GRÜNDUNGSINTERESSE AUF HISTORISCHEM TIEF

DIHK-Report Unternehmensgründung 2023

Mittelstand rutscht Fundament weg: Immer weniger Gründungen 
Immer weniger Menschen in Deutschland wollen ein Unternehmen gründen und sich selbstständig machen. Das ist das besorgniserregende Ergebnis des diesjährigen DIHK-Reports Unternehmensgründung, mit der die Deutsche Industrie- und Handelskammer regelmäßig die aktuellen Entwicklungen beim Gründungsgeschehen in Industrie, Handel und Dienstleistungsbranchen analysiert.
„Der Negativtrend bei den Gründungen ist eine ernstzunehmende Gefahr für unsere Wirtschaft“, sagt DIHK-Präsident Peter Adrian. „Dem deutschen Mittelstand droht nach und nach das Fundament wegzurutschen.“
Vor allem klassische Branchen wie der Handel, Dienstleistungen sowie das Gastgewerbe seien betroffen. Die DIHK fordert umgehend Aktivitäten der Politik für ein unternehmerfreundlicheres Umfeld. 
Grundlage des DIHK-Reports sind Berichte von 350 Beraterinnen und Beratern für Existenzgründung der regionalen Industrie- und Handelskammern (IHKs). Demnach gingen nicht nur im vergangenen Jahr die Beratungsgespräche zu Neugründungen zurück, vor allem langfristig sei die Entwicklung stark negativ.
„Seit 13 Jahren interessieren sich stetig weniger Menschen für eine Gründung, es ist der Tiefpunkt seit Beginn der Erhebung.“
Im Jahr 2010 führten die IHKs noch 431.000 Gespräche, im vergangenen Jahr interessierten sich nur noch 154.800 Menschen für Informationen und Beratung zur Gründung. Das sind deutliche 42 Prozent weniger als im Vorkrisenjahr 2019 – ein solch starker Rückgang ist in keiner Weise allein mit der demographischen Entwicklung zu erklären. Selbst in Zukunfts-Branchen wie Informations- und Kommunikationstechnologie oder unternehmensnahe Dienstleistungen flaue das Interesse massiv ab.  
„Viele Menschen sind verunsichert und scheuen den Schritt in die Selbstständigkeit. Uns geht dadurch ein großes unternehmerisches und wirtschaftliches Potential verloren“, so Peter Adrian.  Sie müssten wieder den Mut bekommen, sich auszuprobieren, innovative Ideen zu verfolgen und zu gründen.
„Wir brauchen dringend wieder einen neuen Gründungselan.“
Erfreulich: Das Gründungsinteresse von Frauen ist stabil. Für sie zählen insbesondere Flexibilität und bessere finanzielle Anreize sowie, dass sie einen gesellschaftlichen Beitrag leisten können.  
„Natürlich hinterlässt die demografische Entwicklung Spuren“, sagt Peter Adrian. Die gründungsstarken Jahrgänge zwischen 18 und 35 Jahren würden ausdünnen. Zudem finden gerade gut qualifizierte Menschen lukrative Möglichkeiten in Festanstellungen oder im öffentlichen Dienst – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels. Gleichzeitig schrecken die Jungunternehmer aber vor allem unsichere Rahmenbedingungen wie die Auswirkungen des Ukrainekrieges, die hohen Energiekosten und die hartnäckige Inflation sowie bürokratische Hürden ab. Die IHKs berichteten, dass manche Gründungswillige ihr Vorhaben aufschieben, um das Geschäftsmodell eventuell neuen Gegebenheiten anzupassen.  
Es sei dringend geboten, das Unternehmertum in Deutschland stärker in den Fokus zu rücken. „Dies ist eigentlich die Zeit der Macherinnen und Macher. Mit der digitalen Transformation, der Energiewende und den Chancen der Künstlichen Intelligenz warten viele Herausforderungen auf uns. Ich appelliere an die Politik, gezielt Anreize zu setzen, damit wieder mehr Menschen mit Freude ein Unternehmen gründen.“  
DIHK-Umfrage: Jungunternehmer unzufrieden mit Standortpolitik 
Junge Gründerinnen und Gründer sind nicht zufrieden mit der deutschen Wirtschafts- und Standortpolitik. Die Qualität Deutschlands als Gründungsstandort bewerteten sie gerade mal mit einem schwachen “befriedigend”. Das ist das Ergebnis einer aktuelle Online-Umfrage der DIHK unter Start-ups und Jungunternehmern.
„Mit immer wachsender Bürokratie, hohen Steuern, schlechten Digitalstandards und steigenden Kosten verprellen wir potenzielle Jungunternehmer“,
sagt DIHK-Präsident Peter Adrian. Aus den Antworten der Umfrage leitet die DIHK eine politische Agenda für den Gründungsstandort Deutschland ab.  
Gut 600 Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer meldeten sich über die Umfrage in diesem Jahr zu Wort. „Die Resonanz macht deutlich, wie ernst es den Gründerinnen und Gründern mit ihren Rufen nach einem besseren Umfeld ist.“ Der Gründungsstandort Deutschland werde zusehends unattraktiver. Das ist auch an der Zahl derjenigen zu sehen, die eine Neugründung anstreben. Der aktuelle DIHK-Report Unternehmensgründung zeigt, dass das Interesse an Gründungen derzeit so gering ist wie nie seit Erhebung der Daten.  
Die wichtigsten Gründe: 69 Prozent geben stetig wachsende Regulierung und Bürokratie als Ballast für den Unternehmensalltag an.
„Der Aufwand für Dokumentations- und Meldepflichten, Verwaltungsgänge und Normerfüllung schreckt ab und hemmt die Unternehmen mehr und mehr.“
Die Wirtschaft brauche deshalb gebündelte, einfache und schnelle Prozesse.  
Weitere Kritikpunkte aus Sicht der Newcomer: Die Politik belastet die Wirtschaft durch ein kompliziertes Steuerrecht (58 Prozent) und schwer zugängliche Förderungen (33 Prozent) sowie eine veraltete digitale Infrastruktur. Hinzu kommt nicht zuletzt der Mangel an Fachkräften. „Bei all diesen Punkten kann und muss die Politik gegensteuern: Wir brauchen eine digitale Verwaltung, schnelle Genehmigungen, überschaubare Steuern sowie weniger Regulierungen.“ 
Die Bundesregierung hatte im Koalitionsvertrag betont, Firmengründungen innerhalb von 24 Stunden möglich zu machen. „Das muss nicht nur das Ziel sein, das müssen wir auch schaffen.“ Gründungen seien in Deutschland im internationalen Vergleich zu aufwändig und kompliziert. DIHK-Präsident Adrian plädiert daher für ein klares Bekenntnis der Politik zum Unternehmertum und appelliert, die selbstgesteckten Ziele zu erfüllen und die Sorgen der Jungunternehmer ernst zu nehmen.