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„Ein Arbeitgeber, der seinen Mitarbeitern Home-Office anbietet, ist im Vorteil“

Vor der Pandemie war das Homeoffice eher die Ausnahme, inzwischen arbeiten viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von zu Hause aus. Nun stellt sich vielerorts die Frage, wie es nach der Pandemie weitergehen wird. Mit IHK-Hauptgeschäftsführer Claudius Marx haben wir über das mobile Arbeiten gesprochen und gefragt, ob wir auch nach der Pandemie vermehrt zu Hause arbeiten werden und wie wir uns die Arbeitswelt der Zukunft vorstellen können. 

Welche Rolle wird in den Unternehmen künftig das Home-Office spielen?
Viele Unternehmen und ihre Belegschaften haben in der Coronakrise einen "Digitalisierungsschub" erlebt, den "Crashkurs in Video Conferencing" haben praktisch alle bestanden. Digital angepasst wurden auch viele Geschäftsmodelle – Bildungsangebote finden online und ohne physische Präsenz statt, auch die Kundenberatung und der Verkauf sind am Bildschirm möglich. Weil damit Effizienzgewinne, Zeit- und Kostenvorteile verbunden sind, ist absehbar, dass Vieles davon über die Pandemie hinaus Bestand haben wird. Mehr noch, die Unternehmen werden sich noch stärker und intensiver dem Thema Digitalisierung widmen. In diesen Kontext gehört auch das Home-Office, das markante Flexibilisierung der Arbeitswelt mit sich bringt - mit Vorteilen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Wir alle werden sehr viel "digitaler" aus dieser Krise herausgehen, als wir hineingegangen sind. 
Mehrere IHKs haben ihre Mitglieder bereits dazu befragt. Die Ergebnisse waren stets sehr ähnlich. Die befragten Unternehmen, die auf Home-Office setzen, tun dies vor allem, weil sich diese Arbeitsform als besonders effizient erwiesen und in der Krise bewährt hat. Eine höhere Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie mehr Flexibilität in den Arbeitszeiten werden regelmäßig genannt. Von da aus ist es dann auch nicht mehr weit zum Thema Fachkräftesicherung. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der Fachkräftemangel in den kommenden Jahren wieder ein beherrschendes Thema sein wird. Ein attraktiver Arbeitgeber, der seinen Mitarbeitern die Option Home-Office bietet, ist da im Vorteil. 

Braucht es für das Home-Office eine gesetzliche Regelung geben?
Durch alle Branchen hinweg halten Unternehmen einen rechtlichen Anspruch auf Home-Office nicht für nötig. Die Organisation des eigenen Unternehmens ist im Kern Teil der unternehmerischen Freiheit. Und das Bewusstsein, den Beschäftigen auch nach der Pandemie mehr Flexibilität in ihrer Lebensgestaltung anzubieten, ist schon vorhanden. Es ist ein Trend, der durch die Krise einen Push erlebt hat, beide Seiten haben sich daran gewöhnt, die Erfahrungen sind ganz überwiegend positiv. Es gibt keinen Grund, warum dieser Trend gestoppt oder zurückgedreht werden sollte. Deshalb gilt: Flexibilität und gesetzlicher Zwang passen nicht zueinander, der Arbeitsmarkt selbst und die unverzichtbare Arbeitgeberattraktivität sind die adäquaten Treiber einer solchen Entwicklung.
Das heißt aber nicht, dass Home-Office keines Rechtsrahmens bedürfte. Im Gegenteil. Begriffe wie Telearbeit, Home-Office oder mobiles Arbeiten müssen eindeutig definiert und voneinander abgegrenzt werden. Es macht rechtlich einen großen Unterschied, ob einem Arbeitnehmer gestattet wird, einen Teil seiner Arbeitsleistung außerhalb des Unternehmens an einem Ort seiner Wahl zu erbringen oder ob sein Arbeitsplatz im Unternehmen gänzlich aufgelöst und dauerhaft an einen anderen Ort verlegt wird. Die Geltung der Arbeitsstättenverordnung, die Fürsorge- und Sorgfaltspflichten des Arbeitgebers, die Sicherstellung des Arbeits- und des Datenschutzes, die Ausstattung des Arbeitsplatzes und nicht zuletzt Versicherungsfragen hängen damit zusammen. Und die dürfen nicht erst beantwortet werden, wenn zum ersten Mal ein Mitarbeiter in seiner Wohnung auf der Treppe gestürzt ist.
Last but not least: Noch immer gibt es keine flächendeckende Versorgung mit Breitbandanschlüssen. Das ist während der Pandemie für viele Menschen und Unternehmen auf dem Land zu einem Problem geworden. Home-Office funktioniert nur, wo sichere und leistungsfähige Netzanbindung gegeben ist. Hier nicht ins Hintertreffen zu geraten, ist für unseren ländlichen Raum von existenzieller Bedeutung. 

Wie wird sich die Arbeitswelt in Zukunft verändern?
Die Arbeitswelt ändert sich bereits heute kontinuierlich. Drei große Trends glauben wir, dabei zu erkennen, sie haben alle drei mit der Auflösung von Strukturen zu tun, die über viele Jahrzehnte fest verankert schienen und sie sind alle drei digital getrieben.
Der erste Trend ist die Auflösung der strikten Trennung von Arbeitsplatz und privater Wohnumgebung. Für viele Berufe reicht ein Laptop, ein mobiles Endgerät und eine gute Netzanbindung, um alle notwendigen Arbeitsschritte und -funktionen zu gewährleisten. Wo die Arbeit erbracht wird, wird schlicht irrelevant. Damit werden die Firma, die Wohnung, aber auch jeder andere Ort drinnen oder draußen zum tauglichen Arbeitsplatz. Man wird daran, wo ein Mensch sich gerade aufhält, nicht mehr erkennen können, ob er gerade arbeitet oder nicht.
Der zweite Trend ist die Auflösung der starren Arbeitszeiten. Sie machen noch Sinn, wo an Maschinen und in der Produktion in Schichten gearbeitet wird oder eine zeitlich fixierte Erreichbarkeit gegeben sein muss. In vielen anderen Bereichen ist es unerheblich, wann die Arbeitsleistung erbracht wird und ob das "an einem Stück" oder in beliebigen Tranchen erfolgt. Nur das Ergebnis zählt.  Wer im Home-Office ist, entscheidet selbst, ob er erst seine Mails checkt und dann frühstückt oder umgekehrt. Nachteulen arbeiten um Mitternacht, Early Birds um fünf Uhr morgens, Workaholics machen beides.
Der dritte Trend ist die Auflösung der klaren Trennung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Arbeit. Hybride Erwerbsbiographien werden von der Ausnahme zur Regel. Neue Formen der Arbeitsorganisation machen die Kategorisierung zunehmend schwieriger, die sozialen Sicherungssysteme werden extrem gefordert. Der Gesetzgeber ebenso.
Hinzu kommt die demographische Entwicklung, die auch durch Zuwanderung nicht kompensiert wird. Mit der Verknappung des Arbeitskräfteangebots geht eine höhere Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse der Arbeitnehmer einher. Die Unternehmen stellen sich diesen Veränderungen. Personaler befassen sich intensiver mit jedem einzelnen im Team. Dabei geht es etwa um Potenzialentfaltung, Work-Life-Balance, flexible Arbeitsgestaltung und die stärkere Beteiligung an Entscheidungen. Damit einher gehen das ortsunabhängige Arbeiten, Home-Office, Co-Working-Spaces und "digitales Nomadentum". Die Arbeitsplätze von morgen werden mehr Freiräume für Kreativität und konzentriertes Arbeiten bieten, aber auch weniger Sicherheit, weniger Routine und Planbarkeit. Vierzig Jahre "nine to five" im selben Betrieb wird zum Auslaufmodell. All dies kommt nicht jeder und jedem entgegen. Die Bedürfnisse der Mitarbeiter aufzunehmen, aber auch ihre Fähigkeiten und Potenziale auszuschöpfen, wird zu einer zunehmend komplexen Aufgabe.