Standortpolitik für Mittelhessen – Ministerpräsident zu Gast

Über die Standortpolitik für die Wirtschaft in Mittelhessen und Hessen haben Ministerpräsident Boris Rhein und der CDU-Landtagsabgeordnete Heiko Kasseckert bei einem Gesprächsdialog des IHK-Verbunds Mittelhessen in der Limburger Stadthalle mit Vertretern der regionalen Wirtschaft diskutiert.
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein war auf Einladung der IHK Limburg zu einem Gesprächsdialog des IHK-Verbunds Mittelhessen (Zusammenschluss der Industrie- und Handelskammern, Gießen-Friedberg, Kassel-Marburg, Lahn-Dill und Limburg) am 13. Juli 2023 in die Limburger Stadthalle gekommen. Zusammen mit Heiko Kasseckert, wirtschaftspolitischer Sprecher der hessischen CDU-Landtagsfraktion, sprach er mit IHK-Präsident Ulrich Heep und Hauptgeschäftsführerin Monika Sommer über die Wirtschaftspolitik für den Standort Mittelhessen.
Moderiert wurde die Gesprächsrunde von Dr. Uwe Röndigs, Chefredakteur der Zeitungen Nassauische Neue Presse und Weilburger Tageblatt. Unter den Gästen waren neben Unternehmerinnen und Unternehmern aus der Region auch Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich, der Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch, der Landtagsabgeordnete Christian Wendel und Dietmar Persch, Hauptgeschäftsführer der IHK Lahn-Dill.
Starker Standort – stagnierende Wirtschaft
IHK-Präsident Heep betonte in seiner Begrüßung die Stärke Mittelhessens als Standort mit tollen Bildungsstätten und vielfältigen Jobmöglichkeiten sowie einer innovativen Wirtschaft mit vielen erfolgreichen Unternehmen. „Die Region mit ihren Vorzügen, ihrer Nähe zum Rhein-Main-Gebiet und ihrer eigenen Identität müssen wir als Standort zum Arbeiten und Leben weiter stärken“, so Heep.
Jedoch komme die Wirtschaft in der Region wie in ganz Deutschland derzeit nicht richtig in Fahrt, betonte der IHK-Präsident. Die konjunkturelle Lage sei trübe und auch die Erwartungen versprechen nicht viel Licht. „Anzeichen für einen breiten Aufschwung oder neue Dynamik fehlen, ein Befreiungsschlag ist nicht in Sicht“, so Heep. Was es brauche, sei eine Wirtschaftspolitik, die den Unternehmen mehr Verlässlichkeit gebe sowie vor allem freieren Gestaltungsraum.
Zugleich stünden die Unternehmen vor zahlreichen Herausforderungen eines strukturellen Wandels wie der Frage, ob und wie die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft gelingen kann. Eine Bremse auf dem Weg in die Zukunft sei zudem eine überbordende staatliche Bürokratie mit ihren unzähligen Regulierungen. Das von der Bundesregierung ausgerufenen neue Deutschlandtempo könne man in der Wirtschaft noch nicht erkennen, schrieb der IHK-Präsident der Politik ins Stammbuch.
Für einen wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort Mittelhessen wünschte sich Heep eine gute Wirtschaftspolitik. Durch entsprechende Rahmenbedingungen gestärkte Unternehmen seien ein Garant für sichere Arbeitsplätze, Steuereinnahmen, Wachstum und Wohlstand. Gemeinsam müssten Politik und Wirtschaft aktiv werden, damit der wirtschaftliche Aufschwung bald und kraftvoll gelinge.
Wirtschaftspolitik für Mittelhessen
„Die Stimmung ist derzeit noch besser als die tatsächliche Lage der Wirtschaft“, beschrieb der Ministerpräsident in seinem Impulsvortrag seine Wahrnehmung einer sich angesichts multipler Krisen eintrübenden wirtschaftlichen Situation. Diese Problemlage treffe auf eine Bundesregierung, die im Interesse Deutschlands als Industrienation noch stärker stabilisieren und führen müsse.
Mit Blick auf Hessen beschrieb Rhein verschiedene Aspekte der Wirtschaftspolitik: Wichtig auf dem Weg hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft sei, Ökologie und Ökonomie in Einklang zu bringen und nicht gegeneinander auszuspielen. Hinsichtlich der Verkehrsinfrastruktur betonte der Ministerpräsident, dass das Land bereits Rekordsummen investiere, dass jedoch auch vieles noch besser werden könne. Genauso werde auch der ÖPNV gestärkt. Bei der Digitalisierung sei die Lage besser als man manchmal denke. So gehe die Versorgung mit Glasfaser mit großem Tempo voran und Hessen sei in Deutschland zu einem Vorreiter geworden. Wichtig sei zudem, die Schuldenbremse weiter einzuhalten und Schulden zurückzuführen. Das sei nicht nur eine Frage der Generationengerechtigkeit, auch sei es für die Wirtschaft und die Bevölkerung mit Blick auf die Inflation von besonderem Interesse. Denn der größte Treiber der Inflation sei der Staat, wenn er Schulden in öffentlichen Haushalten mache.
Technologieoffenheit
„Wenn ich mit Unternehmerinnen und Unternehmern in Hessen spreche, dann nennen sie mir vor allem immer wieder drei Hauptthemen“, sagte der Ministerpräsident „und das sind Energie, Fachkräfte und Bürokratie.“
„Ich glaube an die erneuerbaren Energien, ich glaube aber auch an viele andere Energiequellen“, so Rhein. In der Energiegewinnung brauche es mehr Offenheit für Neues auch mit Windkraft, Photovoltaik oder Wasserstoff. Ein Beispiel sei auch die laserbasierte Kernfusion und der Einstieg in diese Zukunftstechnologie.
„Wir brauchen mehr Technologieoffenheit und -begeisterung sowie Forschertum und Fortschrittsglauben“, so Rhein. Deutschland sei nicht nur das Land der Dichter und Denker, sondern auch das der Ingenieure. Die Politik sei nicht der richtige Partner, um ideologisch zu bestimmen, was Forscher forschen und Ingenieure entwickeln sollen.
Bei der Mobilität sprach sich der Ministerpräsident für einen leistungsfähigen ÖPNV aus sowie für einen Ausbau der Schiene. Die Zukunft Deutschlands liege jedoch nicht im Lastenrad, so Rhein. Vielmehr sei vor allem Hessen, auch mit seiner starken Zuliefererindustrie etwa in Mittelhessen, ein Autoland. Das Auto gehöre zur Identität des Landes und sei insbesondere im ländlichen Raum ein Garant für Mobilität und ein Versprechen Freiheit. Der Ansatz, den Verbrenner zu verbieten, sei nicht zielführend, vielmehr sollten zum Schutz des Klimas synthetische Treibstoffe eingesetzt werden. Ansonsten drohe der Verlust deutschen Ingenieurwissens, eine Deindustrialisierung des Wirtschaftsstandortes Hessen und eine Abhängigkeit von Ländern wie China.
Fachkräfte gewinnen
Auf dem Weg in eine solche Zukunft benötige die Wirtschaft die entsprechenden Fachkräfte, betonte der Ministerpräsident. Dazu brauche es einen Dreiklang aus Bildung, Hebung von Reserven sowie qualifizierter Einwanderung. Insbesondere einer attraktiven dualen Ausbildung und der Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung komme dabei eine besondere Rolle zu.
Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch, dass junge Fachkräfte mit ihren Familien eine Chance haben, gut zu leben und Eigentum begründen zu können. Dazu gehöre der Traum eines eigenen Hauses. Dazu müsse die Grunderwerbssteuer beim privaten Ersterwerb eines Eigenheims entfallen. „Das würde die Nachfrage steigern, Kommunen würden Grundstücke und Bebauungspläne ausweisen und es würde die Bauwirtschaft ankurbeln“, sagte Rhein.
Weniger Bürokratie
„Auch wenn bei der Bürokratie die meisten Regelungen aus Brüssel und Berlin kommen, so können wir auch in Hessen etwas dafür tun, die Unternehmen zu entlasten, etwa indem für jede neue Regelung woanders zwei abgebaut werden“, schlug der Ministerpräsident vor. Zugleich müssten nicht europäische Vorgaben überkorrekt umgesetzt werden. Die Bürokratie schnüre den Leuten die Luft ab und verursache enorme Kosten für die Unternehmen. Beim Finden von Lösungen müssten Politik und Wirtschaft noch enger zusammenarbeiten.
Starkes Mittelhessen
Vor diesem Hintergrund betonte Heiko Kasseckert, dass die Wirtschaft in Mittelhessen höchst erfolgreich sei. Sie sei zugleich Teil der erweiterten Metropolregion FrankfurtRheinMain biete aber auch einen attraktiven Raum mit viel Lebensqualität, Freizeitflächen und anderen weichen Standortfaktoren zum Leben und Arbeiten.
Diskutiert wurde, ob es in der mittelhessischen Region, mit ihrer Industrie die Werkbank Hessens, angesichts aktueller Rahmenbedingungen wie der Rezession besondere Gefährdungen für den Raum sowie Risiken für kleine und mittlere Unternehmen gebe. Der Landtagsabgeordnete zeigte sich besorgt, dass angesichts verschärfter Standortfaktoren viele größere Unternehmen vermehrt im Ausland investieren. Ein wesentliches Hemmnis seien etwa die komplizierten und langwierigen Genehmigungsverfahren. Wichtig sei eine Hilfe vor allem für die kleineren Betriebe, die nicht wie die großen abwandern könnten.
Für eine starke regionale Wirtschaft sprach sich IHK-Präsident dafür aus, den Know-how-Abfluss in den Unternehmen einzudämmen. So sollten Mitarbeiter in ihren Betrieben auch nach dem Renteneintritt freiwillig weiterarbeiten können – das sei ein Gewinn für beide Seiten. Wichtig sei auch die Zusammenarbeit mit den Hochschulen und den Wissenstransfer weiter auszubauen. Es brauche gute Bedingungen für kluge Köpfe. Von großer Bedeutung sei zudem eine ausgebaute Infrastruktur und ein verlässlicher ÖPNV, wie Heep anhand eigener Erfahrungen schilderte.
Gemeinsam nach vorne
„Insgesamt brauche es mehr ‚Hessenmut‘, um gemeinsam nach vorne zu gehen. Denn wenn es der Wirtschaft nicht gut geht, geht es auch dem Land nicht gut“, so Heep. Für die Bewältigung der wirtschaftlichen Herausforderungen sei das gemeinsame Agieren aller Akteure wichtig, betonte auch Ministerpräsident Rhein. Dem engen Schulterschluss und der Kommunikation der Politik mit der Wirtschaft und den Industrie- und Handelskammern komme dabei eine besondere Rolle zu. Nur als Partner und mit dem Austausch von Positionen könnten beide gemeinsam den Standort Deutschland wie Hessen und Mittelhessen voranbringen. Dabei sei es im Sinne der sozialen Marktwirtschaft wichtig, weniger politisch in den Markt einzugreifen, sondern Leitplanken für Freiräume und Unternehmerfreundlichkeit zu setzen.