Prüfsteine der Wirtschaft zur Wahl


Zur hessischen Landtagswahl gibt der Hessische Industrie- und Handelskammertag (HIHK) der Politik Prüfsteine der Wirtschaft auf den Weg – Handlungsfelder und Positionen, verabschiedet von knapp 600 Unternehmerinnen und Unternehmern in allen Regionen Hessens, aus Betrieben aller Branchen und Größen. HIHK-Präsident Eberhard Flammer und HIHK-Geschäftsführer Robert Lippmann stellen sie vor.

Wie steht Hessens Wirtschaft momentan da und was bringt sie in der nächsten Legislaturperiode voran?
Flammer: Durch die Tüchtigkeit unserer Unternehmer und ihrer Mitarbeiter gedeiht Hessens Wirtschaft – wovon alle Menschen im Land profitieren. Die anhaltende Rekordbeschäftigung ist dafür nur einer von mehreren Indikatoren. Wir wünschen uns, dass die eingenommenen Steuern strategisch vernünftig und nachhaltig in Bildung und Infrastruktur investiert werden, so dass wir in Hessen wettbewerbsfähig bleiben.
In seinen Wahlprüfsteinen nennt der HIHK konkrete Schritte, die Zukunftsfähigkeit Hessens zu sichern – auf welcher Basis wurden diese formuliert?
Lippmann: Die Wahlprüfsteine des HIHK sind eine Verdichtung der Rückmeldungen und Herausforderungen, die die hessischen Unternehmen im Kontakt mit den zehn Industrie-und Handelskammern im Land geäußert und formuliert haben, kombiniert mit der fachlichen Expertise der IHK-Mitarbeiter. Das Ganze haben wir diskutiert, intern und mit unseren Mitgliedern. Am Ende hat ein Votum von insgesamt 590 Unternehmern und Unternehmerinnen aus allen Regionen und Branchen in den IHK-Vollversammlungen zu den Wahlprüfsteinen geführt, die jetzt vorliegen.
„Wirtschaft braucht Fläche“ heißt eines Ihrer Handlungsfelder für die Wirtschaftspolitik – welche Lösungswege schlagen Sie angesichts der zunehmenden Flächenkonkurrenz vor?
Flammer: Für die Entwicklung der Unternehmen in Hessen sind passende Gewerbe- und Industrieflächen am richtigen Standort entscheidend. Für Betriebserweiterungen und Neuansiedlungen müssen ausreichend attraktive Gewerbeflächen bereitstehen. Dabei geht es nicht nur um das Vorhandensein der Flächen an sich – ausschlaggebend ist das Nutzungsrecht, also die Frage, ob das Grundstück zum Beispiel für einen Fabrikbetrieb oder eine entsprechend dichte Bürobebauung verwendet werden darf. Dort wo Konflikte drohen, muss die Politik mit Planungsinstrumenten auch die Interessen der Wirtschaft schützen. Überdehnte Anliegerrechte führen immer wieder zur Abwanderung von Betrieben und Arbeitsplätzen oder verhindern Erweiterungen und erfolgreiche Ansiedelung.
Lippmann: Die Reaktivierung oder Umnutzung von Altflächen ist zuerst die beste Lösung, wird in Summe aber nicht ausreichen, um den Flächenbedarf insgesamt zu decken. Zudem passen Lage und Qualität der Flächen hier nicht immer zu den Anforderungen der Unternehmen. Deswegen ist es wichtig, dass Zielgrößen zur Flächeninanspruchnahme nicht zu einer Blockade der wirtschaftlichen Entwicklung führen.
Viele Unternehmen sehen im Fachkräftemangel das größte Risiko für ihre Geschäftsentwicklung. Dabei finden sie immer weniger Auszubildende, um für den eigenen Fachkräftenachwuchs zu sorgen. Wie kann die Politik die duale Ausbildung in Hessen stärken?
Flammer: Wir, die Wirtschaft, müssen gemeinsam mit der Politik das Ansehen der dualen Berufsausbildung hervorheben und steigern. Eine duale Berufsausbildung ist genauso viel Wert wie eine akademische Bildung. Die Politik kann das eindeutig fördern durch eine nachhaltig bessere Ausstattung der beruflichen Schulen – da werden die Kommunen bislang vom Land alleine gelassen, während Landesmittel fast ausschließlich in die Hochschulen fließen.
Lippmann: Parallel dazu sind die Unternehmen gefordert, noch stärker für sich, ihr Ausbildungsangebot und die damit verbundenen Karrierechancen zu werben. Mit welchen Instrumenten das gelingen kann, dazu beraten die IHKs. Die vielfältigen Möglichkeiten und Angebot müssen von den Betrieben aber auch bewusst genutzt werden.
Sie kritisieren, dass die Steuerbelastung für Unternehmen in den hessischen Kommunen immer weiter steigt. Wo sehen Sie die Landesregierung gefordert?
Lippmann: Ein erster Schritt wäre ein Moratorium für den Nivellierungssatz der Gewerbesteuer. Das nimmt den Kommunen den Druck, regelmäßig an der Steuerschraube zu drehen und eröffnet einem echten Standortwettbewerb neue Chancen.
Flammer: Das Versprechen „Mit uns keine Steuererhöhungen“ wurde und wird bei kommunalen Steuern ins Absurde geführt. Eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen und mehr Verantwortung vor Ort nach dem alten und geschätzten Subsidiaritätsprinzip wären geeignete Antworten.
Die Mobilität von Menschen und Gütern ist entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts: Welche Schwerpunkte sollten hier aus Sicht der hessischen Unternehmen gesetzt werden?
Flammer: Die Verkehrsinfrastruktur ist in den vergangenen Jahrzehnten bei weitem nicht mit der wirtschaftlichen Entwicklung mitgewachsen. Wir brauchen eine nach Kapazität großzügige Erweiterung bei Straße und Schiene, auch, aber nicht nur rund um Frankfurt. Das Land muss in seiner gesamten Nord-Süd-Erstreckung großzügig und hochfrequent erschlossen werden durch einen komplett vierspurigen Bahnausbau von Darmstadt bis Kassel. Daneben ist eine zeitnahe Fertigstellung der zahlreichen Autobahn- und Bundesstraßenprojekte im ganzen Land notwendig. Das alles führt zur besseren Vernetzung des Bundeslandes Hessen und zu erhöhter Produktivität.
Lippmann: Klar ist, dass hierfür mehr Geld in die Verkehrsinfrastruktur fließen muss – und zwar dauerhaft. Auch der Aufbau zusätzlicher Planungskapazitäten wird nur gelingen, wenn es unabhängig von Wahlen ein belastbares politisches Bekenntnis zu einem „Mehr an Infrastruktur“ gibt.
Wie sieht der HIHK seine Rolle mit Blick auf die künftige Landesregierung?
Flammer: Wir bündeln und vertreten die Interessen unserer zehn Industrie- und Handelskammern und ihrer 400.000 Mitgliedsbetriebe gegenüber der hessischen Landespolitik. Dazu schalten wir uns im Interesse der hessischen Wirtschaft frühzeitig in politische Diskussionen und Planungsprozesse ein und setzen in der Landeshauptstadt die Themen auf die Agenda, die für unsere Unternehmen bedeutend sind.
Die Fragen stellte Melanie Dietz, IHK Wiesbaden
Foto: Paul Müller /HIHK
Hessischer Industrie- und Handelskammertag
Gegründet am 15. Dezember 2017 ist der Hessische Industrie- und Handelskammertag die Interessenvertretung für die zehn hessischen Industrie- und Handelskammern mit Sitz in Wiesbaden. Gegenüber der Landespolitik bündelt der HIHK die Anliegen der über 400.000 Mitgliedsbetriebe und bildet bei Planungsprozessen und Diskussionen die Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft. Geführt wird der HIHK vom ehrenamtlichen Präsidenten Eberhard Flammer (Präsident der IHK Lahn-Dill), den Vizepräsidenten Prof. Dr. Kristina Sinemus (Präsidentin IHK Darmstadt Rhein Main Neckar) und Prof. Wolfram Wrabetz (stellvertretender Präsident der IHK Frankfurt am Main) sowie dem Geschäftsführer Robert Lippmann.

Zur Person


Eberhard Flammer
Der 1953 geborene Diplomkaufmann ist geschäftsführender Gesellschafter der Elkamet Kunststofftechnik GmbH, die heute rund 1.100 Mitarbeiter an Standorten in Biedenkopf und Dautphetal (Mittelhessen), in Tschechien, in den USA und in China beschäftigt. Das ehrenamtliche Engagement gehört für Flammer von Anfang an zu seiner beruflichen Laufbahn. 2001 wurde er zum Vizepräsident der IHK Lahn-Dill gewählt, seit 2014 ist er deren Präsident. Im März 2017 übernahm er den Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern bevor er 2018 Präsident des neu gegründeten Hessischen Industrie- und Handelskammertages wurde.
Robert Lippmann
Der 1984 geborene Diplomvolkswirt ist seit Juni Geschäftsführer des Hessischen Industrie- und Handelskammertags. Vor seinem Wechsel nach Wiesbaden leitete er bei der IHK Koblenz als Geschäftsführer die Bereiche Standortpolitik und International. Weiterhin war er seit 2010 als Wirtschaftspolitischer Sprecher der IHK-Arbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz für die Erarbeitung und Koordinierung der wirtschaftspolitischen Positionierung der vier rheinland-pfälzischen IHKs verantwortlich.