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Lehrermangel in Sachsen-Anhalt

Lehrermangel in Sachsen-Anhalt – Bildung bleibt ein zentrales Thema: Der Landesschülerrat Sachsen-Anhalts bewertet die Ergebnisse des Bildungsgipfels, zu dem die Landesregierung am 19. Januar 2023 eingeladen hatte, als richtig, wenn auch deutlich ausbaufähig. Wir haben uns umgehört, wie dieses Thema bei Lehrern, Schülern und Unternehmern gesehen wird.
Liebe Unternehmerinnen und Unternehmer, Bildung geht uns alle an. Deshalb hatte auch die Industrie- und Handelskammer Magdeburg in den mit dem Ministerpräsidenten Dr. Reiner Haseloff stattgefundenen Bildungsgipfel hohe Erwartungen gesetzt.
Als das wichtigste und effektivste Ergebnis bewerte ich die Freigabe von Mitteln aus unbesetzten Lehrerstellen zur Einstellung von Vertretungslehrern, pädagogischen Mitarbeitern und Experten aus der Wirtschaft, die Lehrer von ihren Aufgaben entlasten und Unterrichtsstunden mit abdecken können. Dieses Budget, in Eigenverantwortung der Schulen, bedeutet einen großen Schritt für die Flexibilität und Stärkung der Handlungsfähigkeit der Schulen.
Allerdings zeigt die Praxis, dass immer noch zu viele Interessenten mit dem Wunsch zu unterrichten abgelehnt werden. Es fehle der Hochschulabschluss sowie die Fächerableitung, so die vielfache Begründung. Die Anrechnung sonstiger beruflicher einschlägiger Erfahrungen ist immer noch nicht standardisiert. Hier muss nachgebessert werden.
Positiv bewerte ich die schrittweise Anhebung der Gehälter der Grundschullehrer in Verbindung mit dem Ganztagsschulkonzept. Das ist ein Signal für Lehramtsanwärter, in Sachsen-Anhalt zu bleiben.
Gleiches gilt für das angekündigte Modell eines »Dualen Lehramtsstudiums« mit Anstellung, Bezahlung und Praxiseinsatz vom ersten Studientag an. Abiturienten mit dem Berufswunsch Lehrer wird damit eine attraktive und interessante Studienmöglichkeit angeboten.
Ich bin mir sicher: Für die angekündigten ersten 30 Plätze im Studienjahr 2023/2024 werden sich schnell Bewerber finden.
Allerdings glaube ich, dass das vom Ministerpräsidenten angekündigte Ziel, »den Unterrichtsausfall in Richtung Null schieben« zu wollen, allein mit dem von ihm angekündigten Maßnahmenpaket mittelfristig nicht erreicht wird.
Die Schulen sowie Lehrer werden mit der Umsetzung der Digitalisierung allein gelassen. Es fehlen Schulungs- beziehungsweise digitale Weiterbildungsangebote für die Lehrkräfte. Noch immer ist nicht jede Schule an das schnelle Internet angeschlossen. Die IT-Infrastrukturen des Landesbildungsservers bremsen die Digitalisierung an Schulen aus.
Der Bildungsgipfel darf keine Eintagsfliege sein. Hier muss die Landesregierung weiter aktiv bleiben und vor allem einen Dialog mit Eltern und den Kammern zulassen. Jetzt müssen wir dranbleiben!
Thomas Kempf
Vizepräsident der IHK Magdeburg
MAGDEBURGER ERKLÄRUNG
Vor dem Hintergrund der sinkenden Unterrichtsversorgung an den Schulen hat der Stadtrat der Landeshauptstadt eine sogenannte Magdeburger Erklärung »Die Bildung unserer Kinder geht uns alle an!« verabschiedet. Darin fordern Kommunalpolitiker und Elternvertreter sowie die Wirtschaft eine zügige und lösungsorientierte Auseinandersetzung mit den akuten Problemen in der Unterrichtsversorgung«. Die Erklärung ist auch von der IHK Magdeburg unterschrieben worden. »Mit Blick auf den Lehrermangel ist die Ausbildungsreife in der Breite nicht mehr gegeben«, sagte IHK-Hauptgeschäftsführer André Rummel. Deshalb müssten in der Schule die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Kinder und Jugendliche für eine Berufsausbildung oder ein Studium vorbereitet werden könnten.
Um dem Lehrermangel mittelfristig entgegenzuwirken, fordert die »Magdeburger Erklärung« unter anderem ein Mentorenprogramm und zunächst weniger Unterrichtsstunden für Seiteneinsteiger im Lehrerberuf. So soll der hohen Abbrecherquote entgegengewirkt werden. Der Seiteneinstieg soll zudem stärker beworben werden. Zu den Forderungen an die Landesregierung gehören auch digitale Lernangebote und der Einsatz von »Digitalassistenten«.

LANDESSCHÜLERRAT SACHSEN-ANHALT NACH DEM BILDUNGSGIPFEL

»Situation für alle Schüler belastend«

Der Landesschülerrat Sachsen-Anhalts bewertet die Ergebnisse des Bildungsgipfels, zu dem die Landesregierung am 19. Januar eingeladen hatte, als richtig, wenn auch deutlich ausbaufähig. Angesichts der vielfältigen Probleme an den Schulen des Landes müsse nun zügig an der Umsetzung aller vorgeschlagenen Maßnahmen gearbeitet werden. Darüber hinaus schlägt der Landesschülerrat noch einige Verbesserungen vor.
Celine Sell und Moritz Eichelmann gehören zu denjenigen, die sich im Landesschülerrat Sachsen-Anhalts für die Lernenden einsetzen und dem Bildungsministerium ihre Sorgen, Nöte und Vorschläge antragen. Die beiden 18-Jährigen bekommen die Probleme, mit denen Schüler und Schülerinnen seit Jahren an den Schulen in Sachsen-Anhalt konfrontiert werden, direkt zu spüren. Lehrermangel, Unterrichtsausfälle und alles, was sich daraus ergibt, kennen beide nur all zu gut. Allerdings wird die Schülerin des Friedrich-Ludwig-Jahn-Gymnasiums mit deutlich mehr Problemen dieser Art konfrontiert. Denn während sich für Eichelmann am Merseburger Domgymnasium die Ausfälle wegen Lehrermangels und damit verbundene Unterrichtsausfälle in Grenzen halten, sieht es für Celine Sell in Salzwedel ganz anders aus. In der eher ländlich geprägten Region sieht sich die Schülerin des Friedrich-Ludwig-Jahn-Gymnasiums dort deutlich mehr solchen Problemen gegenüber. Dem als Mittelzentrum geltenden Merseburg, wo rund 626 Einwohner auf einem Quadratkilometer leben, stehen im Altmarkkreis gerade mal 76 Einwohner je Quadratkilometer gegenüber. Kein Einzelfall. Die beiden Standorte sind exemplarisch für viele andere Regionen, in denen die Abdeckungen der Lehrerstellen mindestens ebenso schwanken und daher prozentual eigentlich nicht miteinander vergleichbar sind.

Merseburg ist nicht die Altmark

Neben all den bestehenden, bekannten Problemen wie dem Lehrermangel an sich, der Bezahlung der Lehrenden und weiteren sieht der Schülerrat aber auch den öffentlichen Personennahverkehr als entscheidenden Faktor mit an. »Merseburg ist nicht die Altmark. Dass Salzwedel scheinbar näher an Hamburg als an Merseburg liegt, merkt man, wenn man mit Bus und/oder Bahn dorthin fahren möchte. Einfach mal schnell dorthin, das geht nur nach Hamburg, aber eben nicht in die Altmark. Denn was wir hier unten im Dreieck zwischen den Ballungsgebieten Halle, Leipzig und Erfurt an guten Verkehrsanbindungen haben, das hat der geografische Norden Sachsen-Anhalts ganz offensichtlich nicht. Darin sehen wir auch eine der Ursachen des Lehrermangels und dem, was sich daraus an Problemen ergibt«, so Eichelmann und Sell.
Und die seien durchaus ernst. Unterrichtsausfälle und dass dadurch prüfungsrelevante Themen nicht ausreichend behandelt würden, sorgen den Landesschülerrat. »Die Situation ist für alle Schüler im Land belastend. Es herrschen nun mal wirklich große Unterschiede, was die Unterrichtsversorgung angeht«, so Eichelmann. Und weiter: »Dass Unterricht ausfällt, belastet nicht nur die Schüler. Auch Eltern und Lehrkräfte haben mit den Folgen zu kämpfen und müssen zusammen mit allen an einem Strang ziehen, um die Auswirkungen so gut es geht abzufedern.«

Quereinsteiger: Frischer Wind im Klassenraum?

Auch zur Frage nach Seiteneinsteigern als Lehrer bezieht der Landesschülerrat Stellung. Die würden seiner Meinung nach für Schulen wichtige Expertisen mit in den Klassenraum bringen. Für den Leistungskurs in Physik beispielsweise könne es ein echter Gewinn sein, einen studierten Physiker vor sich zu haben. Eichelmann: »Das würde auf jeden Fall etwas frischen Wind vor die kreidebestaubte Tafel bringen. So manches könnte lebhafter und praxisnäher dargestellt werden als es jedes Lehrbuch vermag. Schulen agieren heutzutage etwas außerhalb der Lebensrealität vieler Menschen. Was sich erfreulicherweise wandelt. Seiten- oder Quereinsteiger könnten diesen Prozess beschleunigen und für ein vielfältigeres Schulumfeld sorgen.«
Um sich ausreichend auf ein späteres Berufsleben vorbereitet zu sehen, müsse aber noch mehr getan werden, erklärten Sell und Eichelmann dazu weiter. Die Schulen seien noch zu wenig mit der Studien- und Berufswelt vernetzt. Was fehlt, seien flächendeckende Orientierungsangebote. »Die Berufs- und Studienberatung sollte im besten Fall dauerhaft verankert sein. Die mit dem Berufswahlsiegel ausgezeichneten Schulen im Land, ob in der Fläche oder im Stadtzentrum, leisten wirklich gute Arbeit. Auch Angebote wie der jährliche Zukunftstag tragen zur Orientierung bei. Wichtig ist in unseren Augen die Regelmäßigkeit dieser Arbeit.«

Wir suchen Personal, das reicht nicht aus!

Das alles nütze natürlich nichts, wenn sich nicht auch die Wirtschaft stärker einbringe. Es reiche nicht aus, dass Lieferwagen mit Aufklebern »Wir suchen dringend Personal« durch die Straßen fahren würden. Unternehmen müssen in die Kooperation mit regionalen Orientierungsnetzwerken treten und auch bereit sein, außerhalb der großen Ballungszentren Messen zu besuchen. »Natürlich ist uns klar, dass es dem Betrieb mit 500 oder mehr Mitarbeitern leichter fällt als dem ortsansässigen Schreiner, der vielleicht nur zwei weitere Mitarbeiter und volle Auftragsbücher hat. Aber auch hier ist Langfristigkeit und Regelmäßigkeit der Schlüssel zum Erfolg. Durch kleinere, innerstädtische Vernetzungstreffen der Schulen mit der regionalen Wirtschaft ist eine Stärkung mit neuen Fachkräften unserer Meinung nach möglich.«
»Schulen agieren heutzutage etwas außerhalb der Lebensrealität vieler Menschen. Was sich erfreulicherweise wandelt. Seiten- oder Quereinsteiger könnten diesen Prozess beschleunigen und für ein vielfältigeres Schulumfeld sorgen.«
Moritz Eichelmann
Schüler am Domgymnasium Merseburg und Vorsitzender des Landesschülerrates Sachsen-Anhalt
Als Resümee zum Bildungsgipfel erklärten Eichelmann und Sell, dass man die Bildungspolitik in einer echten Misere sehe und daher möglichst schnell Lösungen gefunden werden sollten. »Wir sehen beispielsweise die zusätzliche Stunde eher als Chance, gerade die Verwaltungsarbeit, die in der Schule anfällt, aus dem Unterrichtsgeschehen herauszunehmen. Ebenso, dass die Schulen mit einem flexiblen Budget weitere Personen dem Unterricht zuführen könnten. Und es muss erreicht werden, dass sich alle Beteiligten häufiger an den runden Tisch setzen und an Lösungen zum Wohle der Schülerschaft arbeiten. Auch wenn die Fronten in der Debatte rund um den Lehrermangel, aber auch generell in der Bildungspolitik, verhärtet sind«, betonen die beiden.

BLANKENBURGER ELTERNVERTRETER

Alles nur schöngerechnet?

Tausend fehlende Lehrkräfte, Unterrichtsausfälle in Größenordnungen und ein nach wie vor viel zu zögerliches Handeln der Politik seien für Wirtschaft, Schulen und Elternvertretungen die ursächlichsten Treiber für eine deutlich in Schieflage geratene Bildungspolitik in Sachsen-Anhalt. Daran werde auch der kürzliche Bildungsgipfel mit Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff nicht viel ändern, meint Katy Löwe aus Blankenburg. »Inhaltlich enttäuschend. Es muss viel mehr getan und in Bildung investiert werden. Sonst gehen uns schon sehr bald gut ausgebildete Fachkräfte aus«, erklärt die Unternehmerin.
Katy Löwe ist enttäuscht. Die 43-Jährige ist Vollblutunternehmerin. Ehrenamtlich in der IHK und bei den Wirtschaftsjunioren aktiv. Und immer mit denselben Zielen, jungen Menschen den Zugang zu Bildung zu ermöglichen, neue Fachkräfte in der Region zu halten und abgewanderte Harzer zur Rückkehr zu bewegen. So wie mit der Gemeinschaftsinitiative Heimvorteil:Harz, die von zahlreichen Unternehmen unterstützt wird. Bei ihr als Chefin der Kreativagentur Ideen.Gut in Halberstadt laufen dafür alle Fäden zusammen. »Ohne gut ausgebildete Fachkräfte gibt es keine starke Wirtschaftsregion Harz. Der Grundstein dafür wird allerdings schon in der Schule gelegt«, sagt sie. Der Unternehmerin und Mutter zweier Kinder, welche in Blankenburg unterrichtet werden, schlagen gleich zwei Herzen in der Brust: »Ich weiß, wie viel Unterrichtsstoff allein bei meinen Kindern wegen Lehrermangels verlorengeht. Das will ich nicht weiter hinnehmen und habe mit weiteren engagierten Elternvertreter der Europa- und Ganztagsschule August-Bebel die Kampagne www.bildungmuss.de ins Leben gerufen und im November dazu einen Brandbrief an Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff und Bildungsministerin Eva Feußner mit ganz konkreten Forderungen verfasst. Eine Antwort darauf steht bisher aus.«
Worum geht es? Seit Beginn des laufenden Schuljahres sei den Elternvertretern zu Folge die Unterrichtssituation an ihrer Schule durchaus als katastrophal einzuschätzen. Der Unterricht sei nur zu 66 Prozent abgedeckt, Krankheitsfälle würden permanent für weitere Ausfälle sorgen. Dem gegenüber würden neun offene Stellen stehen, die aus verschiedenen Gründen nicht besetzt werden können. Zudem stünden zeitnah weitere Abgänge durch Verrentung an, was die Situation weiter verschärft.

Attraktivere Bedingungen gefordert

»Wir fordern, dass Lehrkräften endlich attraktivere Bedingungen angeboten werden. Lehrerstellen müssten dauerhaft ausgeschrieben sowie im ganzen Land eine Bildungsgerechtigkeit geschaffen werden. Während anderswo die Unterrichtsabdeckung über 100 Prozent liegt, haben wir hier noch nicht einmal für jede Klasse einen Klassenlehrer. Das ist beschämend«, betont Löwe.
Des Weiteren fordern die Elternvertreter das Anpassen der Auswahlkriterien, die an Quereinsteiger gestellt werden. Auf einen Hochschulabschluss zu bestehen, ohne jegliche Berufserfahrung, anderweitige Qualifikation und persönliche Eignung zu betrachten, sei nicht mehr zeitgemäß. Hier sollte die Expertise von Personalentwicklern hinzugeholt werden, um eine höhere Einstellungsquote zu generieren. »Gerade im naturwissenschaftlichen Bereich ist der Bedarf hoch. Eine intensive Begleitung seitens des Arbeitgebers ist hier notwendig. Die Begleitung des Quereinstiegs kann nicht durch die Kollegen vor Ort geleistet werden.«
Auch zur Frage von Honorarkräften haben sich die Elternvertreter der Europa- und Ganztagsschule August-Bebel in ihrem Brandbrief klar positioniert. »Zur kurzfristigen Deckung des Bedarfs müssten die nicht prüfungsrelevanten Fächer gegebenenfalls auch durch Honorarkräfte aufgefangen werden. Sport kann durchaus mit Honorartrainern, Kunst durch freie Künstler oder Musik durch Musikschulen oder ähnliches abgedeckt werden, um den Lehrenden freie Kapazitäten für die Kernfächer zu schaffen. Hier sind ausreichende Mittel und Handlungsspielraum bei Personalentscheidungen notwendig.«

Zu wenige Fachleute beim Bildungsgipfel

Die Angebote, mit denen Haseloffs Bildungsgipfel aufwartete, lässt die Blankenburger nach wie vor nicht nur kritisch, sondern eher enttäuscht zurück. Nur kreisfreie Städte seien dabei berücksichtigt worden. Ländliche Gebiete, wo ganz andere strukturelle Hürden zu nehmen seien, waren gar nicht erst eingeladen worden. Auch die Wahl der Gesprächsteilnehmer habe den falschen Ansatz widergespiegelt. »Zu viele Politiker, viel zu wenige Fachleute. Es war kein richtiger Dialog. Vorgestellte Maßnahmen konnten weder kommentiert, noch in Frage gestellt werden«, bedauert Löwe.
Von den Maßnahmen, die die Vertreter der Landesregierung aus ihrer Sicht vorstellten, gehörte die Erhöhung der Lehrerstunden, mehr Budget und Budgeteigenverantwortung für die Schulen zur Einstellung von Personal zur Unterstützung im Unterricht. »Das geht gar nicht. Schon die Vorgriffstunde ist ein falsches Signal! 60 Prozent der Lehrer im Land sind über 50 Jahre alt. Die gesamte Berufsgruppe hat den mit Abstand höchsten Anteil an Langzeitkranken. Mehrarbeit würde das nur noch verstärken und wohl eher zu einer Erhöhung der Arbeit derer führen, die nur noch Teilzeit arbeiten. Halle beispielsweise hat nahezu 100 Prozent Abdeckung im gesamten Raum. Dort bringt die Stunde mehr gar nichts. Und an Schulen, die beispielsweise keinen Physiklehrer haben, bringt es keinen Mehrwert, wenn der Sportlehrer eine Stundemehr arbeitet«, argumentiert Katy Löwe. Die von der Landesregierung ins Spiel gebrachten 360 Stellen nichtpädagogisches Personal hingegen würden in schon die richtige Richtung gehen, seien aber bei über 800 Schulen viel zu wenig.
»Ohne gut ausgebildete Fachkräfte gibt es keine starke Wirtschaftsregion Harz. Der Grundstein dafür wird allerdings schon in der Schule gelegt.«
Katy Löwe
Unternehmerin
Auch zum Thema Geld und Finanzierung beziehen die Blankenburger Stellung. »Die beim Bildungsgipfel vorgeschlagene Entlohnung nach A13/E13 für Grundschullehrer kommt ohne konkretes Datum und Einführungsplan vielleicht irgendwann. Genaues weiß man aber nicht. Fest steht nun mal, dass durch 1.000 unbesetzte Lehrerstellen etwa 190 Millionen Euro eingespart werden. Die angebotenen Maßnahmen hingegen stellen nur eine Investition von 25 Millionen Euro dar. Genügend Geld müsste also da sein. Schlimm ist des Weiteren, dass wir heute von 100 Prozent Unterrichtsabdeckung sprechen. Die bedeuteten im Jahr 2014 lediglich nur 89 Prozent. Wir sind also schon jetzt weit unter Niveau. Es wird nach wie vor schöngerechnet, wo es geht. Wir ziehen uns hier die Hose aber nicht mit der Kneifzange an.«

SEITENEINSTEIGER HINKEN AN SCHULEN BEI GEHÄLTERN HINTERHER

Gleich ist nicht gleich gleich

Fehlende Lehrer so weit das Auge reicht. Sachsen-Anhalt steckt in einer Bildungsmisere, die wegen des Mangels an Lehrkräften und Schulpädagogen sowie durch Überalterung und anderen Faktoren zu massiven Unterrichtsausfällen führt. Daher sind geeignete Quereinsteiger in Schulen hochwillkommen. Auch an der altehrwürdigen, 1889 erbauten Thomas-Mann-Schule in Dardesheim hat man damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Allerdings müsse bei den Rahmenbedingungen generell deutlich nachgebessert werden, meint Schulleiterin Margret Bosse.
Der Mangel an Lehrkräften in Sachsen-Anhalt steigt seit Jahren dramatisch an. Ein Ende dieser alarmierenden Entwicklung ist nicht in Sicht. Aufgrund der unausgewogenen Altersstruktur der Lehrkräfte können derzeit selbst Seiteneinsteiger und neue Lehramtsabsolventen die jährlichen Eintritte in den Ruhestand nicht kompensieren. In der Folge wird eine Vielzahl an Unterrichtsstunden im ganzen Land nicht erteilt. Da kommen geeignete Seiteneinsteiger, die das Ganze schnell mal wieder in Waage bringen, gerade recht. Könnte man meinen. Doch so einfach ist die Sache nicht. Auch wenn Margret Bosse mehr als froh ist, dass sich mit Sarah Lüttge (48) und Steffen Grundmann (38) eben genau jene Sorte von Quereinsteigern nicht nur perfekt in die Lehrerschaft integriert, sondern darüber hinaus auch noch einen erheblichen Mehrwert für die Schule mitgebracht hat.

»Voraussetzungen haben hier gepasst«

»Bei beiden haben die Voraussetzungen gepasst. Steffen Grundmann hat einen Bachelorabschluss für Musik und Deutsch, nach einer Weiterbildung als Kindergartenleiter im Ort gearbeitet und war im Fallsteingymnasium in Osterwieck tätig. Einen Kurs für Seiteneinsteiger musste daher von ihm nicht absolviert werden. Jetzt unterrichtet er schon im dritten Jahr bei uns an der Schule. In seiner Freizeit leitet er darüber hinaus in Rhoden das Fallsteinorchester und hat hier einen Schulchor für fünfte und sechste Klassen gegründet«, betont die Schulleiterin.
Sarah Lüttge ist von Haus aus Reiseverkehrskauffrau mit den Schwerpunkten Marketing und Vertrieb, hat sich weitergebildet und ebenfalls bereits mehrere Jahre regelmäßig in einem niedersächsischen Bildungszentrum Sprachen unterrichtet. An der Thomas-Mann-Schule in Dardesheim unterrichtet sie nun Deutsch und Englisch. »Dazu kam, dass sie auch noch perfekt französisch spricht. So konnten wir hier an unserer Schule sogar noch eine weitere Fremdsprache anbieten, was sehr gut angenommen wird. Die beiden haben ihre befristete Probezeit mit Bravour bestanden und machen ihre Sache top. Sie haben eigenen Klassen übernommen und sind für uns alle ein echter Gewinn.

Gleiche Arbeit, aber ungleiche Einkommen

Mit »uns alle« meint die Schulleiterin rund 400 aus 30 Orten kommende Schüler und die 32-köpfige Lehrerschaft der Thomas-Mann-Schule. Allerdings komme es wegen Langzeitkranker und schwangerer Lehrerinnen auch hier zu erheblichen Ausfällen, was natürlich nicht umfänglich kompensiert werden könne.
Kopfschmerzen bereiten Margret Bosse zudem noch andere Baustellen. So zum Beispiel die unterschiedliche Entlohnung der Lehrenden. »Eigentlich habe ich hier drei Gruppen von Lehrern. Seiteneinsteiger, Angestellte und Beamte. Und alle werden unterschiedlich bezahlt. Die Lehrer bekommen A13, die Seiteneinsteiger, die sich genauso für ihre Tätigkeit qualifiziert haben, zum Beispiel E11. Das ist noch weniger als das Grundschullehrergehalt. Es machen zwar alle den gleichen Job, die Entlohnung wird aber immer noch am Abschluss festgemacht, was nicht mehr zeitgemäß ist. Ein Aufstieg in höhere Gehaltsgruppen ist für Seiteneinsteiger sowieso nicht ohne weiteres möglich. Es sei denn, sie würden auf ihre Aus- und Weiterbildungen noch einen Masterabschluss setzen, was wegen der Arbeit als Lehrender schon zeitlich gar nicht mehr zu schaffen ist.«
»Eigentlich habe ich hier drei Gruppen von Lehrern. Seiteneinsteiger, Angestellte und Beamte. Und alle werden unterschiedlich bezahlt.«
Margret Bosse
Leiterin der Thomas-Mann-Schule in Dardesheim
Abhilfe könne ein anständiges Grundgehalt schaffen, das man eigentlich allen zahlen müsste. Darauf könnten verschiedene, gestaffelte Prämierungen für verschiedene Dinge aufbauen. Das müsste sich in der Praxis widerspiegeln, etwa als Stufenmodell. Und auch die Arbeit selbst müsse ein wichtiger Maßstab für die Bezahlung sein, so Margret Bosse: »Das wäre eigentlich der beste und gerechteste Weg. Auch für unseren nächsten Seiteneinsteiger, den wir ab dem 1. April begrüßen werden. Der wird hier die Aufgaben einer Mathe-Physik-Lehrerin übernehmen, die als nächste in den Ruhestand gehen wird. Von solchen Abgängen wird es in den nächsten fünf bis sieben Jahren weitere geben. Auch dafür brauchen wir alle zeitnah Lösungen mit Weitblick.«
Autor: Frank Drechsler aus "Der Markt in Mitteldeutschland", März/April/2023