Pressemeldung

„Die digitale Abfertigung der Ausfuhr liegt in unserem uneingeschränkten Interesse“

Um Zollbeamte und den Verkehr an den Grenzübergängen zu entlasten, soll schon seit Jahren ein digitales System für die Ausfuhrkontrolle und Umsatzsteuerrückerstattung für Einkaufstouristen eingeführt werden. Dieses Vorhaben steht nun auf unbestimmte Zeit auf „stand by“. In einem Interview mit Kurt Tschan von der Basler Zeitung, das am 2. Juli 2021 erschienen ist, erklärt IHK-Hauptgeschäftsführer Claudius Marx, warum er die digitale Lösung für „sachlich geboten, zeitlich überfällig und wirtschaftlich wie technisch alternativlos hält“. 

Wie sieht die digitale Lösung für die Mehrwertsteuer aus? 
Die digitale Lösung könnte so aussehen, dass der Kunde aus der Schweiz die relevanten Daten beim Einkauf im Geschäft seiner Wahl auf sein mobiles Endgerät/Smartphone übertragen erhält. Die dafür entwickelte, georeferenzierte Applikation würde die Daten an den Zoll weiterleiten. Von dort erhielte der Kunde eine Rückmeldung, optional könnte auch die Frage einer Kontrolle beim Grenzübertritt (Stop oder Non-Stop) bereits an dieser Stelle geregelt werden. Der tatsächliche Ausfuhrvorgang (Grenzübertritt der Ware) würde durch die Bewegung des registrierten und personalisierten Mobiltelefons festgestellt, übermittelt und bestätigt. Die Beamten der Zollverwaltung würden von der händischen Bestätigung in jedem einzelnen Falle befreit und könnten sich auf die Stichprobenkontrolle beschränken, der Verkehrsfluss würde erheblich verbessert.
Warum geht es so lange? 
Im politischen Raum besteht weder Einigkeit über die Sinnhaftigkeit einer Wertgrenze für die Umsatzsteuerrückerstattung noch über deren Höhe. Während sich Bundestag und Bundesrat auf eine Bagatellegrenze von 50 Euro verständigt haben, die überdies nur interimsweise Anwendung finden und deshalb entfallen wird, sobald das digitale System greift, präferierte der Rechnungsprüfungsausschuss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages eine unbefristete, europarechtlich maximal zulässige Wertgrenze von 175 Euro. 
Zudem wird der Nutzen der digitalen Abfertigung in Zweifel gezogen. Hintergrund dafür ist, dass die Digitalisierung des Ausfuhrvorganges eine doppelte Akzeptanz voraussetzt - von den teilnehmenden Händlern mit der Bereitstellung einer komplementären IT-Infrastruktur und von den Kunden mit der Installation und Nutzung der App. Die Erwartungen, zu welchem Anteil beide Seiten auf das digitale System umschwenken würden, gehen auseinander. 
Schließlich wurde eine Evaluierung der Auswirkungen der 50 Euro Grenze ein Jahr nach ihrer Einführung gefordert, was aber in Folge der Corona Pandemie nicht umgesetzt werden konnte - die pandemiebedingten Einflüsse (Grenzschließungen) waren offensichtlich um ein vielfaches wirkmächtiger als die Wertgrenze. 
Diese Punkte sind ursächlich dafür, dass die für die IT-Entwicklung notwendigen Mittel in zweistelliger Millionenhöhe bis heute nicht freigegeben sind.
Mit welchem Zeithorizont rechnen Sie bezüglich Realisierung? 
Wann die genannten Hürden überwunden werden können, lässt sich derzeit nicht belastbar abschätzen. In der Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine parlamentarische Anfrage heißt es dazu schlicht: "Zum Zeitplan und zur letztlichen Ausgestaltung des Systems" könnten "derzeit keine Aussagen getroffen werden".
Ist das Vorgehen politisch motiviert?
Politischer Dissens besteht hinsichtlich Sinnhaftigkeit und Höhe einer Wertgrenze. Zwar hat der Deutsche Bundestag die Frage mit der derzeit geltenden (Interims-) Regelung im Umsatzsteuergesetz eindeutig zugunsten der digitalen Lösung beantwortet, bei der Freigabe der dafür notwendigen Mittel konnte aber das notwendige Einvernehmen zwischen Finanzministerium und Rechnungshof bis heute nicht hergestellt werden. 
Steht auch die Bagatellgrenze von 50 Euro auf dem Prüfstand? 
Nein, diese Grenze gilt weiterhin, wenn und solange eine digitale Lösung nicht eingesetzt werden kann. Sie entfällt nach § 6 Abs. 3a Satz 2 Umsatzsteuergesetz zum Ende des Jahres, in dem die Ausfuhrnachweise erstmals elektronisch erteilt werden. Nach Auffassung des Bundesrechnungshofes soll dies allerdings nicht nur an der Grenze zur Schweiz, sondern "an allen Drittlandsgrenzen" und damit auch an den Flughäfen der Fall sein müssen. 
Nach den Lockerungen bezüglich Covid, wäre Südbaden nicht besonders auch an Einkaufstouristen aus der Schweiz interessiert? 
Selbstverständlich hat die Bedeutung der grenzüberschreitenden Konsumnachfrage für unsere Region nicht nachgelassen. Die digitale Abfertigung der Ausfuhr liegt deshalb in unserem uneingeschränkten Interesse - sie macht den Einkauf für alle Beteiligten - die Händler, ihre Kunden, die Finanz- und die Zollverwaltung - einfacher und angenehmer. Staus an Kassen und Grenzübergängen würden vermieden, ebenso die anachronistische Archivierung von Millionen Papierdokumenten. Deutschland hat ein Onlinezugangsgesetz (OZG), das auf die Digitalisierung sämtlicher Verwaltungsvorgänge zwischen Staat und Bürger bis Ende 2022 zielt. Die Bearbeitung von Millionen von Ausfuhrscheinen in Papierform erscheint vor diesem Hintergrund vollkommen aus der Zeit gefallen, ihre digitale Ablösung überfällig.  
Wie wichtig sind diese für den Detailhandel aber auch das Gewerbe? 
Südbaden ist über Jahrzehnte zum Nahversorger der Nordschweiz geworden. Verkaufsflächen, Sortimentstiefe und Markenvielfalt in den grenznahen Orten sind darauf ausgerichtet. Die grenzüberschreitende Nachfrage macht in etwa ein Drittel dieses Angebots aus, in einzelnen Branchen und Unternehmen auch bis zu 50 Prozent. Viele Dienstleistungen, Handwerksbetriebe, Gastronomen und Hoteliers profitieren ebenfalls. Aufenthaltsqualität und Einkaufserlebnis machen die Region über die reine Versorgungsfunktion hinaus attraktiv.  
Die IHK Hochrhein-Bodensse wird sich deshalb weiterhin engagiert für die Realisierung der IT-Lösung einsetzen. Sie hält die Digitalisierung dieser Verwaltungsleistung für sachlich geboten, zeitlich überfällig und wirtschaftlich wie technisch alternativlos.