Der Schlüssel zum Erfolg

Wandel und Handel in der Innenstadt

Wandel und Handel in der Innenstadt: Von A wie Amazon bis Z wie Zalando – die Verlockungen, im Internet einzukaufen, sind groß. Kann der stationäre Handel in den Innenstädten dagegen auf Dauer bestehen? Professor Wolfgang Christ, Geschäftsführer des Urban Index Institutes, der seit Jahrzehnten unter anderem die Zusammenhänge von Urbanität und Konsum erforscht, malt ein differenziertes Bild. Für einige Innenstädte sieht er schwarz, anderen gibt er durchaus die Chance (neu) zu erblühen.


Der Schlüssel zum Erfolg

Für Professor Wolfgang Christ sind drei »A« der Schlüssel zum Erfolg. »Die Innenstadt wird dann Erfolg haben, wenn sie Authentizität besitzt, Atmosphäre hat und eine besondere Aura verbreitet. Was austauschbar ist, ist auch digitalisierbar«, so der Experte. Genau das treffe aber leider auf viele kleine Orte, nicht nur in Ostdeutschland, zu. Das »Aussterben« der Innenstädte sei ein gesamtdeutsches Problem. »Wer seit 20 Jahren vieles falsch gemacht hat, muss jetzt die Konsequenzen tragen.« Es werde keine weiteren 20 Jahre dauern, bis dort die kleinen Geschäfte aus der Innenstadt verschwunden sind, malt der Wissenschaftler ein düsteres Bild. Es gebe aber auch ermutigende Beispiele. Wo das Geschäft (noch) floriert, müsse jetzt in die Innenstadt investiert werden, sagt er. Nur so könne der stationäre Handel auf Dauer gegen die Verlockungen des Internets bestehen.
Wie sieht es im IHK-Bezirk aus? Wir wollen drei Beispiele in der Altmark betrachten: Tangermünde, Tangerhütte und Stendal. Städte im ländlichen Raum, die vieles gemeinsam haben, aber doch so verschieden sind. Tangerhütte war zu DDR-Zeiten eine blühende Kreisstadt mit allem, was an »Handel und Versorgung« dazugehört. Es gab drei Kaufhallen, drei selbstständige Bäcker, zwei Fleischer, einen Modesalon für die Dame und einen für den Herrn, dazu »Exquisit« und »Jugendmode«, ein Spielwarengeschäft, das »Gute Buch«, den »Fress-Ex« (Delikat Lebensmittelgeschäft) und, und, und. In der Thälmannstraße reihte sich Geschäft an Geschäft. Rund 8.000 Menschen lebten Mitte der 1980er in der Stadt, 22.000 im gleichnamigen Kreis. Der wurde schon 1987 aufgelöst. Seitdem mussten die Einwohner auf vieles Liebgewordene verzichten.
Heute ist der noch knapp 5.000 Einwohner zählende Ort Zentrum der gleichnamigen Einheitsgemeinde mit insgesamt rund 10.000 Bewohnern. Sieben Einkaufsmärkte haben sich seit der Wende angesiedelt. Die Thälmannstraße heißt jetzt Bismarckstraße. Vom einst pulsierenden Leben ist nicht viel geblieben. Ein Ladenbesitzer nach dem anderen schließt für immer zu. Oft aus Altersgründen. Die Gründergeneration aus Wendezeiten geht in Rente. Selten findet sich jemand, der das Geschäft übernimmt. Nur die Gesundheitsbranche expandiert. Der Hörgeräteakustiker musste seine Räume wegen des Kundenansturms erweitern. Einen Optiker gibt es, drei Apotheken, außerdem eine Reihe von Pflegediensten. Der demografische Wandel wirkt sich aus.
Viele Tangerhütter arbeiten in umliegenden Städten. Da ist es bequem, in den Pausen oder nach Feierabend dort auch seine Einkäufe zu erledigen. Zusätzlich locken die auswärtigen Einkaufstempel mit Licht und Glanz. Deren Umsätze mindern die der Tangerhütter Geschäfte. »Die Leute wundern sich, wenn hier wieder ein Laden schließt. Ich frage dann: Wann wart ihr denn das letzte Mal dort?«, sagt Wiebke Will. Die engagierte Geschäftsfrau ist die Ausnahme von der Regel. Im Jahr 2002 eröffnete sie die Tanger-Buchhandlung im Zentrum der Stadt, weil der frühere Buchladen geschlossen worden war und die Tangerhütter nicht auf ein solches Angebot verzichten wollten. Allein mit Literatur würden die Umsätze nicht zum Überleben reichen. So findet sich außer Büchern und Hörbüchern, Spielen, ein umfangreiches Sortiment von Ansichtskarten, Kalendern, Papeterie, Schreibwaren und Büroartikeln in dem 140 Quadratmeter großen Geschäft.
Als »Grundzentrum im ländlichen Raum« ist Tangerhütte nicht nur Einkaufsstadt für die umliegenden Ortschaften. »Zum Glück haben wir hier noch ein gutes Ärztenetz«, so die Geschäftsfrau. Für einen Augenarzttermin reisen die Patienten auch von weiter her an. Oft wird das mit einem kleinen Einkaufsbummel verbunden. Die Leute stöbern, zum Beispiel auf der Suche nach einem Geschenk, durch das Angebot und lassen sich dabei gern beraten. Ganz wichtig sei besonders den Älteren der persönliche Kontakt.
Zunehmende Einkäufe über Online-Shops setzen aber auch den Tangerhütter Einzelhändlern zu. Mancher, der etwas Interessantes im Internet gefunden hat, schreibt dann eine E-Mail, um es im Geschäft vor Ort zu bestellen und persönlich abzuholen. Bei der Lieferzeit kann die Tanger-Buchhandlung durchaus mit Branchenriesen, wie Amazon mithalten. Beim Preis – Dank Buchpreisbindung – auch. Solange die bleibt, sieht Wiebke Will auch für ihren Laden eine Zukunft. Dafür kämpft sie und macht sich gemeinsam mit anderen Geschäftsleuten für eine attraktive Innenstadt stark. Tangerhütte ist arm. Die hoch verschuldete Kommune konnte sich in diesem Jahr nicht mal die Weihnachtsbeleuchtung leisten. Für eine stimmungsvolle Innenstadt haben die Händler gesorgt. Zusammen mit anderen Geschäften, Arztpraxen, den örtlichen Geldinstituten und der evangelischen Kirchengemeinde hat Wiebke Will einen »Lebendigen Adventskalender«, bei dem jede der teilnehmenden Einrichtungen die Besucher mit etwas Besonderem überrascht, organisiert. »Wir wollen zeigen, dass auch bei klammer Stadtkasse Leben und Mut im Ort sind«, sagt sie.

Stimmungsvolle Innenstadt

In der Nachbarstadt Tangermünde geht es besonders in der Sommersaison lebendig zu. Doch auch jetzt flanieren viele Besucher durch die malerischen Gassen. Die 9000 Einwohner zählende Kaiserstadt an der Elbe hat sich in den vergangenen 25 Jahren zum Touristenmagneten gemausert. In der Altstadt ist kaum ein Schaufenster leer. Cafés und Restaurants laden zum Verweilen, viele kleine Geschäfte zum Stöbern ein.
In einem Fachwerkhaus direkt am Neustädter Tor wohnt und arbeitet Angelika Otto. Dort verkauft sie in einem kleinen Laden auch die Produkte ihrer Ein-Frau-Töpferei. Die Geschäftsfrau lebt nicht nur von den Touristen. Ihr guter Ruf hat sich bei Kunst- und Keramikliebhabern in nah und fern herumgesprochen. Das war kein Selbstläufer. Trommeln gehört auch zum Töpfer-Handwerk, und so keimte die Idee, in dem mittelalterlichen Ambiente der Stadt einen Töpfermarkt zu organisieren. Der zog von Jahr zu Jahr mehr Händler und Besucher an. Zur 13. Auflage im Oktober verwandelte sich das alte Hafengelände wieder in eine bunte Warenwelt wie aus König Drosselbarts Zeiten.
Medien aus nah und fern berichteten über Tangermünde, den Markt und Angelika Otto. Eine »Win-Win-Situation« für alle. »Die Leute wollen die Produkte sehen und anfassen«, beschreibt die Geschäftsfrau für ihren Laden den Schlüssel zum Erfolg. Eine Website im Internet hat sie natürlich auch. Doch die ist nicht mehr als eine Visitenkarte für ihr Geschäft. Wer zum Beispiel die Adresse des Ladens sucht, googelt »Keramik-Otto«. Der Verkauf ihrer Produkte funktioniert online nicht.
Das ist bei einer Firma ein paar Häuser weiter genau umgekehrt. Im Jahr 2003 startete Torsten Klipp sein Online-Geschäft. Der Name »Ostprodukte-Versand« wurde schnell bundesweit zum Markenbegriff, das Geschäft floriert. Immer wieder habe es Anfragen von Kunden gegeben, die die Ware lieber persönlich in Augenschein und gleich mitnehmen wollten. So keimte die Idee für ein Ladengeschäft. Da das Unternehmen mitten in der Altstadt, im früheren Postgebäude, ansässig war, schien die Lage ideal. »Wir wollten eine Visitenkarte für die Firma schaffen«, erinnert sich Klipp. Das Konzept geht augenscheinlich auf.
Schon von weitem lockt das Heck eines knallgelben Trabis, der scheinbar ins Gebäude fährt, potenzielle Kunden. Beim Blick ins bunt dekorierte Schaufenster ist oft ein »Ah« oder »Oh«, »Schau mal, kennst du das noch? …« zu hören. Fremde sind überrascht, Ostdeutsche oft überwältigt, wenn sie das bunte Angebot an die guten Seiten der DDR erinnert. Kaum ein Tourist geht ohne Souvenir wieder raus.
Es kommen aber auch viele Einheimische, bestätigt Klipp die Erfahrungen von Angelika Otto. Wenn die ihren Töpfermarkt veranstaltet oder sonst etwas in der Stadt los ist, sperrt der Ostprodukte-Laden die Türen länger auf. »Wir rollen einen roten Teppich aus, damit die Kunden wissen, dass offen ist«, berichtet Klipp. Denn leider beteiligten sich nicht alle Altstadt- Händler an solchen Aktionen. Auch in der Saison schließen die meisten Geschäftepunkt 18 Uhr, sonnabends werden nach 16 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt. Im Ostprodukte-Laden brennt oft am längsten Licht. Erstaunlich: Obwohl das Ladengeschäft floriert, macht die Firma damit nur rund fünf Prozent ihres Umsatzes, verrät Klipp.
Nächstes Ziel für einen größeren Einkaufsbummel ist für die Tangermünder und die Tangerhütter die nahe Kreisstadt Stendal. Die Fußgängerzone in der Breiten Straße gab es hier schon zu DDR-Zeiten. Nach der Wende herrschte ein reges Kommen und Gehen. Die Ladenbesitzer wechselten oft. Inzwischen hat sich ein fester Stamm an Restaurants und Geschäften etabliert. Neben einigen Kleinen sind hier die »üblichen« Filialen von Modegeschäften, Buchhandlungen, Bäckereien und so weiter zu finden. Vor zwei Jahren eröffnete sogar C&A ein neues Warenhaus.
Was macht die Innenstadt eines 40.000 Einwohner zählenden Mittelzentrums für einen »Großen« attraktiv? »Uns ist vor allem die Nähe zu unseren Kunden wichtig. Um diese sicherzustellen, sind auch kleinere Städte für uns interessant. Ein positiver Nebeneffekt ist, dass wir hierdurch auch ein schönes Einkaufserlebnis in kleineren Orten bewahren und fördern«, sagt Thorsten Rolfes, Kommunikationschef der C&A-Zentrale in Düsseldorf. In der Regel seien die Innenstädte die wertbeständigeren Lagen, begründet er, warum es keinen Neubau auf der grünen Wiese gab.
Trotz der Konkurrenz durch das Internet hat das Unternehmen in den Standort investiert. »Der Handel erfährt durch das Internet und ECommerce einen tiefgreifenden Wandel«, weiß Rolfes. Grenzen des Einkaufs verschwinden, und es gibt in der Kundenwahrnehmung keine Unterscheidung zwischen online oder offline. »Uns ist vor allem die Nähe zu unseren Kunden wichtig – egal ob stationär und/oder online. Wir verstehen diesen Wandel als eine Chance und setzen konsequent auf eine Omnichannel-Strategie, die sich an den Bedürfnissen unserer Kunden ausrichtet«, so der Unternehmenssprecher.
Autor: Christian Wohlt aus "Der Markt in Mitteldeutschland", 12/2016