernfabriken 4.0 für Aus- und WeiterWeiterbildung in den Berufsschulen gestartet. 16 dieser innovativen Lernorte gibt es bereits in Baden-Württemberg. Die Region Nordschwarzwald darf hier nicht länger ein weißer Fleck auf der Landkarte sein. Die Unternehmen benötigen dringend Mitarbeiter mit digitaler Kompetenz. Die Region, die Menschen brauchen dazu die bestverfügbaren Bildungseinrichtungen. Und auch hier gilt: Vernetzung ist oberstes Gebot. Damit sich etwas ändert, braucht es Menschen, die die Dinge anstoßen und in Bewegung bringen. Wir als Industrie- und Handelskammer möchten diese Menschen zusammenbringen und gemeinsam mit ihnen eine neue Entwicklungsstrategie für die Region Nordschwarzwald erarbeiten.
Lassen Sie uns gemeinsam die Zukunft der Region Nordschwarzwald gestalten.
Martin Keppler,
Hauptgeschäftsführer IHK Nordschwarzwald