Besondere Beschäftigungsformen

Scheinselbstständigkeit

Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn jemand zwar nach den vertraglichen Regelungen oder auf Grund einer Gewerbeanmeldung selbstständige Dienst- oder Werksleistungen für ein fremdes Unternehmen zu erbringen scheint, tatsächlich aber nach der Art der Tätigkeit als abhängig beschäftigt im Sinne der Sozialversicherung anzusehen ist.
Die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit ist von Bedeutung, weil Beschäftigte grundsätzlich der Gesamtsozialversicherungspflicht unterliegen (gesetzliche Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung). Zudem muss der Arbeitgeber Beiträge für die gesetzliche Unfallversicherung sowie das Insolvenzgeld abführen.

1. Anhaltspunkte für eine Scheinselbstständigkeit

Bei der Beurteilung des Status wird auf die Gesamtsituation abgestellt. Erkennbares unternehmerisches Handeln und die freie Entscheidung des Unternehmers stehen dabei im Vordergrund. Vermutungsregelungen für die Unselbstständigkeit einer Beschäftigung bestehen seit 2003 nicht mehr. Folgende Indizien können für eine Scheinselbstständigkeit (abhängige Beschäftigung) sprechen:
  • die Person beschäftigt im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig im Monat 450 Euro übersteigt;
  • sie ist auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig;
  • ihr Auftraggeber oder ein vergleichbarer Auftraggeber lässt entsprechende Tätigkeiten regelmäßig durch von ihm beschäftigte Arbeitnehmer verrichten;
  • ihre Tätigkeit lässt typische Merkmale unternehmerischen Handelns nicht erkennen;
  • ihre Tätigkeit entspricht dem äußeren Erscheinungsbild nach der Tätigkeit, die sie für denselben Auftraggeber zuvor aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hatte;
  • sie ist nicht befugt, ihre Arbeitsleistung auf andere zu delegieren;
  • der Auftraggeber hat weitreichende Kontroll- und Mitspracherechte sowie jederzeitige Zugriffs- und Einwirkungsmöglichkeiten;
  • sie unterliegt umfangreichen Berichtspflichten;
  • sie hat keine eigene Betriebsstätte;
  • es besteht die Verpflichtung, bestimmte Arbeitszeiten einzuhalten;
  • es besteht die Verpflichtung bestimmte Hard- und Software zu benutzen, sofern damit insbesondere Kontrollmöglichkeiten des Auftraggebers verbunden sind;
  • sie unterliegt einem Wettbewerbsverbot bzw. es besteht eine Ausschließlichkeitsklausel, die es verbietet, für andere Auftraggeber tätig zu werden;
  • sie darf gegenüber Kunden nicht mit eigenem Logo, in eigenem Namen oder auf eigene Rechnung auftreten;
  • sie hat die Tätigkeit beim Auftraggeber zuvor als dessen Arbeitnehmer ausgeführt.
Die Aufzählung ist nicht abschließend. Die Abgrenzung erfolgt aufgrund der Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles. Dabei ist nicht erforderlich, dass sämtliche den Typus kennzeichnenden Merkmale vorliegen. Dementsprechend kommt es nicht entscheidend darauf an, ob zahlenmäßig mehr Indizien für oder gegen die Abhängigkeit sprechen. Entscheidend ist vielmehr, welches Gesamtbild sich unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung ergibt. Für einzelne Tätigkeitsbereiche haben sich besondere Abgrenzungskriterien entwickelt, insbesondere bei Handelsvertretern, Gesellschaftern und Geschäftsführern einer GmbH und mitarbeitenden Familienangehörigen.

2. Statusfeststellung für die Sozialversicherung

Der Auftraggeber hat – wie auch sonst jeder Arbeitgeber bei seinen Mitarbeitern – zu prüfen, ob ein Auftragnehmer bei ihm abhängig beschäftigt oder für ihn selbstständig tätig ist. Ist ein Auftraggeber der Auffassung, dass im konkreten Einzelfall keine abhängige Beschäftigung vorliegt, ist zwar formal von ihm nichts zu veranlassen. Er geht jedoch das Risiko ein, dass bei einer Betriebsprüfung der Sachverhalt anders bewertet und dadurch die Nachzahlung von GSV-Beiträgen erforderlich wird.
Wird von der Deutschen Rentenversicherung Bund ein sog. scheinselbstständiges Arbeitsverhältnis festgestellt, setzt die Sozialversicherungspflicht mit Aufnahme der Tätigkeit ein. Um das Risiko einer Fehleinschätzung auszuschließen, kann innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit sowohl der Auftragnehmer als auch der Auftraggeber ein Antrag bei der Clearingstelle der Deutsche Rentenversicherung Bund stellen, damit verbindlich festgestellt wird, dass keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt.
Innerhalb des Statusverfahrens wird auf die Gesamtsituation abgestellt. Wird der Antrag rechtzeitig gestellt und ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis festgestellt, tritt die Versicherungspflicht erst mit Bekanntgabe der Entscheidung ein, wenn der Beschäftigte zustimmt und er sich für den Zwischenzeitraum zwischen Beginn der Tätigkeit und Erteilung des Bescheides adäquat für den Krankheitsfall und das Alter abgesichert hat.
Das Antragsverfahren durch die Beteiligten ist jedoch nur möglich, wenn die Deutsche Rentenversicherung im Zeitpunkt der Antragstellung selbst noch kein Verfahren eingeleitet hat. Sie ist gesetzlich dazu verpflichtet, vor ihrer endgültigen Entscheidung, diese vorab bekannt zu machen, um den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, weitere für die Entscheidung erhebliche Tatsachen und rechtliche Gesichtspunkte hervorzubringen.

3. Folgen der Scheinselbstständigkeit

3.1. Sozialversicherungsrechtliche Folgen

Der bisherige Auftraggeber hat nunmehr als Arbeitgeber die üblichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die gesetzlichen Krankenkassen abzuführen und den Arbeitnehmer dort als solchen anzumelden. Die Kranken- und Pflegeversicherungspflicht richtet sich nach der jeweiligen Versicherungssituation (unter anderem Höhe des Einkommens, aktuelle Beitragsbemessungsgrenze).
Zu beachten ist, dass der Arbeitgeber unter Umständen die Sozialversicherungsbeiträge für die letzten vier Jahre nachzahlen muss, er im Regelfall von dem Arbeitnehmer aber nur drei Monate lang einen Teil des Gehaltes einbehalten darf. Abweichende Regressregelungen zwischen den Parteien sind unwirksam.

3.2. Arbeitsrechtliche Folgen

Wird eine sog. Scheinselbstständigkeit festgestellt, so kann der Scheinselbstständige seinen Arbeitnehmerstatus gegebenenfalls einklagen. Das Arbeitsgericht prüft dann anhand der bisherigen Kriterien der Rechtsprechung, ob dem Scheinselbstständigen Arbeitnehmerstatus zuerkannt werden kann. Ist dies der Fall, so ist der vermeintlich Selbstständige nun Angestellter mit Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch, Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall und unterliegt der Sozialversicherungspflicht.

3.3. Steuerrechtliche Folgen

Die Veränderung der Verhältnisse kann auch steuerrechtliche Konsequenzen haben. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer haben dann die neue Situation gegebenenfalls steuerrechtlich nachzuvollziehen und haften für die Nachzahlungen als Gesamtschuldner, sie können also beide zur Zahlung der Außenstände in voller Höhe aufgefordert werden. Da dies Einzelfallbetrachtungen sind, empfiehlt es sich, einen Steuerberater hinzuzuziehen und sich mit dem zuständigen Finanzamt abzustimmen.
Sog. Scheinselbstständige müssen beachten, dass sie als Arbeitnehmer den lohn-/einkommensteuerrechtlichen Regelungen unterliegen und durch diese Tätigkeit fortan keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb mehr erzielen. Darüber hinaus schuldet der vermeintliche Auftragnehmer gegebenenfalls die auf seinen bisherigen Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 2 Umsatzsteuergesetz, während ein Vorsteuerabzug für den Auftraggeber (der in diesem Fall wie ein Arbeitgeber zu behandeln ist) nicht in Betracht kommen würde.

3.4. Gewerberechtliche Folgen

Spätestens mit Feststellung der Scheinselbstständigkeit endet auch die unternehmerische Tätigkeit für das betriebene Gewerbe. Dies heißt, das Gewerbe muss abgemeldet werden. Auch die gesetzliche Mitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer und die gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der Berufsgenossenschaft enden zu diesem Zeitpunkt.

3.5. Strafrechtliche Folgen

Darüber hinaus ist auch mit strafrechtlichen Folgen zu rechnen. Ein Arbeitgeber macht sich wegen Beitragsvorenthaltung strafbar, wenn er Beiträge des Arbeitnehmers nicht abführt. Dies können Beiträge zur Kranken-, Renten- und Sozialversicherung sein.
Sofern entsprechende Steuern nicht oder nicht in voller Höhe gezahlt worden sind, kommt daneben auch die leichtfertige Steuerverkürzung (Ordnungswidrigkeit) in Betracht. Sollte die Scheinselbstständigkeit vorsätzlich konstruiert worden sein, liegt sogar eine Steuerhinterziehung (Straftat) vor. In beiden Fällen besteht allerdings die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige (vgl. §§ 371 Abs. 1 und 378 Abs. 3 AO). Nachrangig kommt auch die Gefährdung von Abzugssteuern in Betracht. Danach handelt der Arbeitgeber ordnungswidrig, wenn er vorsätzlich oder leichtfertig einer Verpflichtung zum Einbehalt und zur Abführung der Lohnsteuer nicht nachkommt.

4. Arbeitnehmerähnliche Selbstständige

Kann nach den zuvor gemachten Ausführungen von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen werden, so ist als nächstes zu klären, ob es sich um einen arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen handelt. Arbeitnehmerähnliche Selbstständige sind zwar „echte“ Selbstständige, also gerade nicht scheinselbstständig, sie unterliegen aber der Rentenversicherungspflicht.
Arbeitnehmerähnlich ist, wer regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt, auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist und dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 450,- Euro übersteigt. Werden mindestens 5/6 des Umsatzes über einen Auftraggeber generiert, so ist der Selbstständige im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig. Gleiches gilt, wenn eine vertragliche Ausschließlichkeitsvereinbarung vorliegt.
Von einer Dauerhaftigkeit der Tätigkeit ist auszugehen, wenn die Tätigkeit im Rahmen eines Dauerauftragsverhältnisses oder eines regelmäßig wiederkehrenden Auftragsverhältnisses erfolgt. Bei einer im Voraus begrenzten und nur vorübergehenden Tätigkeit für einen Auftraggeber (projektbezogene Tätigkeit) wird grundsätzlich keine Dauerhaftigkeit dieser Tätigkeit für nur einen Auftraggeber vorliegen, wenn die Begrenzung innerhalb eines Jahres liegt.
Arbeitnehmerähnliche Selbstständige haben sich innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit beim zuständigen Rentenversicherungsträger zu melden. Die Beiträge zur Rentenversicherung müssen Selbstständige in voller Höhe selbst zahlen.
Eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ist in bestimmten Fällen auf Antrag möglich:
  • Selbstständige können für einen Zeitraum von drei Jahren nach erstmaliger Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit (Existenzgründung) von der Versicherungspflicht befreit werden. Die Befreiung kann auch bei Aufnahme einer zweiten selbstständigen Tätigkeit, die ebenfalls den Merkmalen des arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen entspricht, erneut in Anspruch genommen werden. Der 3-Jahres-Zeitraum nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit darf noch nicht überschritten sein. Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an.
  • Selbstständige, die das 58. Lebensjahr vollendet haben, werden vollständig von der Rentenversicherungspflicht befreit, wenn sie bereits selbstständig waren und die Versicherungspflicht erstmalig aufgrund der Neuregelung zur rentenversicherungspflichtigen Selbstständigkeit eingetreten ist. Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an.
  • Unter bestimmten Voraussetzungen können rentenversicherungspflichtige Selbstständige auf Antrag von der Rentenversicherungspflicht befreit werden, falls sie bereits am 31. Dezember 1998 eine selbstständige, nicht rentenversicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt haben.

5. Sonderfälle 

5.1. Geschäftsführende Gesellschafter

Auch selbstständig tätige geschäftsführende Gesellschafter einer juristischen Person können nach der oben beschriebenen Regelung rentenversicherungspflichtige Selbstständige sein. Für die Beurteilung der Versicherungspflicht kommt es darauf an, ob die Gesellschaft (und nicht der Gesellschafter) im Wesentlichen nur einen Auftraggeber hat, beziehungsweise ob die Gesellschaft sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigt. Nachdem das Bundessozialgericht dies zur früheren Gesetzeslage anders entschieden hatte, ist eine entsprechende Klarstellung im Gesetz erfolgt.

5.2. Handelsvertreter

Mit dem Wegfall der Vermutungskriterien ist auch die Ausnahmeregelung für Handelsvertreter hinfällig geworden. Entscheidend für die Frage ihrer Selbstständigkeit ist damit, ob sie ihre Tätigkeit im Wesentlichen frei gestalten und über ihre Arbeitszeit bestimmen können (§ 84 Abs. 1 S. 2 Handelsgesetzbuch). Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, können auch Handelsvertreter scheinselbstständig sein.
Indizien dafür sind beispielsweise Umsatzvorgaben, eng angelegte Kontrollen des Auftraggebers, Pflichtanwesenheit, vorgegebene Pflichttermine bei Kunden, Tourenpläne, Urlaubsabstimmung mit dem Auftraggeber sowie das Verbot, Angestellte einzustellen. Sofern der Handelsvertreter seine Arbeitszeit und Tätigkeit aber frei einteilen kann, kann er dennoch den rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern gleichgestellt sein, wenn er als ein arbeitnehmerähnlicher rentenversicherungspflichtiger Selbstständiger einzustufen ist.

6. Zusammenfassung

Die Abgrenzung zwischen Selbstständigen, rentenversicherungspflichtigen Selbstständigen und Scheinselbstständigen bleibt schwierig. Viele Einzelfälle und strittige Punkte werden weiterhin von der Rechtsprechung anhand der bisherigen Kriterien zu klären sein. Dabei kann das Ergebnis der arbeitsrechtlichen Prüfung die Auftragnehmerstellung sein, während die sozialversicherungsrechtliche Prüfung den Arbeitnehmerstatus zuspricht.
Insbesondere Existenzgründer sollten sich innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der Geschäftstätigkeit an die Deutsche Rentenversicherung Bund wenden und schriftlich einen Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht stellen. Bei Unklarheiten bzgl. der Selbstständigkeit sollte bei der Deutschen Rentenversicherung Bund innerhalb von einem Monat nach Aufnahme der Tätigkeit ein Antrag auf Feststellung gestellt werden.
Weitere Informationen auf der Internetseite der Deutschen Rentenversicherung Bund.
 
Stand: März 2019
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