IHKplus Februar 2023

Mitarbeitende suchen und finden

Gutes Personal zu finden, gleicht einem Lotteriespiel. Mehr als 1,8 Millionen Stellen sind in Deutschland unbesetzt – und das bei einem historischen Höchststand der Erwerbsquote. Weil überall Fachkräfte fehlen, gehen Unternehmen in der Region neue Wege bei der Stellenbesetzung.
Stefan Peck verfolgt einen bodenständigen Recruitingansatz: „Stimmen Haltung und Qualifikation, warum sollten dann Alter, Familienstand oder Nationalität einer Anstellung im Wege stehen“, so Pecks Credo.
Der Geschäftsführer hat sich mit seiner M. Zilken GmbH in Köln-Ossendorf auf den Handel mit Industriebedarf spezialisiert. Er weiß: Gute Leute sind schwer zu finden und noch schwerer zu halten. Und so bildet Pecks 22-köpfiger Betrieb selbst Fachkräfte für Lagerlogistik, für Groß- und Außenhandel, Fachinformatik, Büromanagement und Industriemanagement sowie Berufskraftfahrer aus. Zur Zilken-Belegschaft zählen überdies Fachkräfte ab 50+, Alleinerziehende, Mitarbeitende mit Einwanderungsgeschichte genauso wie Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen. 

Fachkräftelücke wird größer und größer

So wie Stefan Peck legen aktuell in der Region immer mehr Unternehmer in puncto Personal den Vorwärtsgang ein. Der Grund: Eine Lücke von 450.000 Fachkräften, davon knapp 400.000 mit beruflicher Qualifikation. Und das  alleine in NRW! Diese Lücke klaffte laut IHK NRW-Fachkräftemonitor in unserem Bundesland schon vor der Pandemie. Die Corona-Pandemie lieferte nur eine kurze Verschnaufpause. Seither hat sich die Lage weiter verschärft. Der Fachkräftebedarf rangiert längst branchenübergreifend wieder auf Vor-Corona-Niveau.
Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) stieg die Zahl der offenen Stellen bundesweit allein vom dritten Quartal 2021 bis zum dritten Quartal 2022 um rund eine  halbe  Million auf 1.823.000. Die Bundesagentur für Arbeit spricht mittlerweile bereits von 148 Engpassberufen. Auch im Bezirk der IHK Köln – den Städten Köln und Leverkusen, dem Oberbergischen Kreis, dem Rhein-Erft-Kreis  sowie dem Rheinisch-Bergischen Kreis – fehlen  Informatikerinnen und Informatiker, Einzelhandels- wie  Versicherungskaufleute, Mitarbeitende in der Gastro genauso wie Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer, Pflegende und etliche weitere Fachkräfte mehr.

Babyboomer sagen Bye-bye

„Wir haben bei den Arbeitskräften den Zenit erreicht“, sagt Dr. Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des DIHK. „In den kommenden Jahren wird es für die Unternehmen ein immer mühsameres Geschäft, sich gegen die Fachkräfteengpässe zu stemmen.“
Ursache Nummer 1: die Demografie. Bereits 2025 wird die Altersverteilung der deutschen Bevölkerung weit von der klassischen Pyramidenform entfernt sein. Die meisten Babyboomer werden zu diesem Zeitpunkt dem Arbeitsmarkt Bye-bye sagen, denn sie werden dann gerade das Rentenalter erreicht haben oder kurz davorstehen. Bis 2035 fallen mit ihnen laut IAB rund sieben Millionen Fachkräfte weg.
Hinzu kommt: Die Engpasssituation wird durch den fehlenden Nachwuchs in vielen Berufen weiter befeuert. Gerade im vergangenen und in diesem Jahr. Denn die Berufsorientierung in den Schulen während der Pandemie fiel besonders schwer, sodass die Zahl der jungen Menschen, die sich für eine duale Ausbildung interessieren, weiter abgenommen hat.

Ausbildungsplätze bleiben oft unbesetzt

Bislang beschritten Unternehmen klassischerweise zwei Wege, um an Fachkräfte zu kommen. Sie bildeten junge Nachwuchskräfte im eigenen Betrieb aus und rekrutierten zusätzlich über Annoncen bei Vakanzen berufserfahrene Fachkräfte. Bereits im Jahr 2021 konnten laut DIHK-Ausbildungsumfrage bei bundesweit rund 15.000 Unternehmen vier von zehn IHK-Ausbildungsbetrieben jedoch nicht mehr alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen. Von diesen Unternehmen erhielt sogar mehr als jedes Dritte keine einzige Bewerbung. 
„Et hätt noch immer jot jejange“ – angesichts dieser Entwicklung können sich Unternehmen nicht mehr auf den 3. Artikel des kölschen Grundgesetzes verlassen. Wer vom Fachkräftemangel ausgebremst wird, kann Aufträge nicht bearbeiten, muss mit rasant steigenden Personalkosten rechnen, riskiert, dass die vorhandene Belegschaft unter der Mehrarbeit ächzt. Gestrichene Flüge, geschlossene Hotels und Restaurants, abgesagte Festivals und brachliegende Baustellen sind stille Zeugen dieses Trends. Nicht zu unterschätzen: seine Tragweite – betriebs- wie volkswirtschaftlich. „Der Mangel ist eine Bremse für große gesellschaftliche Vorhaben, wie etwa den Weg zur Klimaneutralität oder die Digitalisierung“, sagt DIHK-Vizechef Dercks. 
Stellen neu zu besetzen, ist anstrengend Bei einer Umfrage der Stiftung Familienunternehmen unter bundesweit mehr als 1.700 Familien- und Nicht-Familienunternehmen gaben im Jahr 2022 rund 87 Prozent an, vom Fachkräftemangel tangiert zu sein. Mehr als ein Drittel der Befragten sah in ihm eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit. 82 Prozent der Unternehmen beschrieben den Aufwand zur Neubesetzung von Stellen als hoch bis sehr hoch. 
Doch wie halten die Unternehmen jetzt am besten dagegen? „Wir müssen alles daransetzen, Ungelernte für Weiterbildung zu begeistern und mehr Frauen und Ältere zu beschäftigen, um die Lücke zu schließen“, sagt Johannes Klapper, Chef der Agentur für Arbeit in Köln. Auch bei der Umfrage der Stiftung Familienunternehmen landete Weiterbildung im Ranking der wichtigsten Strategien  gegen den Fachkräftemangel auf Platz eins.
91 Prozent der Unternehmen gaben an, Weiterbildungsangebote für ihre Mitarbeitenden schon heute einzusetzen oder zumindest zu planen. Man will sich insgesamt attraktiver machen: flexiblere Arbeitszeiten (70 Prozent / Platz zwei), ebenso bessere Bezahlung (77 Prozent / Platz drei) und das Einstellen von Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern (72 Prozent / Platz vier). Eine komplette Umstellung auf Home- Office haben nur knapp 17 Prozent der Unternehmen umgesetzt. 
Clarissa Paaß, Familienunternehmerin in dritter Generation aus Köln-Niehl, ist bei der Besetzung offener Stellen in ihrem Speditions- und Logistikdienstleistungsunternehmen Paass Logistik GmbH offen für sehr verschiedene Zielgruppen. „Wir beschäftigen Fachkräfte aus mehr als 20 Nationen und nahezu aller Altersstufen – Praktikantinnen und Praktikanten, Werksstudierende, Teil- wie Vollzeitkräfte und freuen uns über jeden zufriedenen Mitarbeitenden, der uns als Arbeitgeber weiterempfiehlt “, so Paaß.

Die IHK Köln berät und begleitet

Bei der Entwicklung von Strategien zur Bewältigung des Fach- und Arbeitskräftemangels ist die IHK Köln auf verschiedenen Ebenen aktiv. Die Fachkräfteberatung der Kammer etwa unterstützt Mitgliedsbetriebe bei der Personalbedarfsplanung, gibt Tipps zu möglichen Förderprogrammen für berufliche Fort- und Weiterqualifizierung. Um die Berufsorientierung in den Schulen noch stärker zu forcieren,  unterstützt die IHK die Mitgliedsfirmen dabei, sich und die IHK-Ausbildungsberufe in der Region unter jungen Menschen bekannt zu machen.
Auch das Training von Ausbildungsbotschaftern, die nah dran an der Zielgruppe – Schülerinnen und Schüler – authentisch für eine betriebliche Ausbildung begeistern können, gehört zum IHK-Mitgliederservice. Weiteres Potenzial lässt sich durch die Beschäftigung von ausländischen Fachkräften heben. Hier unterstützt und berät die IHK bei der Anerkennung der ausländischen Berufsabschlüsse. Vielfach arbeiten Menschen auch seit Jahren in einem Beruf, ohne einen entsprechenden Berufsabschluss zu haben. Ihre beruflichen Kompetenzen werden unnötigerweise übersehen und können in einem Validierungsverfahren mit den Anforderungen von Ausbildungsberufen verglichen werden. Auch hierbei unterstützt die IHK.
Von Seiten der Politik wünschen sich die Unternehmen ein Maßnahmenpaket. „Die Zuwanderung von Fachkräften vor allem aus Dritt-Staaten sollte unbedingt erleichtert werden und ihre Abschlüsse sollten schneller und bundeseinheitlich anerkannt werden“, sagt Kay Simon, Geschäftsführer der Firma IPP, die sich auf die Vermittlung von Pflegekräften für Kliniken und Pflegeheime in Deutschland spezialisiert hat.
Die Aufgeschlossenheit gegenüber Einwanderern ist vorhanden: „Mehr als jeder zehnte Beschäftigte hierzulande hat heute bereits eine ausländische Staatsangehörigkeit“, weiß Dr. Anika Jansen, Expertin für Fachkräftesicherung am Institut der deutschen Wirtschaft. „Viele Betriebe stehen Menschen mit Einwanderungsgeschichte bereits sehr offen gegenüber.“ Eine gute Ausgangslage, denn statistisch gesehen müssen jährlich netto 400.000 Menschen laut IAB zuwandern.

Beschleunigte Verfahren scheitern an nicht vorhandenen Terminen

Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz vom März 2020 hat die Politik schon den Zuzug vereinfacht, die Beschäftigungsaufnahme erleichtert und die Zuständigkeiten bei zentralen Ausländerbehörden gebündelt. Zudem können die Unternehmen bei einem konkreten Arbeitsplatzangebot auf ein beschleunigtes Fachkräfteverfahren setzen. Aber: „Beschleunigte Verfahren helfen wenig, wenn die potenziellen Fachkräfte allein schon zwölf Monate warten müssen, nur um einen Visatermin bei den Konsulaten zu bekommen“, sagt Prof. Dr. Rüdiger Ostrowski, Geschäftsführer des VSL Verband Spedition und Logistik NRW e. V. 
Die Regierung arbeitet derzeit an einem weiteren Gesetz, das die Zuwanderung für Fachkräfte aus Drittländern erleichtern soll. Jedes Drittland erhält ein Kontingent von Arbeitssuchenden, der Zuzug wird über ein Punktesystem mit den vier Kriterien Ausbildung, Sprachkenntnisse, Alter und Berufserfahrung geregelt. Im Klartext: Die Fachkräfte müssen einen Berufs- oder Studienabschluss haben, jünger als 35 Jahre sein, deutsch sprechen, mindestens drei Jahre Berufserfahrung haben – und drei Kriterien davon als Minimalvorgabe erfüllen.
Ob diese „Chancenkarte“ auch sticht, hängt von den Strukturen ab, worauf DIHK-Präsident Peter Adrian zurecht hinweist: „Sämtliche Erleichterungen bei den Spielregeln für die Zuwanderung können aber nur dann in der Praxis greifen, wenn parallel die Prozesse in den beteiligten Institutionen schneller funktionieren – allen voran bei der Visavergabe.“
Jasna Rezo-Flanze
Aus- und Weiterbildung - Leiterin Qualifizierungsberatung