Digitalisierung aktiv mitgestalten

Digitalisierung aktiv mitgestalten

Interview mit DIHK-Präsident Dr. Eric Schweitzer

EU-Kommissar Günther Oettinger hat Europa dazu aufgerufen, eine Vorreiterrolle bei der digitalen Fertigung zu spielen. Es gehe um die Wettbewerbsfähigkeit Europas in allen Wirtschaftsbereichen – sie könne verloren gehen, wenn sie sich nicht alle schnellstmöglich digitalisierten. Teilen Sie diese Einstellung?
Digitalisierung und Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit hängen sehr eng zusammen. Insbesondere im Bereich der Fertigung – ein Bereich, in dem deutsche Betriebe traditionell an der Spitze stehen – gilt: Nur wenn wir es schaffen, die digitalen Werkzeuge umfassend in Produktionsprozesse zu integrieren, werden wir weiter am Ball bleiben und in der ersten Liga mitspielen.
Wie steht Deutschland bei der Digitalisierung derzeit im internationalen Vergleich da?
Wir stehen derzeit gut da, ein Monitoring-Report des Wirtschaftsministeriums zeigt, dass wir global unter den TOP 5 sind. Aber es gibt auch noch Luft nach oben. Andere Länder sind gut in der Erfassung und Auswertung von Daten, unsere Stärken liegen in der maschinellen Fertigung, im Maschinen- und Anlagenbau, in der Automobilindustrie etc. Diese Kompetenzen müssen wir in einer Datenökonomie weiterentwickeln und über eigene Plattformen vermarkten. Da sehe ich uns auf einem guten Weg. Eine wichtige Voraussetzung ist dabei ein einheitlicher europäischer digitaler Binnenmarkt mit gleichen rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen.
Es gibt noch immer Standorte mit unzureichender Breitbandanbindung – solche Hemmnisse lassen sich nicht kurzfristig aus dem Weg räumen. Was muss geschehen?
Voraussetzung für eine Wirtschaft 4.0 ist in der Tat eine leistungsfähige Kommunikationsinfrastruktur. Das politische 50 Mbit/s-Ziel behindert den nachhaltigen Aufbau einer volkswirtschaftlich so wichtigen Infrastruktur, weil es darauf ausgerichtet ist, das Letzte aus dem alten Kupfernetz herauszuholen – statt heute schon die Infrastruktur von morgen zu denken. Hier setzen wir insbesondere auch auf das Engagement der Kommunen, die sich vor Ort für zukunftsfähige Infrastrukturen engagieren sollten.
Stichwort Datensicherheit: Viele Unternehmen fürchten sich vor Wirtschaftsspionage, Hacker-Angriffen und digitalem Vandalismus. Ist  die Sorge berechtigt?
Die Unternehmen machen sich zu Recht Gedanken über den Schutz geschäftskritischer Daten in einer digitalisierten Welt. Deutlich mehr als die Hälfte der Betriebe sorgt sich vor einem Verlust sensibler Informationen oder befürchtet unerlaubte Zugriffe. Hier müssen Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam Lösungen entwickeln, die die digitale Sicherheit in den Unternehmen einfacher umsetzbar machen.
Wie helfen die IHKs den Unternehmen – zum Beispiel beim Online-Handel?
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Vielmehr gibt es eine nur noch schwer zu überschauenden Regelungsdichte etwa durch zunehmende Verbraucherschutzregelungen. Rechtsverstöße können schnell zu Bußgeldern führen. Die IHKs geben deshalb den Unternehmen Antworten zu Fragen rund um den Online-Handel, angefangen bei Informationspflichten, dem Widerrufsrecht, dem Gewährleistungsrecht bis hin zum Umgang mit Rechtsverstößen und Abmahnungen. Auf politischer Ebene fordern die IHKs seit Jahren europaweit einheitliche einfache Standards, um den grenzüberschreitenden Handel zu erleichtern und damit das Potenzial des europäischen Binnenmarkts  für den e-Commerce voll zu nutzen.
Welche Maßnahmen hat die IHK-Organisation getroffen, um den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Aus- und Weiterbildung Rechnung zu tragen?
Bei jeder Aktualisierung von Ausbildungsberufen oder Weiterbildungsabschlüssen und bei der Neuentwicklung prüfen wir, in welchem Umfang digitale Kompetenzen erforderlich sind. Das ist von Beruf zu Beruf unterschiedlich: Berufe, die von der Digitalisierung bislang weniger betroffen waren, werden moderat in die digitale Welt überführt. So bekommt der Holzmechaniker in diesem Jahr ein Modul für den Einsatz digitaler Techniken im Herstellungsprozess. Wichtig ist aber auch, dass Digitalisierungsthemen und IT-Kompetenzen in der schulischen und beruflichen Bildung, in der berufsbegleitenden Weiterbildung sowie an den Hochschulen vermittelt werden.
Wirtschaft 4.0 – Fluch oder Segen?
Fakt ist: Der mit der Digitalisierung verbundene Transformationsprozess wird alle Unternehmen und Bereiche der Gesellschaft umfassen und fordern. Für uns geht es darum, diesen Prozess aktiv mitzugestalten, damit wir die Vorteile für uns nutzen können – als Unternehmer, als Arbeitnehmer und als Verbraucher.
Quelle: „Watt KONTEXT“ der Sales & Solutions GmbH - Energie für Unternehmen