Digitaler Binnenmarkt: Für die Wettbewerbsfähigkeit von größter Bedeutung

Digitaler Binnenmarkt: Für die Wettbewerbsfähigkeit von größter Bedeutung

von Günther Oettinger, EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft

Kaum ein anderer Bereich entwickelt sich so rasend schnell wie die digitale Wirtschaft: Vor einem Jahr noch hatte kaum jemand vom Taxi-Wettbewerber Uber oder vom Hotel-Substitut Air B'n'B gehört. Heute kennt die Online-Dienste jeder. Digitale Dienste, wenn sie erst einmal existieren, werden sich kaum aufhalten lassen, selbst wenn man wollte. Allerdings kann man ihre Entwicklung beeinflussen. Doch um Einfluss zu haben, müssen Europa und Deutschland eine aktive Rolle spielen.
Wir müssen daher die digitale Gesellschaft in Europa weiter entwickeln, denn wenn wir es nicht tun, wird sie woanders entwickelt und wir müssen sie so nehmen, wie sie anderen gefällt. Aus europäischer Sicht sind zwei Aspekte wichtig:
Erstens muss es uns gelingen, dass wirklich jeder – jung, alt, berufstätig oder nicht – von der digitalen Entwicklung profitiert. Das gelingt mit einem leistungsfähigen, digitalen Netzzugang - wo immer man ist - und digitalen Kompetenzen, die so weit verbreitet sind wie Lesen und Schreiben.
Ohne leistungsfähigen Netzzugang können die Bürger viele Vorteile der Digitalisierung nicht in Anspruch nehmen. Deswegen wollen wir einen Teil des von der EU neu aufgelegten 315-Milliarden-Euro-Investitionsprogramms für den Ausbau von Breitbandnetzen verwenden und dabei auch bestimmte Qualitätsstandards vorschreiben, wie etwa die Geschwindigkeit der Datenübertragung.
Das andere sine qua non sind digitale Kompetenzen. Und zwar sowohl auf der Bürger- und Verbraucherseite, wo zumindest Grundkenntnisse erforderlich sind, um am zunehmend digitalen Leben teilzunehmen, als auch auf der Unternehmensseite, wo angewandte Kenntnisse für die allermeisten Angestellten und spezialisierte Kenntnisse für die digitalen Profis gebraucht werden. Insbesondere bei den letzteren hat Europa Nachholbedarf. Während die Nachfrage nach Digitalprofis steigt, stagniert die Zahl der Berufsanfänger. Zwar ist Deutschland in dieser Hinsicht seit einigen Jahren eine positive Ausnahme, aber angesichts der demographischen Entwicklungen Deutschlands sollte es die Hände nicht in den Schoss legen.
Zweitens braucht es einen europäischen digitalen Binnenmarkt. Die Schaffung eines wirklichen digitalen Binnenmarktes ist für die Unternehmen und für unsere Wettbewerbsfähigkeit von größter Bedeutung.
Ohne einen digitalen Binnenmarkt werden sich auch viele neue Technologien langsamer durchsetzen. Eine permanente Fernüberwachung eines herzkranken Patienten, die im Auslandsurlaub durch roaming-Gebühren zum unbezahlbaren Luxus wird; ein Ferndiagnosesystem für installierte Industriemaschinen, dessen Informationen nur verspätet vom ausländischen Netz übertragen werden; ein Cloud Computing Anbieter, der Rechenzentren in 28 Mitgliedsländern eröffnen muss, um Datenschutzanliegen Rechnung zu tragen: Dies sind nur ein paar Beispiele, wie Innovationen ohne digitalen Binnenmarkt gebremst werden können.
Auch für das verarbeitende Gewerbe, bis zum heutigen Tag immer noch das Rückgrat der europäischen und deutschen Wirtschaft, sind die digitalen Technologien von zentraler Bedeutung. Die europäische Union hat die Wichtigkeit der Industrie erkannt, und visiert eine Steigerung des Anteils an der Bruttowertschöpfung auf 20 Prozent an. Dies geht natürlich nur mit neuen industriellen Technologien, nicht mit der Rückkehr zu Altbewährtem. 3-D-Drucker sind ein Beispiel, wie die digitale Technologie dem verarbeitenden Gewerbe zu einer Renaissance verhelfen kann.
Digitale Wirtschaft und Industrie sind keine Gegensätze. Heute sind sie vereinbar, morgen werden sie untrennbar sein.