Insolvenzrecht

Insolvenzanfechtung

1. Allgemeines

Im Vorfeld der drohenden Insolvenz wird der in Schwierigkeiten geratene Schuldner oftmals von einzelnen Gläubigern aufgefordert, zu ihren Gunsten Vermögensverschiebungen vorzunehmen. Eine solche Bevorzugung bestimmter Gläubiger widerspricht dem Zweck des Insolvenzverfahrens, nämlich alle Gläubiger gleichmäßig zu befriedigen. Denn durch solche Verfügungen des Schuldners wird sein Vermögen kleiner und damit steht auch weniger Haftungsmasse für die übrigen Gläubiger zur Verfügung.
Mit der Anfechtungsvorschriften der Insolvenzordnung (§§ 129 ff. InsO) hat der Insolvenzverwalter unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, die Rechtshandlungen anzufechten, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen.
Was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert oder aufgegeben ist, muss zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden.
Die Insolvenzanfechtung führt also nicht zur Unwirksamkeit der angefochtenen Rechtshandlung. Wird z. B. die Abtretung einer Forderung erfolgreich angefochten, hat der Anfechtungsgegner die Forderung rückabzutreten. Solange dies nicht erfolgt ist, bleibt er Inhaber der Forderung. Die insolvenzrechtliche Anfechtung einer auf Abschluss eines gegenseitiges Vertrages gerichtete Willenserklärung führt z. B. dazu, dass der Vertrag als nicht bestehend behandelt wird.

2. Die einzelnen Anfechtungstatbestände

Die Anfechtungstatbestände sind in den §§ 130-136 InsO geregelt.

2.1. Anfechtung bei kongruenter Deckung nach § 130 InsO

Die Anfechtung gem. § 130 InsO erfasst kongruente Deckungen, das heißt eine Gewährung von Befriedigungen oder Sicherheiten an Gläubiger, die diese genau so nach Art und Zeitpunkt beanspruchen können. Bezahlt also beispielweise der Schuldner eine fällige Rechnung, so liegt eine kongruente Deckungshandlung vor, die potenziell einer Anfechtung nach § 130 InsO unterliegt.
Anfechtbar sind daher Handlungen
  • die bis 3 Monate vor Insolvenzantragstellung vorgenommen wurden,
  • bei positiver Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder
  • bei Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen.
Die Beweislast für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen liegt grundsätzlich beim Insolvenzverwalter. Eine Ausnahme besteht aber bei einer Anfechtung gegenüber Personen, die dem Insolvenzschuldner zur Zeit der Handlung nahe standen. Wer nahe stehende Person ist, definiert § 138 InsO. Gegenüber diesem Personenkreis wird die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags vermutet, § 130 Abs. 2 InsO.

2.2. Anfechtung bei inkongruenter Deckung nach § 131 InsO

Die Anfechtung nach § 131 InsO greift im Fall einer inkongruenten Deckung durch, also dann, wenn einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht wird, die er nicht oder nicht in der Art/Zeit beansprucht werden konnte, z.B.:
  • Zahlung aufgrund eines Zahlungstitels (bspw. vollstreckbarer Mahnbescheid);
  • „freiwillige“ Leistung unter dem Druck der drohenden Zwangsvollstreckung.
Anfechtbar sind Handlungen
  • die bis zu 3 Monate vor Insolvenzantragstellung vorgenommen wurden,
  • die bei objektiver Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zum Zeitpunkt der Handlung vorgenommen wurden oder
  • bei Kenntnis der Gläubigerbenachteiligung bzw. von Umständen, die hierauf schließen lassen.
Dabei sind bis zu einem Monat vor dem Eröffnungsantrag Rechtshandlungen ohne weitere Voraussetzungen anfechtbar, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
Dagegen besteht für die inkongruenten Deckungen, die innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag erfolgten, keine unwiderlegliche Vermutung für eine Krise und Kenntnis davon. So ist eine Rechtshandlung im zweiten oder dritten Monat vor Insolvenzantragstellung nur anfechtbar, wenn in diesem Zeitraum bereits objektiv die Zahlungsunfähigkeit beim Schuldner eingetreten war, was vom Insolvenzverwalter zu beweisen ist. Die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis davon werden wegen der besonderen Verdächtigkeit inkongruenten Erwerbs wiederum unwiderleglich vermutet.
Lag objektiv noch keine Zahlungsunfähigkeit vor, ist eine Rechtshandlung während des zweiten und dritten Monat trotzdem anfechtbar, wenn der Anfechtungsgegner wusste, dass dadurch die Insolvenzgläubiger benachteiligt werden, § 131 Abs. 1 Ziff. 3 InsO. Die Beweislast dafür trägt der Insolvenzverwalter.

2.3. Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO

Nach § 133 Abs. 1 InsO sind Rechtshandlungen anfechtbar
  • die in den letzten 10 Jahren vor dem Eröffnungsantrag oder danach vorgenommen wurden,
  • bei Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners,
  • bei Kenntnis von drohender Zahlungsunfähigkeit des Anfechtungsgegners, wenn die Zahlung die Gläubiger benachteiligt oder
  • bei Kenntnis von Umständen, die zwingend auf eine (drohende) Zahlungsunfähigkeit hinweisen (st. Rechtsprechung).
Der für die Insolvenzverfahren, die nach dem 5. April 2017 eröffnet worden sind, geltende § 133 Abs. 2 InsO sieht eine Verkürzung der Anfechtungsfrist für kongruente und inkongruente Deckungshandlungen (s.o. 2.1, 2.2) von 10 auf 4 Jahre vor.
Die Beweislast für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und für die Kenntnis des Anfechtungsgegners liegt beim Insolvenzverwalter. Danach wird allerdings die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Vorsatz des Schuldners (schon) vermutet, wenn er wusste, dass die Zahlungsfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligt. Diese Vermutung gilt entgegen bisheriger Rechtsprechung nun in der Regel nicht mehr hinsichtlich des Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners selbst (BGH, Urteil vom 6.5.2021 – IX ZR 72/20). Hier muss eingetretene Zahlungsunfähigkeit vorliegen. Insoweit wird dem Insolvenzverwalter künftig mehr Aufwand bei der Beweisführung zugemutet werden (siehe 3. a)).
Auch reicht nach dem neu eingefügten § 133 Abs. 3 InsO bei konkruenten Deckungen im Falle der Vorsatzanfechtung auch das Wissen des Anfechtungsgegners um drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht mehr aus; nötig ist vielmehr die Kenntnis von der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit, was die Anfechtung wegen der Beweisschwierigkeiten beim Insolvenzverwalter erheblich erschweren kann. Außerdem ist weder Zahlungsvereinbarung noch Zahlungserleichterung allein ein Indiz für Kenntnis des Gläubigers von Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Im Gegenteil wird dann vermutet, dass er die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht (sic!) kannte.

2.4. Bargeschäftsausnahme (§ 142 InsO)

Unter dem Gesichtspunkt des Bargeschäfts werden Leistungen der Anfechtung entzogen, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in das Schuldnervermögen gelangt ist.
Solche Rechtshandlungen sind nur dann anfechtbar, wenn die Voraussetzungen des § 133 InsO gegeben sind und der andere Teil erkannt hat, dass der Schuldner unlauter handelte, d.h. in erster Linie andere Gläubiger gezielt schädigen wollte.
Das Bargeschäftsprivileg nach § 142 InsO bedarf die Unmittelbarkeit des Leistungsaustausch, die vorliegt, wenn ein solcher Austausch in einem engen zeitlichen Zusammenhang erfolgt; bei der Anfechtung von Lohnzahlungen ist ein enger zeitlicher Zusammenhang gegeben, wenn der Zeitraum zwischen Arbeitsleistung und Gewährung des Arbeitsentgelts drei Monate nicht übersteigt.

3. Insolvenzanfechtung im Lichte der Rechtsprechung

Da die Insolvenzanfechtung im Spannungsfeld zwischen dem Vertrauen des späteren Anfechtungsgegners auf die Rechtsbeständigkeit seines Erwerbs und einem gerechten Ausgleich zugunsten der Gläubigergesamtheit steht, versuchten die Gerichte dieser Interessenkonflikt stets zu lösen, was zu einer fast unübeschaubaren Anzahl von Entscheidungen geführt hat, von denen nur einige exemplarisch zur Veranschaulichung der Prolematik im Folgenden aufgeführt sind.
Die Rechtsprechung beschäftigt sich bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit bzw. der Zahlungseinstellung als stärksten Form der Zahlungsunfähigkeit bei der Feststellung der Kenntnis des Anfechtungsgegners von der  Zahlungsunfähigkeit usw. mit  verschiedenen Indizien. Diese Indizien können aber nicht pauschal auf jeden Fall übertragen werden. Es kommt immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an.
a)         So sprechen grundsätzlich erhebliche Zahlungsrückstände des Schuldners  mit betriebsnotwendigen fortlaufenden Verbindlichkeiten (BGH,  30.4.2015 – IX ZR 149/14; BGH, 18.7.2013 – IX ZR 142/12), die mehr als halbjährige Nichtbegleichung von Sozialversicherungsbeiträgen (BGH, 18.7.2013 – IX ZR 142/12) für die Zahlungsunfähigkeit.
Das schleppende Zahlungsverhalten stellt aber dann kein Indiz für eine drohende Zahlungsunfähigkeit dar, wenn seit langer Zeit nur verzögert gezahlt wird, dies also üblich und das zum Teil systematische Hinauszögern von Zahlungen eine insolvenzunabhängige Strategie ist (LG Osnabrück, Urt. v.  14.08.2014 - 4 O 2697/13).
Eine besonders aussagekräftige Grundlage für die Feststellung der Zahlungseinstellung ist die Erklärung des Schuldners, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können; fehlt es an einer solchen Erklärung, müssen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden sonstigen Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen (BGH, Urteil vom 6.5.2021 – IX ZR 72/20). 
b)         Hinsichtlich der Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit reicht der Nachweis aus, dass der Anfechtungsgegner aus den ihm bekannten Tatsachen und dem Verhalten des Schuldners den zutreffenden Schluss zieht, dass jener wesentliche Teile, also 10 % oder mehr, seiner ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeit im Zeitraum der nächsten drei Wochen nicht wird tilgen können ( BGH, 18.7.2013 – IX ZR 143/12).
Umgekehrt begründet allein die Kenntnis von der ausbleibenden Tilgung einer Forderung noch nicht die Kenntnis von der Zahlungseinstellung, weil diese die verschiedensten Ursachen haben kann. Auch die Bitte des Schuldners auf Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung stellt als solche kein Indiz für eine Zahlungseinstellung dar, wenn sie sich im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs hält nicht zugleich mit der ernsthaften Erklärung verbunden ist, die fällige Forderung ohne Ratenzahlungsvereinbarung nicht begleichen zu können (BGH, 30.4.2015 – IX ZR 149/14; BGH, 16.4.2015 – IX ZR 6/14). Denn solche Bitten seien auch sonst im Geschäftsverkehr üblich und könnten auf verschiedenen, mit Zahlungsschwierigkeiten nicht zusammenhängenden Gründen (z.B. dem Versuch, Zinsvorteile zu erreichen) beruhen.
Dagegen entspricht die Bitte des Schuldners um Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung nicht den Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs, wenn sie nach mehrmaligen fruchtlosen Mahnungen und nicht eingehaltenen Zahlungszusagen gegenüber einem von dem Gläubiger mit dem Forderungseinzug betrauten Inkassounternehmen geäußert wird (BGH, 24. 9. 2015 – IX ZR 308/14).
Eine Kenntnis kann aber ausscheiden, wenn der Anfechtungsgegner keinen Gesamtüberblick über die Liquiditäts – oder Zahlungslage des Schuldners hat, weil er keinen Einblick in die Geschäftsunterlagen hatte und nichts über das Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber anderen Gläubigern wusste (BGH, 30.4.2015 – IX ZR 149/14).
Ebenso wenig muss auf die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der schuldrechtlichen Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden, wenn der Schuldner eine geringfügige Verbindlichkeit erst nach mehreren Mahnungen begleicht (BGH, 16.4.2015 – IX ZR 6/14).
c)         Von der Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes geht die Rechtsprechung dann aus, wenn sowohl der Schuldner als auch der Anfechtungsgegner von der Zahlungsunfähigkeit unterrichtet sind (BGH, 24.10.2013 – IX ZR 104/13). Nach geänderter Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 6.5.2021 – IX ZR 72/20) reicht allerdings diese beiderseitig erkannte Zahlungsunfähigkeit allein nicht mehr aus. Vielmehr muss der Schuldner (und auch der Gläugiger) im maßgeblichen Zeitpunkt gewusst oder jedenfalls billigend in Kauf genommen haben, dass er seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen können wird. Dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.
Ausnahmsweise keine Gläubigerbenachteiligungsabsicht liegt vor, wenn die Leistung im Rahmen eines sog. Bargeschäfts, also im unmittelbaren Austausch gegen eine gleichwertige Gegenleistung erfolgt (BGH, 12.2.2015, IX ZR 180/12).

4. Praxisstrategien

Um sich vor der Anfechtung durch Insolvenzverwalter optimal zu schützen, soll grundsätzlich jeder potenzieller Anfechtungsgegner:
  • bei Kenntnis (auch) starker Indizien für Zahlungsunfähigkeit des Kunden, wenn möglich, Rückstellungen bilden;
  • in der Krise des Kunden auf unmittelbare Zahlung (ggf. Vorkasse) achten;
  • schlüssiges Sanierungskonzept vorlegen lassen;
  • Korrespondenz mit Schuldner auf vorgebrachte Indizien, insbesondere Aussagen zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten, überprüfen, um Verteidigungsaussichten beurteilen zu können:
  • ggf. Insolvenzverwalter Vergleich anbieten;
  • Versicherung abschließen;
  • Sicherheiten (Eigentumsvorbehalt, Bankgarantie) bei dem Vertragsabschluss vereinbaren;
  • bei Ratenzahlungsvereinbarungen bezüglich Altforderungen dokumentieren, wie und warum hierdurch oder sonstigen Maßnahmen (des Schuldners) von einer Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit ausgegangen werden kann

Stand: Dezember 2021
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