12. Mai 2022

Ukrainekrise und Inflation stoppen Konjunkturerholung

Für die Aufwärtsentwicklung der heimischen Wirtschaft nach dem Coronatief hat es einen Abbruch gegeben. Der Krieg in der Ukraine, die von der EU gegen Russland verhängten Sanktionen, Lieferprobleme und extreme Preissteigerungen kühlen die Konjunktur empfindlich ab. Die neuen Belastungen legen sich auf eine deutsche Wirtschaft, die nach Beginn der Coronapandemie noch nicht ins gewohnte Gleichgewicht gefunden hat.
Der IHK-Konjunkturklimaindex für den heimischen Wirtschaftsraum erfährt zum Frühjahr 2022 einen starken Rückgang. Nach der ersten Erholung von den Auswirkungen der Coronapandemie fällt er mit 96 Punkten wieder unter die 100-Punktelinie und damit in den Bereich einer eher negativen Gesamtstimmung. Zum Jahresbeginn waren noch 112 Punkte erreicht worden. Deutschlandweit wurden die Wachstumsprognosen inzwischen deutlich heruntergefahren. Bei einem Gaslieferstopp aus Russland wäre sogar eine Rezession zu befürchten. Die Verunsicherung mit Blick auf eine mögliche weitere Eskalation des Kriegsgeschehens und dessen Folgen sorgen für Pessimismus. Der Arbeitsmarkt ist immerhin noch stabil.
Bei den besonders von Corona betroffen heimischen Unternehmen (Gastgewerbe und personenbezogene Dienstleister) gab es zwar seit Jahresbeginn eine deutliche Erholung, aber bei den Unternehmen der Bereiche Industrie, Bau, Verkehr und Handel zeigt die jüngste Konjunkturumfrage einen deutlichen Einbruch.
In der regionalen Wirtschaft insgesamt bewerten gegenüber dem Jahresanfang erheblich weniger Unternehmen (26 Prozent) ihre Geschäftslage aktuell noch mit „gut“. 9 Prozent werten „schlecht“, 65 Prozent „befriedigend“. Auf die weitere Entwicklung wird mit deutlichem Pessimismus geblickt: So rechnen 36 Prozent der Betriebe mit einer Verschlechterung der Geschäftslage, 14 Prozent sehen einer Besserung entgegen, 50 Prozent der Betriebe erwarten eine gleichbleibende Entwicklung bzw. sind unsicher, ob es besser oder schlechter wird.
Steigende Preise
„Vor allem die extremen Preissteigerungen signalisieren aus dem Gleichgewicht geratene Märkte“, sagt IHK-Präsident Ulrich Heep. „Die Preise für Rohstoffe und Vorprodukte haben in vielen Bereichen der Wirtschaft problematisch angezogen und die Preislawine wälzt sich, verstärkt durch höhere Energiekosten bei der Herstellung und dem Transport, durch die Herstellungs- und Lieferstufen bis zum Endverbraucher“, so Heep. Hinzu komme aufgrund des Krieges und der Sanktionspolitik ein nochmaliger Preisauftrieb im Energiesektor. Dieser resultiere auch aus Befürchtungen und Spekulationen, dass sich das Energieangebot verknappen könnte.
Diese Preissteigerungen im Einkauf können die Betriebe nicht alleine durch Kostensenkungsprogramme auffangen. 45 Prozent der heimischen Unternehmen geben in der aktuellen Umfrage an, die zu verzeichnenden Kosten- und Preissteigerungen an ihre Kunden weitergegeben zu haben, 27 Prozent wollen dies noch tun, 8 Prozent sind noch in Überlegungen dazu.
Für die Preissteigerungen gibt es verschiedene Ursachen: Die coronabedingten Angebotsstörungen seit 2020 sind auf eine staatlich gestützte Nachfrage und einen von der EZB gesteuerten Liquiditätszufluss getroffen. Hinzu kommt seit 2021 ein Wertverlust des Euro gegenüber dem Dollar, welcher die Einfuhren verteuert und zusätzliche staatliche Energieabgaben. Infolgedessen wurden bereits im Februar 2022, vor Ausbruch des Krieges, bei den Erzeugerpreisen eine Inflationsrate von 25,9 Prozent ermittelt, der höchste Wert seit Gründung der Bundesrepublik.
Risiken für die weitere Entwicklung
Hatte man Anfang des Jahres gehofft, dass bis Ende 2022 wieder eine Wirtschaftsleistung wie vor Corona erreicht und man auf einen stabilen Wachstumspfad einschwenken würde, wird diese Erwartung mehr und mehr in Frage gestellt. Zu viele Risiken tun sich auf, welche mit der demografischen Entwicklung, zunehmend staatlichen Eingriffen und sich verschlechternden weltpolitischen Rahmenbedingungen zu tun haben.
Von den regelmäßig bei den Unternehmen abgefragten Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung hat sich seit Anfang 2021 das Thema der Energie und Rohstoffpreise immer mehr ganz nach vorn geschoben: 81 Prozent aller Unternehmen sehen aktuell hier ein Risiko für ihre wirtschaftliche Entwicklung. Noch nie war ein Risiko in dieser alarmierenden Breite benannt worden.
An zweiter Stelle steht der sich immer mehr verschärfende Fachkräftemangel. Inzwischen macht sich jedes zweite Unternehmen hier Sorgen bzw. sieht seine wirtschaftliche Entwicklung eingeschränkt. Vor allem Betriebe im Bereich Bau und Verkehr sehen sich betroffen. Stark zugenommen hat die Zahl der Unternehmen (42 Prozent), die steigende Arbeitskosten als Risiko benennen. Die außergewöhnlichen Preissteigerungen in großer Breite und auf vielen Stufen bzw. der Kaufkraftverlust der Verbraucher könnten auch negative Auswirkungen auf die Inlandsnachfrage haben, worüber sich ebenfalls 42 Prozent der Unternehmen, vor allem aus dem Bereich des Handels, Sorgen machen.
Die politischen Rahmenbedingungen werden aktuell von fast jedem zweiten heimischen Unternehmen als problematisch betrachtet. In den offenen Antworten beklagen viele Betriebe n vor allem eine Überregulierung der Wirtschaftsabläufe bzw. der Unternehmen. Gestellt wird die Frage, wie unter diesen Bedingungen wieder mehr heimische Produktion und Unabhängigkeit vom Ausland möglich sein soll.
Auch der Inflationsgefahr wird aus Sicht heimischer Unternehmen nicht genügend entgegengetreten, eine expansive Geldpolitik fördere die Teuerungstendenzen. Andererseits befürchten die Betriebe steigende Kapitalmarktzinsen. Kritisiert werden zudem die staatlich gesteuerten Energiepreiserhöhungen. Bei einigen Unternehmen wächst angesichts der krisenbedingten Haushaltsbelastungen auch die Sorge vor Steuererhöhungen und Kürzung der staatlichen Investitionen.
Für die Konjunkturumfrage werden dreimal im Jahr rund 500 Mitgliedsunternehmen der IHK Limburg aus den verschiedenen Branchen befragt. Der Konjunkturklimaindex setzt sich zusammen aus der Beurteilung der aktuellen und der zukünftigen Geschäftslage. Bei einem Wert unter 100 kann man von einer negativen Gesamtstimmung sprechen, ab 100 Punkten von einer befriedigenden Beurteilung, ab 120 Punkten von einer guten, ab 130 Punkten von einer sehr guten Beurteilung.