Papier aus der Altmark

Mercer Stendal auf dem Weg zum klimaneutralen Unternehmen

Wenn das kein gutes Omen ist. Der Industrie- und Gewerbepark Arneburg (IGPA) darf sich seit kurzem mit einem klangvollen Titel schmücken. Es ist der 13. „Zukunftsort in Sachsen-Anhalt“. Mit dem Gütesiegel wird die Bedeutung dieses Premium-Gewerbegebietes gewürdigt, dessen Zukunft zu Beginn des Jahrtausends mit einer ganz besonderen Ansiedlung begann.
Am 22. Oktober 2004 wurde das damals größte industrielle Investitionsvorhaben der neuen Bundesländer offiziell eingeweiht. Das Zellstoffwerk in Arneburg bei Stendal ging nach zweijähriger Bauzeit vollständig in Betrieb. Zur feierlichen Eröffnung der Milliardeninvestition des nordamerikanischen Konzerns Mercer kamen hochrangige Gäste aus Politik und Wirtschaft in die Altmark. Das Werk erwies sich als die erhoffte Initialzündung für Firmenansiedlungen und Schaffung von Arbeitsplätzen. Der Geschäftsführer der heutigen Mercer Stendal GmbH, André Listemann, kann stolz vom modernsten Zellstoff-Produktionsstandort im Mercer-Konzern berichten.
Rund 490 Mitarbeiter, darunter 30 Auszubildende, sind heute im Werk beschäftigt. Mit den Tochterfirmen Mercer Logistik und Mercer Holz zählt der Standort 600 Beschäftigte. Hinzu kommen Zulieferer und Versorger. Gegenüber dem Werk errichtete die italienische Sofidel-Gruppe eine Papierfabrik. Pro Tag verarbeitet Mercer ca. 9.000 Festmeter Nadelholz. Der Einzugsbereich beträgt 200 Kilometer. Um den enormen Bedarf abzudecken, werden die Anlagen täglich von vier Eisenbahnzügen (rund 5.200 Festmeter) und zirca einhundert Lastwagen (etwa 4.900 Festmeter) mit Holz beliefert. Die jährliche Produktionskapazität von sogenanntem Kraftzellstoff beträgt 740.000 Tonnen. Außerdem werden bei Mercer diverse Biochemikalien (Tallöl, Terpentin, Methanol) hergestellt.
Das klingt nicht nur nach Chemie, sondern ist es auch, wie Listemanns detaillierte Erklärung des technologischen Ablaufes der Papierherstellung belegt. Und dieser ist sehr energieintensiv. Mit dem werkseigenen Biomassekraftwerk, das größte seiner Art in Deutschland, kann mit einer Leistung von 148 Megawatt nicht nur der eigene Stromverbrauch komplett ökologisch gedeckt werden. Der Überschuss reicht sogar, um weitere Verbraucher in der Umgebung zu versorgen. „Wir sehen uns aber dennoch nicht als Stromanbieter“, stellt der Geschäftsführer klar.
Denn die für die Energiegewinnung verwendeten Holzreststoffe aus der Zellstoffproduktion sind eigentlich zu schade zum Verbrennen. Daher wird an Verfahren getüftelt, einen möglichst großen Anteil davon ebenfalls stofflich zu nutzen. „Wir sind dabei, uns zu einer Bioraffinerie zu entwickeln“, beschreibt der Chef das Ziel. Dabei gehe es um die Verwertung der wertvollen Ressource Holz als zukünftiger Rohstoff für biobasierte Vorprodukte in einer defossilierten Industrie im Rahmen des technologisch Möglichen. Ein Beispiel dafür sind Biokraftstoffe. Wichtig für eine ausgeglichene CO2-Bilanz sei es, das Gleichgewicht zwischen dem Nachwachsen und dem Verbrauch des Rohstoffes zu wahren.
Dass der Bedarf nach Papier auch angesichts zunehmender Digitalisierung und wachsenden ökologischen Denkens einbrechen könnte, fürchtet Listemann nicht. Zwar schrumpfe der Markt an sogenanntem grafischem Papier (zum Schreiben oder für Druckerzeugnisse), dafür sei Tissue-Papier weltweit zunehmend gefragt. Besonders in Asien fänden Hygiene-Papiere reißenden Absatz. Hinzu kämen Verpackungspapiere, die durch den Versandboom überall gebraucht würden. Schon jetzt gehe ein Großteil der Produktion in den Export. Setzt sich dieser Trend wie prognostiziert fort, und davon geht der Geschäftsführer aus, ist ihm auch für die kommenden Jahrzehnte um den Standort Arneburg nicht bange.
Autor: Christian Wohlt