Die Vollversammlung der IHK Hochrhein-Bodensee

Gut aufgestellt ins neue Jahr - Vollversammlung beweist Zusammenhalt

Das vergangene Jahr sei eines mit ungewöhnlich großen Herausforderungen gewesen, konstatierten IHK-Hauptgeschäftsführer Claudius Marx und IHK-Präsident Thomas Conrady. In der auslaufenden Coronakrise habe der Angriffskrieg auf die Ukraine die Hoffnung auf ein rasches Wiedererstarken der deutschen Wirtschaft zunichte gemacht. Das habe sich auf allen Ebenen der Kammerarbeit gezeigt. Marx skizzierte die globalen Verschiebungen, weg von einem transatlantischen Zentrum und hin zum pazifischen Raum.
Die Strategie Chinas ziele darauf, selbst unabhängig von der Welt zu werden, aber die Welt abhängig von China zu machen. Der daraus resultierende Ruf nach einem umfassenden „Decoupling“ müsse gleichwohl differenziert betrachtet werden.
Es gehe keinesfalls darum, das Handelsvolumen mit China zurückzuführen, sondern allein darum, spezifische Abhängigkeiten in einzelnen Branchen wie der Automobilindustrie, bei Schlüsseltechnologien wie Elektromotoren, Windturbinen oder Photovoltaik und Robotik, oder beim Bezug von Vorleistungen durch Diversifizierung sukzessive zu reduzieren. Dass dafür die transatlantischen Handelsbeziehungen in den Blick kämen, liege in der Natur der Sache.
Marx berichtete aber auch von Treffen mit der Botschafterin und dem Generalkonsul der USA, die deutlich gemacht hätten, dass Deutschlands Rolle durchaus kritisch gesehen werde.
Unser Land habe – so die US-amerikanische Sicht, auf billiges russisches Gas gesetzt und die Warnungen der USA beim Bau der Nordstream-Pipelines in den Wind geschlagen, es habe von billigen Vorprodukten aus chinesischer Produktion profitiert und seine Verteidigungsfähigkeit an die USA delegiert, ohne die Rechnung dafür zu begleichen. Jetzt zeige sich, dass alle drei Strategien brüchig gewesen seien.
Die energiewirtschaftliche Lage bezeichnete Marx zwar als größte aktuelle Herausforderung, doch man rechne im Lauf von 2023 mit einer Verbesserung der Versorgung und einer Entspannung bei den Preisen. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) habe in der sogenannten Gaspreiskommission einen wichtigen Betrag geleistet: Es sei erreicht worden, dass der Preis für Gas und Strom in wesentlichem Umfang „auf“ einen Betrag und nicht „um“ einen Betrag reduziert werde. Der vormalige, sogenannte Tankrabatt habe gezeigt, dass nur so eine wirkliche Entlastung bewirkt werden könne. Letztlich gehe es um Verlässlichkeit. Denn, so Marx: „Schlimmer als ein hoher Preis ist ein unkalkulierbarer Preis.“

Wieder mehr Azubis nach Corona

Erfreuliche Zahlen wurden aus dem Ausbildungsmarkt gemeldet: Zwar liegt das Niveau der abgeschlossen Lehrverträge noch deutlich unter den Zahlen vor Corona, doch gab es einen großen Sprung nach vorn. Das Gesamtplus der eingetragenen Lehrverhältnisse gegenüber dem Vorjahr liegt bei 9,98 Prozent. Besonders stark gewachsen ist der Bereich Hotellerie und Gastronomie. Diese positive Entwicklung könne aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach wie vor zu wenig Arbeitskräfte nachrückten, mahnten Marx und IHK-Ausbildungsgeschäftsführerin Alexandra Thoß. 2030 dürften deutschlandweit rund drei Millionen Fachkräfte fehlen. Aktuell seien allein in Baden-Württemberg über 10.000 Lehrstellen unbesetzt. Daraus ergibt sich für Marx: „Der Fachkräftemangel wird definitiv zum Arbeitskräftemangel. Ohne eine proaktiv gesteuerte Zuwanderung geht es nicht.“ Schon heute hätten es 37 Prozent der Unternehmen schwer, wichtige Stellen nachzubesetzen oder generell Führungskräfte zu finden. Besonders hervorgehoben wurde in diesem Kontext der von der Fachkräfteallianz Südwest herausgegebene und von Vollversammlungsmitglied Gudrun Gempp gestaltete Leitfaden zur Fachkräfteeinwanderung.

Zuwanderung ist notwendig

Um den Druck auf den Arbeitsmarkt zu reduzieren, sei Zuwanderung unerlässlich – und zwar eine gezielte Zuwanderung, die sich – anders als das Asylrecht – nach den Bedürfnissen des Einwanderungslandes richte. Das Einwanderungsprozedere müsse markant vereinfacht und beschleunigt werden. Die Abbrecherquote bei Ausbildungsverhältnissen von durchschnittlich 25 Prozent und beim Bachelorstudium von über 30 Prozent sei viel zu hoch. Und mehr als 45.000 Jugendliche ohne Schulabschluss seien ein verschenktes Potenzial. Die meisten davon seien Jugendliche mit Migrationshintergrund und deshalb sei klar: „Um sie müssen wir uns kümmern!“ Solange Migranten die Bildungsverlierer seien, könne Zuwanderung nicht gelingen. Das werde aber nicht einfach, so Marx: „Wir werden uns mehr Mühe geben müssen und mehr Mühe haben.“

Entlastung ohne Gegenstimme

Für 2021 wurden Präsidium und Geschäftsführung ohne Gegenstimmen entlastet, nachdem die ehrenamtlichen Rechnungsprüfer ihren Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses vorgelegt hatten. Für 2022 erwartet Marx ein positives Ergebnis. „Das ist eine gute Basis für die kommenden Jahre“, machte er deutlich. Denn da dürfe man nicht auf eine allzu schnelle konjunkturelle Erholung hoffen.