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Plattformmärkte – Bedrohung oder Chance?

Von Prof. Dr. Key Pousttchi, Experte für Digitale Transformation, Universität Potsdam

Beim Stichwort Digitalisierung denken Unternehmen in erster Linie an ihre eigenen Prozesse. Der wirkliche "Digital Tsunami" kommt jedoch in den meisten Fällen von außen – nicht zuletzt durch die Digitalisierung des Lebens der Endkunden. Wesent-liche Elemente sind Plattformmärkte, Daten und die Smartphones der Endkunden.
Uber, das weltgrößte Taxi-Unternehmen, besitzt kein einziges Taxi. Facebook, der welt-größte Medienkonzern, erzeugt keine Medieninhalte. Und AirBnB, der weltgrößte Über-nachtungsanbieter der Welt, besitzt weder Betten noch Zimmer. Die Börsenkurse dieser Unternehmen schießen in den Himmel: Der Markt belohnt nicht mehr das Erzeugen von Wert, sondern die Vermittlung. Willkommen in der Plattform-Ökonomie! Deren Grundlage sind Netzwerkeffekte: Ein Nutzer, der Facebook beitritt, hat nicht nur selbst einen großen Nutzen – er vergrößert gleichzeitig durch seinen Eintritt in die Plattform den Nutzen für alle, die bereits dabei sind. Noch interessanter wird es bei zweiseitigen Märkten: Wer Anbieter und Nachfrager zusammenbringt, schafft für beide Seiten hohen Nutzen.
Aber schauen wir auf das Leben der Endkunden: Das Mobiltelefon hat unser Leben verändert. Es ist immer präsent, wir sind immer erreichbar und wir nutzen es für immer umfassendere Dienste. Wir verbringen im Durchschnitt 170 Minuten am Tag mit Smartphone und Internet. Gleichzeitig sammelt das Gerät unablässig Daten über uns. Erst dies macht mobile Technologien für die Unternehmen wirklich strategisch bedeutend.
Ein Plattformmarkt zeichnet sich dadurch aus, dass es einem Marktteilnehmer gelingt, sich zwischen Anbieter und Nachfrager zu schieben und sowohl das Angebot als auch die Nachfrage der jeweils anderen Seite gegenüber zu bündeln, etwa bei einem Hotelportal im Internet, an das der Hotelier im Falle der Buchung bis zu 15 Prozent Provision vom Umsatz abtritt. Allein dies bringt für einzelne Branchen bereits weitreichende Veränderungen mit sich. Aber künftig kommen auch oberhalb dieser Ebene Veränderungen auf uns zu.
Plattformanbieter wie Google oder Apple, die Smartphone-Betriebssysteme und Ecosysteme kontrollieren, haben Zugriff auf nahezu alle persönlichen Daten, die auf dieser Plattform genutzt oder auf dem Mobilgerät gespeichert sind. In ähnlicher Stärke über Daten verfügen Betreiber dominanter Kommunikations-Apps, also Facebook/WhatsApp, etwas schwächer gilt dies auch für dominante Online-Marktplätze, also Amazon. Diese "erste Liga" der Plattformanbieter verfügt damit über so querschnittliche und große Datenmengen, dass diese mit Big Data-Techniken auswertbar sind.
Dabei werden alle denkbaren Zusammenhänge in eine automatisierte Modellerzeugung gebracht und diese Vielzahl induktiver statistischer Modelle dann auf Vergangenheitsdaten getestet: Das Modell, das auf Basis der Daten die besten Ergebnisse zeigt, wird dann ebenso automatisch für die Prognose der Zukunft oder unbekannter Zusammenhänge verwendet – eine Art von Mustererkennung, mit der aus der Gesamtheit auf den einzelnen geschlossen werden kann, und das mit sehr hohen Trefferraten.
Bereits seit einigen Jahren kann Mastercard damit beispielsweise besser vorhersagen, wer sich in fünf Jahren scheiden lässt, als es die Leute selber können – nur mit den Daten der Plastikkreditkarte, also ohne auch nur zu wissen, was genau die Kunden kaufen.
Was kann man dann alles mit Daten machen, aus denen man weiß, wo sich eine Person 24 Stunden am Tag aufhält, wer ihre Freunde sind, was und wann sie mit ihnen kommuniziert, was sie sich wann im Internet anschaut, welche Suchbegriffe sie dabei verwendet? Wer das kann, kennt den Kunden besser, als dieser sich selbst kennt und kann sein Verhalten sowohl vorhersagen als auch beeinflussen.
Das Ziel der ersten Liga der Plattformanbieter ist es, den Kunden zu "besitzen" und ihm künftig auch in der realen Welt als erster das beste Angebot machen zu können – sich also branchenübergreifend zwischen Kunden und Händler zu schieben und durch auktionsweise Vermittlung die Marge der Händler vollständig abschöpfen zu können. Wer Endkundengeschäft betreibt, sollte auf diese Entwicklung der nächsten drei bis fünf Jahre vorbereitet sein.