Berufliche Bildung stärken

Der dualen Berufsausbildung in Deutschland ergeht es momentan wie dem Propheten, der im eigenen Land ja bekanntlich nichts gilt.
Während das deutsche duale System weltweit große Wertschätzung erfährt und viele Länder Elemente dieses Systems in ihr eigenes Bildungssystem überführen wollen, findet in Deutschland selbst seit dem Jahr 2011 so etwas wie eine Abwendung vom dualen System statt: Hörsaal statt Werkbank lautet die Devise! Einige wenige Zahlen sollen dies belegen: Wir haben inzwischen pro Jahr mehr Studien- als Ausbildungsanfänger und die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist seit 2007 um rund 100.000 zurückgegangen.
Aber trotz dieser Entwicklung warne ich davor, diesen Bildungstrend als „Akademisierungswahn“ zu verteufeln. Wir sollten uns auch davor hüten, akademische und berufliche Bildung gegeneinander auszuspielen. Es gilt viel mehr, sich als Akteur des Berufsbildungssystems auf den Wettbewerb mit dem Hochschulsystem einzulassen. Dabei müssen Groß-, Klein- und Kleinstbetriebe, einschließlich der Selbstorganisationen der Wirtschaft, mit den berufs-bildenden Schulen zusammenstehen und geschlossen agieren.
Berufliche Bildung weiter entwickeln
Was ist konkret zu tun, um die berufliche Bildung in diesem Wettbewerb wieder zu stärken? Ich möchte im Folgenden drei strukturpolitische Vorschläge für eine Agenda zur Weiterent-wicklung der beruflichen Bildung in Deutschland skizzieren.
Erstens: Mit Blick auf die rückläufige Ausbildungsbetriebsquote müssen vor allem die Kleinst- und Kleinbetriebe als Orte für Ausbildung und Beschäftigung für junge Leute wieder attrakti-ver werden. Das, was Großunternehmen mit Kapital und professionellen Personal- und Organisationsentwicklungsstrukturen zum attraktiven Ausbilder und Arbeitgeber macht, können Kleinst- und Kleinbetriebe aus der eigenen Substanz nicht realisieren. Sie brauchen mehr qualitativ hochwertigen Support, der sich von der Berufsorientierung über die Ausbildungsvertragsanbahnung bis in die Ausbildungsbegleitung hinein erstreckt. Um gegenüber Großbetrieben und Hochschulen wieder mehr an Attraktivität bei jungen Leuten zu gewinnen, sollten diese Betriebe ihre Kräfte bündeln und als strategische Allianzen versuchen, im Verbund Größeneffekte zu erzielen. Um dies zu realisieren, bedarf es einer fördernden, dienstleisten-den und steuernden Selbstorganisation, also eines betriebsnahen Netzwerkmanagements sowie einem damit verbundenen Support von Kammern, Kreishandwerkerschaften und Innungen, die gegebenenfalls ihre Service- und Dienstleistungsstrukturen dafür weiterentwickeln müssen.
Zweitens: Wir müssen das Berufesystem attraktiver machen, indem wir breite Berufsstruktu-ren präferieren, ohne dabei auf Spezialisierungen zu verzichten. Konkret: Wir müssen das Konzept der Berufsgruppen beziehungsweise Berufsfamilien viel konsequenter als bisher praktiziert umsetzen. Gerade kleinere Berufe können vom Berufsgruppenkonzept profitieren, indem sie mit verwandten oder anderen affinen Berufen eine Gesamtheit bilden, um damit jungen Leuten durchlässigere Bildungswege zu eröffnen. Je schmaler und spezialisierter ein Berufsbild ist, je weniger Anerkennungsmöglichkeiten mit einem Berufsabschluss verbunden sind, desto unattraktiver ist ein Beruf für junge Leute.
Drittens: Wir müssen mit unseren Berufsbildern im digitalen Zeitalter Schritt halten. Das Stichwort lautet „Berufsbildung 4.0“. Das duale System mit smart companies und smart schools muss unsere Vision sein.
Digitalisierung eröffnet neue Gestaltungsspielräume
Zu überlegen ist, ob wir in Zukunft für unsere Betriebe wie auch aus dem Interessenspektrum junger Menschen heraus eine Schlüsselqualifikation brauchen, die als „digitale Kompetenz“ in allen Berufen zukünftig zu fördern ist. Voraussetzung dafür wäre eine entsprechende Vorarbeit in der allgemeinbildenden Schulphase, in der „digitale Kompetenz“ als Bildungsstandard zu berücksichtigen wäre. Zudem ist die Ausbildung des Ausbildungs- und Prüfungspersonals gesamtsystemisch anzupassen, um diese „4.0-fähig“ zu machen. Genauso müssen wir die relevanten Lernumgebungen, also auch die überbetrieblichen Bildungszen-tren, so ausstatten, dass dort Mindeststandards für eine anforderungsgerechte Bildung und Qualifizierung im digitalen Zeitalter erfüllt werden können.
Mit „Berufsbildung 4.0“ wird aber auch auf neue Möglichkeiten aufmerksam gemacht, die mit der Nutzung computer- beziehungsweise internetgestützter sowie anderer digitaler Ausbildungs- und Unterrichtstechnologien für die Lehr- und Lernförderlichkeit verbunden sind. Ebenso eine Bestätigung dafür, dass sich mit der fortschreitenden Digitalisierung für die berufliche Bildung neue, attraktive Gestaltungsspielräume eröffnen.