Recht und Steuern

Vertrag von Lissabon

Nachdem die tschechische Ratifikationsurkunde am 13.11.2009 bei der Regierung Italiens hinterlegt wurde, haben alle 27 EU-Mitgliedstaaten den Vertrag von Lissabon ratifiziert. Dieser trat am 01.12.2009 in Kraft.

Die Änderungen

1. Institutionelle Änderungen: Neues 2-Säulen-Modell:

1. Säule: Die Europäische Gemeinschaften - EG und Euroatom - wird in EU umbenannt. Die ehemals dritte Säule (Polizeilich-Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS)) geht in der EU auf. Bislang beschränkte sich die PJZS auf den Bereich zwischenstaatlicher Zusammenarbeit.
2. Säule: intergouvernementale Zusammenarbeit im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) bleibt bestehen
  • EG-Vertrag wird in Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) umbenannt.
  • Grundsatz der doppelten Mehrheit bei Abstimmungen im Rat (55 % der Mitgliedstaaten und 65 % der EU-Bevölkerung): ab 2014 [Art. 238 Abs. 3 AEUV]. Bis dahin sind weiterhin 255 von 345 Stimmen der Mitgliedstaaten für eine qualifizierte Mehrheit nötig, d. h. 73,91 %.
  • Ausweitung der qualifizierten Mehrheit im Rat und Ausweitung des Verfahrens der Mitentscheidung im Europäischen Parlament (insbesondere bei Asyl [Art. 78 Abs. 2 AEUV], Einwanderung [Art. 79 AEUV] und justizieller Zusammenarbeit [Art. 82 AEUV] (Bislang war hier Einstimmigkeit im Rat Voraussetzung.)
  • Schaffung eines hauptamtlichen Postens des Präsidenten des Europäischen Rates [Art. 15 Abs. 5 EUV]:

    ⇒ Auf 2,5 Jahre gewählt für Vorsitz bei den Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs (kein ständiger Wechsel mehr nach 6 Monaten)
    ⇒ Vertretung der Europäischen Union in Angelegenheiten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik – neben dem Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik
    ⇒ Neuschaffung des Postens eines Hohen Repräsentanten der Union für Außen- und Sicherheitspolitik („europäischer Außenminister”) [Art. 18, 27 EUV]:
    - Auf 5 Jahre gewählt
    - Leitet den Rat der Außenminister
    - Ist gleichzeitig Vizepräsident der Kommission
  • Einrichtung eines Europäischen auswärtigen Dienstes zur Unterstützung des Hohen Repräsentanten [Art. 27 Abs. 3 EUV].
  • Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament auf Vorschlag des Europäischen Rates [Art. 17 Abs. 7 EUV]. Bisherige Regelung: Der Kommissionspräsident wird von den Mitgliedstaaten ernannt und vom Europäischen Parlament bestätigt.
  • Die Anzahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments wird 750 + 1 Parlamentspräsident [Art. 14 Abs. 2 EUV]. Die deutschen Abgeordneten erhalten damit statt der bisherigen 99 nur noch 96 Sitze.
  • Nach dem Referendum in Irland 2008 wurde auf dem EU-Gipfel im Dezember 2008 vereinbart, von der ursprünglich im Vertrag von Lissabon angelegten Reduzierung der Anzahl der Kommissare von 27 auf 18 ab 2014 Abstand zu nehmen [Art. 17 Abs. 5 EUV]. Insofern bleibt es bei dem Grundsatz, dass jeder Mitgliedstaat einen Kommissar stellt.
  • EZB erlangt Organstellung, bleibt jedoch unabhängige Institution [Art. 13 Abs. 1 EUV, Art. 282 Abs. 3. S. 3 AEUV].
Stärkung der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit durch Einbeziehung der nationalen Parlamente:
  • nationale Parlamente können bei einem Legislativvorschlag binnen 8 Wochen einen Verstoß gegen das Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip feststellen [Art. 12 EUV, Art. 6 Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit]
  • Ex-Post-Klagerecht vor dem EuGH der nationalen Parlamente gegen bereits erlassene europäische Gesetzgebungsakte, wenn der Einwand im Gesetzgebungsverfahren nicht beachtet wird [Art. 8 Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit]
  • Grundrechtecharta:
    - Die Grundrechtecharta ist kein Bestandteil des Vertrags von Lissabon, allerdings wird in Art. 6 EUV auf die Charta verwiesen.

2. Änderungen der Gesetzgebungsverfahren:

Ordentliches Gesetzgebungsverfahren [Art.289 Abs 1 AEUV]:
  • Das Mitentscheidungsverfahren (bisher in 85 % der Fälle angewandt) wird zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren.
  • In Zukunft werden 95 % aller Gesetze gemeinsam mit dem Europäischen Parlament beschlossen – das Europäische Parlament wird somit neben dem Rat zum fast vollständig gleichberechtigten Gesetzgeber. Z.B. bestimmte Verkehrsbereiche [Art. 91 AEUV], Maßnahmen zur sozialen Sicherung von Wanderarbeitnehmern [Art. 48 AEUV], Liberalisierung bestimmter Dienstleistungen [Art 59 AEUV], Einwanderung [Art. 79 AEUV], Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen [Art. 116 AEUV], Struktur- und Kohäsionsfonds [Art. 177 AEUV], Energie [194] bzw. Tourismus [195]
  • Weiterhin alleiniges Initiativrecht der Europäischen Kommission
Besonderes Gesetzgebungsverfahren [ Art. 289 AEUV]:
  • Das Zusammenarbeitsverfahren, das Anhörungsverfahren (Konsultation) sowie das Zustimmungsverfahren werden unter der Bezeichnung „besonderes Gesetzgebungsverfahren” zusammengefasst.
3 Möglichkeiten:
  1. Rat mit Zustimmung des Europäischen Parlaments - z. B. Antidiskriminierungsmaßnahmen [Art. 19 Abs. 1 AEUV]
  2. Rat mit Anhörung des Europäischen Parlaments - z. B. Maßnahmen zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs mit Drittländern [Art. 64 Abs. 3 AEUV]
  3. Europäisches Parlament mit Zustimmung des Rates - z. B. gesetzliche Ausgestaltung des parlamentarischen Untersuchungsrechts, Art. 226 Abs. 3 AEUV

3. Änderungen in einzelnen Politikbereichen:

Handelspolitik [Art. 1 lit. e AEUV]
  • Ausschließliche Unionszuständigkeit; bisher: Gemischte Zuständigkeit zwischen Union und Mitgliedstaaten
  • Die Union kann in Zukunft die europäischen Interessen im Bezug auf Abkommen über ausländische Direktinvestitionen und Handelsaspekte des geistigen Eigentums als einheitlicher Partner gegenüber Drittstaaten vertreten [Art. 207 Abs. 1 AEUV].
  • Energiepolitik: [Art. 194 AEUV]
    ⇒ Schaffung einer eigenen Rechtsgrundlage für Energiepolitik
    ⇒ Prioritäten der EU: Sicherstellung funktionierender Märkte, Gewährleistung der
    Energieversorgungssicherheit, Förderung der Energieeffizienz, Entwicklung neuer und
    erneuerbarer Energiequellen, Verknüpfung der Energienetze
  • Umweltpolitik: Klimaschutz wird ausdrücklich verankert [Art. 191 AEUV]
  • EU erhält Kompetenz zum Erlass einer Verordnung im Bereich der Daseinsvorsorge [Art. 14 AEUV]
  • Ausgeweitete Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Schutzes des geistigen Eigentums [Art. 118 AEUV]

4. Weitere Änderungen:

  • Ausstattung der EU mit eigener (Völker-)Rechtspersönlichkeit [Art. 47 EUV]
  • Erweiterte Kompetenzen der EU – vor allem Energie [Art. 194 AEUV], Aeronautics [Art. 189 AEUV], Tourismus [Art. 195 AEUV], Sport [Art. 165 Abs. 1, 4 AEUV] und Katastrophenbekämpfung [Art. 196 AEUV]
  • Regelungen über den freiwilligen Austritt von Mitgliedstaaten aus der EU [Art. 50 EUV]
  • Einführung einer Bürgerinitiative [Art. 11 Abs. 4 EUV]
Auf der Homepage des Informationsbüros des Europäischen Parlaments in Deutschland und den Seiten der EU finden Sie weitere Informationen.