»Demokratie heißt, aufeinander zugehen und Kompromisse finden«

Vor dem Hintergrund des Anschlages auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg sei es besonders schwer, einen Neujahrsempfang mit einem Grußwort zu versehen, sagte Dr. Reiner Haseloff zu Beginn seiner Rede. »Was diese tragischen drei Minuten mit dieser Stadt, mit uns, mit diesem Land, ja weltweit gemacht haben, kann man eigentlich nur ermessen, wenn man sich die bisher vorliegende Gesamtbilanz ansieht an Leid, an Verlusten, an Menschenleben, an tragischen Schicksalen, die noch längst nicht aufgearbeitet ist. Daran werden wir noch viele, viele Jahre, möglicherweise sogar Jahrzehnte gemeinsam arbeiten müssen.«
IHK-Präsident Klaus Olbricht habe zu Recht gesagt, dass es jetzt darum gehe zu zeigen, dass wir keine Schönwetterdemokratie sind, dass wir nicht nur dann zu unseren Werten stehen, zu unseren demokratischen Grundprinzipien, zu unserem Grundgesetz, zu unserer Landesverfassung und zu all dem, was uns stark gemacht hat, wenn alles gut läuft und wir positive Bilanzen ziehen.
»Wir haben eine gemeinsame Verantwortung dafür, dass das, was wir derzeit an sozialstaatlichen Maßnahmen, an sozialstaatlichen Leistungen erbringen und auszahlen, auch erarbeiten. Derzeit klafft ein Defizit zwischen dem, was wir sozialstaatlich sicherstellen und zwischen dem, was unsere Wirtschaft leistet und leisten kann unter den Rahmenbedingungen, die sich letztendlich entwickelt haben.«
Wenn zum Beispiel das Unternehmen Intel derzeit sämtliche Standorte evaluiert und fragt, ob man als amerikanisches globales Unternehmen überhaupt noch in Europa und in Deutschland und damit auch in Sachsen Anhalt bleiben kann, weil eine Investition dort eben über 20 bis 25 Jahre gesichert sein und auch in der Zeit refinanziert werden muss, dann sei dies derzeit nicht positiv zu beantworten. »Und wenn wir das nicht hinbekommen, das ist nur ein Beispiel, dann haben wir ein Problem wenn es darum geht, Industriearbeitsplätze zu erhalten. Und jeder verlorene oder abwandernde Industriearbeitsplatz ist eine Katastrophe für die Umweltpolitik, denn die Produkte werden an anderer Stelle auf gleiche Art und Weise nur zu schlechteren Ökobilanzen erzeugt. Das muss man sich vor Augen führen. Der Kampf um jeden einzelnen Arbeitsplatz ist auch dafür entscheidend, dass wir die Klimaziele erreichen.«
Vor dem Hintergrund des Krieges Putins gegen die Ukraine und des Wegfalls von billigem russischen Erdgas, vor allem für die ursprünglich geplanten neuen Gaskraftwerke, »müssen wir darüber nachdenken, wie die Taktung der Energiewende so läuft, dass wir schlicht und einfach überhaupt eine Chance haben, das Ziel zu erreichen. Darüber müssen wir offen reden. Das heißt nicht das Infragestellen von Klimazielen, sondern das heißt zur Kenntnis zu nehmen, dass es Krieg gibt, dass wir die Ressourcen nicht zur Verfügung haben und dass wir andere technologisch akzeptable und trotzdem nachhaltig langfristig wirkende entsprechende Maßnahmen realisieren können. Und genauso ist das mit der ideologischen und politischen Vorgabe von Technologien. Es ist falsch, einer Wirtschaft, die hier ja auch versammelt ist, vorzuschreiben, was ab 2025 stattfinden darf und was nicht.« Das erinnere ihn, so Haseloff weiter, an Günter Mittag, der jeden Trabant, der verändert werden sollte, bei ihm im ZK-Gebäude habe vorfahren lassen. Und wenn das Rücklicht etwas anders aussehen sollte, musste er die Freigabe erteilen.
Haseloff plädierte für eine politische Kultur im Umgang miteinander, »dass nicht die den Nektar ziehen, die uns endgültig destabilisieren würden, wenn wir keine Regierungen mehr in Deutschland, in den einzelnen Bundesländern in der Mitte mehrheitsfähig hinbekommen«. Das wäre die Bankrotterklärung für unseren demokratischen Ansatz, »den wir mit der Wiedervereinigung seit 1990 in die Hand gegeben bekommen haben, als Chance auch für die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder.« Deswegen sei es wichtig, wie wir miteinander umgehen, wie wir Politik machen, wie wir Konflikte lösen. Dafür dürfe man nicht einfach nur auf seiner Position beharren. »Nein, Demokratie heißt Kompromissfähigkeit, aufeinander zugehen und diese Kompromisse finden. Das heißt nicht in jedem Falle Opportunismus, sondern heißt Stabilität. Da bitte ich Sie, auch mitzuwirken als Multiplikatoren, um das zu kommunizieren. Wenn sich eine Gesellschaft immer weiter ausdifferenziert, ist es schwierig, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Aber wir wissen, dass man einen gemeinsamen Nenner immer finden kann, wenn man zu Lösungen kommen will. Also, diese ganz elementaren Dinge sollten wir auch wieder ins politische Geschäft einbringen, auch mit den Kammern als öffentlich rechtliche Körperschaften. Dann werden wir auch die Herausforderungen in diesem Jahr gut bewältigen.
Da ich mal den Heiligen Georg von der IHK Magdeburg verliehen bekommen habe und er seit 200 Jahren auch der Schutzpatron der Kammer ist, wünsche ich gemeinsam mit dem Heiligen Georg allen Mitgliedern der Industrie und Handelskammer Magdeburg alles Gute, Gottes Segen, und wirken Sie dafür, dass unser Land zusammenbleibt. Herzlichen Dank!«