Kluge Energiemärkte: Die digitale Revolution

Kluge Energiemärkte: Die digitale Revolution

von Gero Lücking, Mitglied der Geschäftsführung von LichtBlick SE, stellv. Vorsitzender des Vorstan-des des Bundesverbandes Neue Energiewirtschaft (bne) und Mitglied des Umwelt- und Energieaus-schusses des DIHK e.V.

Wissen Sie noch, welche App Sie 2006 während des Fußball-Sommermärchens am häufigsten benutzt haben? Fällt ihnen keine ein? Das ist auch klar. Denn das erste iPhone wurde erst im Januar 2007 in Kalifornien vorgestellt. Es gab 2006 noch keine Apps. Mit diesem Beispiel weist der Zukunftsforscher Lars Thomsen auf die Geschwindigkeit des digitalen Wandels hin.
Heute ist ein Leben ohne Smartphone und Apps kaum noch denkbar. Eine fundamentale Veränderung, die sich in nicht einmal 10 Jahren vollzogen hat. Der digitale Wandel, den wir im Kommunikationssektor bereits erleben, greift auch auf andere Wirtschafts- und Lebensbereiche über. Er erfasst die wichtigsten Industriesektoren unseres Landes, die Energie- und die Autoindustrie. Vieles spricht dafür, dass sich unser Energiesystem ebenso radikal wandeln wird wie die Kommunikationswelt. Beide Entwicklungen hängen eng zusammen.
Dass die Zukunft der Energie erneuerbar ist, ist mittlerweile eine Binsenweisheit. Zwar produzieren wir auf absehbare Zeit noch einen Großteil unserer Energie aus Kohle, Öl, Gas und auch Uran. Aber der rasante Preisverfall der erneuerbaren Technologien hat Sonne und Wind schon heute in vielen Regionen der Welt wettbewerbsfähig gemacht. Hinzu kommt, dass Pioniere wie Tesla-Chef Elon Musk, aber auch innovative deutsche Hersteller derzeit dabei sind, Batteriespeicher zum Massenmarktprodukt zu entwickeln. Dabei sind bei der Solar- und Batterietechnik die Effizienzpotentiale noch längst nicht ausgeschöpft. Experten erwarten, dass Sonnenstrom in Zukunft für 2 Cent die Kilowattstunde zu haben sein wird. Kohle- und Atomstrom ist deutlich teurer.
Mit den Technologiesprüngen wird sich auch die Struktur unserer Energielandschaft grundlegend ändern. Noch erzeugen 500 Großkraftwerke den Löwenanteil des in Deutschland verbrauchten Stromes. Doch schon heute gibt es 1,5 Millionen kleine Kraftwerke – Haushalte oder Unternehmen, die sich mit Solarstrom vom Dach oder dem Blockheizkraftwerk versorgen. Weil die Preise weiter purzeln, werden Solartechnologie und Batterien in Gebäuden schon in wenigen Jahren eine Selbstverständlichkeit sein. Aber was passiert, wenn in Deutschland nicht mehr 1,5 Millionen, sondern 10 oder 20 Millionen Gebäude Strom produzieren und speichern?
Nehmen wir einen weiteren Trend hinzu. Mit den fallenden Kosten und der steigenden Effizienz von Batterien werden Elektroautos die Straßen erobern. Das ist nur eine Frage der Zeit. Was passiert, wenn auf Deutschlands Straßen 10 oder 20 Millionen E-Autos fahren? Die Antwort liegt auf der Hand: Wir bekommen einen neuen, digitalen Energiemarkt. Denn Millionen Photovoltaik-Anlagen, Windräder, Solarspeicher und auch E-Mobile müssen intelligent vernetzt werden, um Produktion und Verbrauch von Sonnen- und Windenergie auszugleichen und die Netze zu stabilisieren. Nicht mehr eine Handvoll Energiekonzerne verkaufen Strom und Wärme an Endkunden, sondern Verbraucher produzieren ihre eigene Energie. Sie verkaufen den Stromüberschuss und stabilisieren mit freien Batteriekapazitäten im Haus oder im E-Auto – während es parkt – das Stromnetz.
Die Politik hat sich auf den Weg gemacht, neue Spielregeln für den Energiemarkt zu schaffen, um den Übergang vom zentralen Kohle- und Atomzeitalter ins digitale Ökostromzeitalter zu gestalten. Dazu sollen im nächsten Jahr ein Strommarkt- und ein Digitalisierungsgesetz in Kraft treten. So verfolgt Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gab-riel die Linie, immer mehr Ökostrom- und Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen aus dem si-cheren Hafen der Subventionen in den freien Markt zu überführen. Auch sollen mehr Smart Meter zum Einsatz kommen und es werden Datenschutz-Standards definiert. So erfreulich diese Ansätze auch sind, so gibt es doch auch erhebliche Fehlentwicklungen.
Zum Beispiel beim Thema Batteriespeicher. Schon heute ist es möglich, auch kleine Solarspeicher in Haushalten zu vernetzen und mit ihrer Hilfe die Stromnetze zu stabilisieren, also sogenannte „Regelenergie“ bereit zu stellen. Doch aktuell diskriminiert der Gesetzgeber Speicher, die nur in freien Zeiten – also wenn sie vor Ort gerade nicht benötigt werden – Netzdienstleistungen erbringen. So wird die Marktentwicklung behindert. Welche Potenziale in den neuen Märkten stecken, zeigt die Elektromobilität. Im Durchschnitt steht ein Auto 23 Stunden am Tag auf dem Parkplatz. In dieser Zeit kann die Batterie über das Ladekabel mit dem Stromnetz verbunden werden. Ein von der Bundesregierung unterstützter Praxistest hat gezeigt, dass ein Teil der Autobatterie dafür genutzt werden kann, überschüssigen Strom aus dem Netz zu speichern oder bei hoher Nachfrage Energie aus der Batterie ins Netz einzuspeisen. Ein E-Auto könnte als „Dienstleister für stabile Netze“ pro Jahr über 1000 Euro erwirtschaften. Könnte – denn der Gesetzgeber blockiert diese Möglichkeit, weil er auch E-Auto-Batterie gegenüber anderen Speichern diskriminiert. Dabei könnte es kaum ein wirkungsvolleres Anreizprogramm für Elektromobilität geben. Und es würde den Steuerzahler keinen Cent kosten. Die Allgemeinheit würde profitieren, weil dank einem Schwarm vom E-Autobatterien die Stromversorgung sicherer würde: Eine Million E-Autos verfügen über mehr Speicherleistung, als dem Strommarkt heute als Puffer zur Verfügung steht.
Verhindern kann die Politik die digitale Energierevolution nicht. Und das will Berlin auch nicht. Aber durch falsche Weichenstellungen bremst die Bundesregierung neue Geschäftsmodelle im „Smart Market“. Das ist auch ein Wettbewerbsnachteil gegenüber der Konkurrenz aus dem Silicon Valley und aus Asien. Berlin muss hier nachbessern.