Hemmnisse abbauen, Belastungen vermeiden
Von Lothar Schmitz, Wirtschaftsjournalist
Bei „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ denken die meisten an Kinder. Durch den demografischen Wandel drängt aber ein weiterer wichtiger Aspekt verstärkt in den Vordergrund: Immer häufiger stehen Beschäftigte vor der Herausforderung, Pflegeaufgaben und Berufsalltag zu vereinbaren. Wenn die Unternehmen ihre Fachkräfte behalten wollen, müssen sie diesen Freiräume bieten, um sich etwa um die eigenen Eltern kümmern zu können.
Bei vielen wichtigen Unternehmensthemen heißt es, das sei „Chefsache“. Wenn es zum Beispiel um die viel zitierte „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ geht, raten viele Expertinnen und Experten, das müsse in den Firmen „ganz oben“ verankert werden, sprich: von Geschäftsführung und Management gewollt sein und vorgelebt werden.
Ludger Osterkamp nimmt die „Chefsache“ besonders wörtlich. Der Gründer und Geschäftsführer der ExTox Gasmess-Systeme GmbH aus Unna hat sich, zusammen mit einem seiner rund 70 Beschäftigten, vergangenes Jahr zum Pflegebegleiter ausbilden lassen. Diese Qualifizierung bereitet darauf vor, Pflegende ehrenamtlich bei ihrer oft schwierigen Aufgabe zu unterstützen. „Ich wollte einfach mehr Verständnis gewinnen für das, was da auf einen zukommt, wenn ein Verwandter zum Pflegefall wird“, begründet Osterkamp sein Engagement.
Der Unternehmer teilt die Einschätzung der Experten: „Der Chef muss den Anfang machen, das muss ‚von oben‘ kommen“, betont er. Dies gelte vor allem beim Thema „Vereinbarkeit von Pflege und Beruf“. „Das betrifft immer mehr Menschen in unser alternden Gesellschaft, aber es ist immer noch mit Tabus behaftet“, beobachtet er.
ExTox stellt Gasmess-Systeme her und entwickelt die dafür benötigten elektronischen Schaltungen, Softwareprogramme und Gehäuse. Schon bei der Firmengründung 2004 wusste Osterkamp, dass er nicht auf Gewinnmaximierung setzen würde, sondern Profit nur ein Mittel zum Zweck sein würde. Der Zweck: Familienfreundlichkeit. Deshalb gibt es bei ExTox nicht nur Betreuungsangebote für Kinder und Wiedereinstiegsoptionen nach der Elternzeit – sondern auch „Elternsprechtage“. „Auch die Eltern der Beschäftigten sollen den Arbeitsplatz ihrer Kinder besuchen können“, betont Osterkamp. Eine Angestellte fungiert zudem als „Wohlfühl-Managerin“ und hat ein Ohr für sämtliche Anliegen der Beschäftigten. Ziel ist auch der offene Umgang zwischen Alt und Jung – um Hemmnisse abzubauen und den Beschäftigten zu zeigen, dass sie auch aufgefangen werden, wenn es zu Hause nicht etwa mit dem Nachwuchs hakt, sondern mit den Eltern oder Großeltern.
Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt von Jahr zu Jahr
Die Fälle, in denen es hakt, nehmen rapide zu. Während die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland 2015 bei 2,86 Millionen lag, wird sie nach Expertenschätzung auf 3,5 Millionen im Jahr 2030 anwachsen. Zwar kommt längst nicht auf jeden Angehörigen die Herausforderung zu, selbst pflegen zu müssen. Doch werden sich immer mehr Menschen – und damit auch immer mehr Beschäftigte in Unternehmen – damit auseinandersetzen müssen, dass ein Angehöriger pflegebedürftig wird. Das erfordert Zeit für Gespräche und um Lösungen zu suchen – und unter Umständen auch Zeit für Pflegeunterstützung und Begleitung, ob nun für Wochen, Monate oder langfristig.
„Darauf stellen sich die Unternehmen verstärkt ein“, weiß Christian Noebel, Referatsleiter Integration, Vereinbarkeit Familie und Beruf, Chancengleichheit beim DIHK. Denn: „Familienfreundlichkeit auch hinsichtlich der Pflege zahlt sich aus“, betont Noebel. „Die Unternehmen behalten erfahrene Fach- und Führungskräfte und stärken deren Motivation, während sie andernfalls überfordert wären oder gar ihren Job aufgeben müssten.“ In Zeiten des demografischen Wandels sei dies daher ein Schlüssel zur Fachkräftesicherung.
Die Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Personalverantwortlichen haben zahlreiche Möglichkeiten, sich grundlegend darüber zu informieren, wie sie ihre Beschäftigten bei diesem schwierigen Thema unterstützen können. Rat und Unterstützung erhalten sie bei ihrer örtlichen Industrie- und Handelskammer oder beim Unternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“, mit bundesweit über 6.400 Mitgliedern Deutschlands größtes Netzwerk zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Mitgliedschaft ist kostenfrei. Als gemeinsame Initiative von Bundesfamilienministerium und DIHK setzt es sich dafür ein, dass Familienfreundlichkeit zum Markenzeichen der deutschen Wirtschaft wird.
Zum Service gehören unterschiedlichste Veranstaltungsformate zu Themen wie Arbeitszeitgestaltung, Beruf und Pflege oder Unternehmenskultur sowie praxisnahe Leitfäden und Checkhefte.
Das Netzwerk wiederum ist Teil des Programms „Erfolgsfaktor Familie“. In dessen Rahmen wurde 2016 ein Unternehmenswettbewerb durchgeführt, bei dem die familienfreundlichsten Unternehmen Deutschlands gekürt wurden. Gesamtsieger 2016 in der Kategorie „Kleine Unternehmen“ war die ExTox Gasmess-Systeme GmbH aus Unna.